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Matthias Platzeck, 57, ist seit Juni 2002 Ministerpräsident in Brandenburg.

© Thilo Rückeis

Matthias Platzeck im Interview: "Ich bin nicht der Typ, der hinschmeißt"

Ministerpräsident Matthias Platzeck über Kommunisten, ein mögliches Nachtflugverbot in Schönefeld und persönliche Lehren aus dem Rücktritt von Rainer Speer.

Probieren Sie mit ihrem Koalitionspartner gerade „Wege zum Kommunismus“ aus?

Man muss nicht alles verstehen auf dieser Welt. Die Kommunismus-Diskussion ist überflüssiger als ein Kropf. Die DDR ist tot, und der Kommunismus ist mausetot. Ich habe soviel Unsensibilität, Unkenntnis, Verleugnung oder auch Verweigerung bei Gesine Lötzsch nicht für möglich gehalten: Dass sie nicht wahrgenommen hat, dass der Kommunismus heute kein Wohlgefühl auslöst, keine Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft, sondern sofort Bilder präsent sind von gescheiterten Systemen, perspektivlosen Volkswirtschaften, von Straflagern, von Toten, von Unterdrückung, von Staatssicherheiten und Gulags. Das ist ein Bärendienst für ihre eigene Truppe.

Ist eine solche Linke, in denen die Vorsitzende Kommunismusphantasien vertritt, überhaupt ein verlässlicher Partner?

Die Linken, mit denen wir hier zusammenarbeiten, sind verlässlich. Sie stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, schweben nicht in Wolkenkuckucksheimen. Der Vorsitzende der Brandenburger Linken hat sich sofort klar und deutlich distanziert. Bei der überwiegenden Mehrheit der Linken im Lande nehme ich dieselbe Einstellung wahr. Was sich auf Bundesebene abspielt, wirkt leicht obskur.

Kam Ihr umstrittener Versöhnungsaufruf mit SED-Eliten vor einem Jahr zu früh?

Das eine hat mit dem anderen herzlich wenig zu tun. Man kann in gesellschaftlichen Gruppen nie garantieren, dass einige sich auf Irrwegen bewegen.

Fällt die Linke als Partner auf Bundesebene jetzt definitiv aus?

Das ist derzeit nicht diskutabel und nicht denkbar. Man kann nicht mit einer Partei koalieren, ohne zu wissen, welches Gesellschaftsbild sie hat und wohin sie will. Allerdings sage ich auch: Abwarten, gelassen bleiben. Diese Partei muss sich finden, vielleicht hat sie ihren Zenit auch überschritten.

Ist es ein Rückschlag für weitere rot-rote Landesbündnisse etwa in Sachsen-Anhalt?

Das wird auf die Wirkung ankommen. Für die meisten Menschen ist Kommunismus etwas schlicht abseitiges, selbst für Sympathisanten der Linken.

Auch die SPD bewegt sich mit dem neuen Fortschritts-Programm nach links. Geben Sie die Mitte ein Stück preis?

Wer sich für Fortschritt einsetzt, hat nicht im Sinn, wichtige Bevölkerungsgruppen auszugrenzen oder aufzugeben. Der Fortschritt, den wir meinen, muss die Lebensqualität vieler Menschen verbessern. Das ist zeitgemäß, erfordert ein Stück Mut, da ist nichts Verstaubtes.

Man könnte es auch Links-Ruck nennen!

Nein, das ist kein Linksruck. Wir möchten, dass es in der Gesellschaft wieder gerechter zugeht. Es genau der Gegenentwurf zum früheren neoliberalen Zeitgeist, zum Ansatz, dass wachsende Ungleichheit Motor einer Gesellschaft sei. Das hat sich als Irrweg erwiesen.

Ein Stichwort des Programms sind Gratis-Kitas für alle – und nicht Schüler-Bafög für sozial Schwache. Kommt da wieder der versorgende statt der von Ihnen propagierte vorsorgende Sozialstaat?

Vehementer Widerspruch! Beides ist vorsorgender Sozialstaat. Es geht um Bildung, Aufstiegsgerechtigkeit, um Chancengleichheit. Was in jüngere Jahrgänge investiert wird, ist keine Nachsorge.

Sie setzen im Land auf Schülerbafög, die Bundespartei auf Gratis-Kitas für alle!

Die Richtung stimmt hier wie dort. Wir können in Brandenburg nicht alles gleichzeitig. Wir setzen das Geld lieber für eine bessere Betreuung und für das Schülerbafög ein. Wenn wir uns Gratis-Kitas leisten könnten, würden wir es sofort tun.

Warum steht SPD-Parteichef Siegmar Gabriel in Umfragen nach wie vor schlecht da?

Vor einem Jahr standen wir nach dem Bundestagswahlergebnis mit dem Rücken zur Wand. Wir hatten Vertrauen verloren. Das kann man nicht in ein paar Monaten reparieren. Siegmar Gabriel hat in dieser Zeit eine segensreiche Rolle für die SPD gespielt. Er hat die Partei aufgerichtet und stabilisiert. Die Ausstrahlung in die Gesellschaft braucht mehr Zeit. Man sieht auch, dass entgegen aller Skepsis die Doppelspitze Steinmeier/Gabriel funktioniert.

Sollte die SPD Steinmeier noch einmal als Kanzlerkandidaten in den Ring schicken?

Die Frage treibt uns im Moment nicht um. Es ist immer gut, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt.

Die Proteste gegen die BBI-Flugrouten sind heftig. Was sagen Sie den Menschen?

Ich stelle mich den Bürgern, den Bürgerinitiativen. Der BBI ist der wichtigste Wirtschaftsmotor für die Hauptstadtregion, und das schon jetzt. Wahr ist auch: Man kann ihn ohne Belastungen für Menschen in der Umgebung nicht betreiben. Wir müssen diese Belastungen durch intelligente Lösungen bei den Routen minimieren. Ich bin überzeugt, dass uns das so gelingt, dass viele heutige Ängste relativiert werden und es für die meisten erträglich wird.

Die Brandenburger SPD hat ein erweitertes Nachtflugverbot zumindest für die Nordbahn ins Spiel gebracht.

Das wird jetzt geprüft. Ein Flugverbot auf der Nordbahn von 22 bis 6 Uhr halte ich für sinnvoll und denkbar. Es käme für eine große Anzahl von Menschen einem Quasi-Nachtflugverbot nahe.

Süd-Gemeinden würden stärker belastet.

Auch für diese gibt es erträglichere Varianten.

Drängt Brandenburg als BBI-Gesellschafter auf das Wiener Modell einer Flughafenabgabe für Anrainer-Kommunen?

Es ist dort ein eingeführtes Modell. Wenn es eine andere Möglichkeit oder andere Vorschläge gibt, werden wir uns das auch angucken. Die Debatte ist eröffnet.

Ist auch ein Verzicht auf Parallelstarts vorstellbar?

Auch hier hilft nicht Schwarz-Weiß-Malerei. Für die gesamte Betriebszeit werden sie sowieso nicht nötig sein. Denkbar wäre eine Reduzierung auf die Stoßzeiten, am Morgen und Nachmittag. Die Abstimmungen laufen. Das braucht Zeit.

Auch das Staatswesen muss sich verändern. Warum sind Sie bei der überfälligen Reform der aufgeblähten Kreisstrukturen so zurückhaltend?

Zunächst einmal: Brandenburg, vor 20 Jahren Agrarregion, ist heute ein Aufsteigerland, wirtschaftlich dynamisch. Ein solides Fundament steht. Jetzt brauchen wir eine breite Debatte für ein Leitbild, wie Brandenburg in zwanzig Jahren aussehen soll. Das wollen wir entwickeln. Daraus kann man dann nötige Entscheidungen ableiten, etwa zu Kreisstrukturen.

Was halten Sie vom Vorschlag einer generellen Abschaffung der Kreise?

Es ist eine zulässige Frage. Ich finde gut, dass diskutiert wird. Ich bin Realist und glaube, dass wir Kreise behalten werden. Aber ich sage auch: Ich halte einen Landkreis mit 60000 Einwohnern langfristig nicht für lebensfähig. Ich bin mir sicher, 2030 wird es keine vierzehn Landkreise und vier kreisfreie Städte mehr geben.

Wie haben Sie den Rücktritt Ihres Vertrauten Rainer Speer verarbeitet?

Er ist als Minister zurückgetreten, als Abgeordneter, er hat den staatlichen Unterhaltsvorschuss zurückgezahlt. Für mich ist das Kapitel erledigt. Er hat einen Fehler gemacht und sich deshalb aus der Politik verabschiedet. Heute weiß ich: In den letzten Monaten hätte manches besser laufen können.

Es hat Sie persönlich durchgeschüttelt?

Natürlich. Ich kenne Rainer Speer seit Jahrzehnten, er hat sich, bei allem, was er falsch gemacht hat, für dieses Land engagiert. Das zählt bei mir weiter. Aber wir leben im politischen Raum, da gibt es Erwartungen, Rahmenbedingungen. Und die gelten für alle.

Die Opposition schäumt nun wegen der Ruhestandsbezüge für Speer.

Vorwürfe eines „goldenen Handschlags“ oder einer Privilegierung sind absurd. Die Regierung hat sich ausschließlich nach geltendem Recht verhalten, übrigens genauso wie in der Vergangenheit bei in den Ruhestand versetzten Staatssekretären, auch der CDU.

Sie wirkten lange befangen. Sind Freundschaften in der Politik ein Fehler?

Das sehe ich nicht so. Freundschaften sind kein Fehler. Aber man muss das tun, wofür man gewählt ist. Freundschaft darf nicht der bestimmende Faktor sein.

Haben Sie mal mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuwerfen?

Nein, ich bin nicht der Typ, der einfach hinschmeißt. Ich habe ja gelesen, ich sei sensibel und ähnliches: Fakt ist, ich bin wohl der einzige in Ostdeutschland, der seit 1990 in einer Landesregierung ist. Ich bin ein Pflichtmensch. Ich hatte schon andere Krisen zu bewältigen. Ein bisschen trainiert ist man da schon.

Die dubiosen Verkäufe der Krampnitz-Kaserne und der BBG sind nicht aufgeklärt. Sie haben sich früh festgelegt, keinen Schaden für das Land zu erkennen. Eine Fehleinschätzung?

Auf der Basis der damaligen Daten war mich kein Schaden abzuleiten. Ich habe mich vom Präsidenten des Landesrechnungshofes bestätigt gefühlt …

Widerspruch! Er hat lediglich die Höhe nicht beziffern können …

…. der Untersuchungsausschuss wird das in aller Tiefe klären. Danach wissen wir mehr.

Das Interview führten Gerd Nowakowski und Thorsten Metzner

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