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Platzeck

© dpa

Matthias Platzeck: Von Heimspiel zu Heimspiel

In Brandenburg ist niemand in Sicht, der Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gefährlich werden kann. Der inszeniert seinen Wahlkampf als Wanderzirkus.

Caputh/Elsterwerda - Ein echter Gerber, Sachen gibt’s im Ländchen! Matthias Platzeck, den selten etwas überraschen kann, ist einen Moment lang verblüfft. „Ich war früher der jüngste Gerbermeister der DDR. Und nun bin ich wohl der einzige im Land Brandenburg, irgendwie ein Dinosaurier.“ So hat sich sein Tischnachbar gerade vorgestellt. Es ist Martin Oettrich, Mitte vierzig, ein uriger Typ, dem der Schalk aus den Augen blitzt. Erst vor drei Jahren hatte sich Oettrich selbstständig gemacht, die jahrhundertealte Familientradition in Doberlug-Kirchhain aufleben lassen, die nach der Wende unterbrochen war, weil damals plötzlich keiner mehr Felle wollte. Und heute, erkundigt sich Platzeck fasziniert, könne man davon wieder leben? „Klar“, mit dreihundert Fellen pro Jahr habe er angefangen, jetzt seien es schon 600, alles Handarbeit, die an Kunden selbst im Emsland oder dem Allgäu geliefert werden, erzählt Oettrich. „Reich wird man nicht.“ Aber zu tun gebe es genug, jedenfalls so viel, dass er am liebsten den Bruder aus dem Westen zurückholen würde. Nun ist er es, der fragt: „Zahlt das Land eigentlich eine Prämie für Rückkehrer?“ – „Nöö!“, antwortet Platzeck. „Nach Brandenburg zurückzukommen, ist nämlich eine Ehre.“ Heiterkeit am Tisch. Darauf stoßen alle an.

Hoch lebe Brandenburg! So macht Matthias Platzeck, Jahrgang 1953, der als einer der letzten SPD-Ministerpräsidenten in Deutschland auch einer vom Aussterben bedrohten Spezies angehört, Wahlkampf vor der Brandenburg-Wahl am 27.September. Ehe jetzt die konventionellen Kundgebungen auf den Marktplätzen starten, hat die märkische SPD dabei etwas ganz Neues ausprobiert. So wie jüngst in Elsterwerda hat sie regelmäßig eingeladen, zum „Sommerabend mit Matthias Platzeck“. Es war in Zeiten eines hektischen Medien- und Parteienbetriebes, von Internet-PR und Plakatschlachten eine bemerkenswerte Tour: Die Genossen haben sich dafür ein zahnpastaweißes, beheizbares Wohlfühlzelt besorgt. Sie haben drinnen Wandzeitungen aufgedruckt, die ein bisschen an DDR-Zeiten erinnern, überall das Konterfei des Landesvaters. Über einer stand der Slogan: „1989, 2009, 2029 – Politik für Brandenburgs Zukunft“, der langfristige Führungsanspruch der SPD, die nirgendwo sonst in Deutschland nun schon seit zwanzig Jahren den Ministerpräsidenten stellt. Es gab ein Buffet, man servierte Wein und Bier, im Hintergrund spielte ein Mann am Klavier, live natürlich, aber bitte, bitte pianissimo. Nichts sollte den Auftritt von Matthias Platzeck stören. Exklusiv geladen, so die im Regine-Hildebrandt-Haus ausgetüftelte Dramaturgie, waren keine Genossen, sondern immer rund einhundert, einhundertfünfzig Chefs und Aktive von Vereinen, Sportler, Kaninchenzüchter, Sänger, von freiwilligen Feuerwehren, Engagierte aus Wohlfahrtsverbänden, Unternehmer und Handwerker, eben „Multiplikatoren“, „Entscheider“, wie man sie nennt, verwurzelt in Brandenburg. Einem überschaubaren Land, eben Provinz. Wenn man die „Richtigen“ gewinnt, so das Kalkül, dann hat man schon halb gewonnen. Hat man?

Sechzehn Abende lang ist Platzeck von Tisch zu Tisch gezogen, der sozialdemokratische Solist der Mark, immer drei Stunden, ein bisschen wie das Kinderspiel „Bäumchen wechsle dich“. Und siehe da, irgendwie passte dieses altmodisch anmutende Format zu jenem Menschenschlag, den schon Theodor Fontane als „tüchtig“, „nüchtern“ und „anstellig“, aber „eingeengt“, „ohne rechte Begeisterungsfähigkeit“ beschrieb. Und mit dem Platzeck, der mit Längen Vorsprung beliebteste Politiker im Land, das ausspielen konnte, was ihm liegt, was ihm Spaß macht: das direkte Gespräch, zweitausend Mal, locker, unverkrampft, der Blick in die Augen seines Gegenübers, Zuhörer, Menschenversteher, Aufmunterer.

Kein Wunder, dass es immer Heimspiele wurden, bei denen sich das Rätsel regelmäßig auflöste, warum die SPD im Bund abstürzen mag, aber im exotischen Brandenburg trotzdem die Umfragen anführt. Warum niemand in Sicht ist, der Platzeck gefährlich werden könnte. Keiner, der die Machtfrage stellt, der überhaupt den Anspruch auf den Ministerpräsidentenposten anmeldet, weder die Linke Kerstin Kaiser noch die Christdemokratin Johanna Wanka. Der Wahlkampf der Mark wird allein um die Stellvertreterrolle geführt. Die Verhältnisse, sie sind hier so, fast bayerisch, nur eben rot, dass in Elsterwerda etwa der Sozi-Wanderzirkus mitten auf einem Werkgelände, bei der Gizeh-Verpackungsfabrik, stand. Eine Selbstverständlichkeit für Firmenchef Ralf Jung, der Platzeck zurief: „Wir fühlen uns in Brandenburg sauwohl.“

Freilich, manchmal muss es Platzeck, der seit 1989 in der Politik und seit 2002 Ministerpräsident ist, der die Zeiten der großen Depression nach 1990 noch nicht vergessen hat, in diesen Tagen selbst ein bisschen unheimlich sein, wie gut die Stimmung im Lande ist. „Es ist überhaupt kein Vergleich zur Landtagswahl 2004.“ Wenn er jetzt durchs Land zieht, schlägt ihm nirgends Frust und Zorn entgegen wie damals, als die SPD die Wut über die Hartz-IV-Reformen im Bund geballt zu spüren bekam, aber auch über Pleiten, Pech und Pannen im Land, das Erbe aus der Ära des Vorgängers Manfred Stolpe, und am Ende nur knapp gewann.

Im Gegenteil, wenn Platzeck sich bei Gastronomen, Handwerkern, Unternehmern erkundigt, hört er fast immer von gefüllten Auftragsbüchern, so dass er schon einmal scherzt: „Ich bin immer noch auf der Suche nach der Krise.“ Klar, da sind die präsenten Alltagsnöte Ostdeutschlands, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, Landflucht, schrumpfende Städte. Da hört er manche Klage über die zähe Bürokratie, hier über einen Förderantrag, der klemmt, da über eine nicht bearbeitete Zulassung für einen Arzt, der sich niederlassen will. Manches lässt er notieren. „Wir kümmern uns darum.“

Erhält der Regierungschef, dem Kritiker nicht ganz zu Unrecht vorhielten, zunehmend präsidial entrückt zu regieren, über Konflikten zu schweben, verloren gegangene Bodenhaftung zurück? Wer weiß. Offenen Widerspruch, Kritik, Protest erfährt er nur selten. Manchmal geschieht es aber doch, wie neulich in Caputh an einem Tisch, an dem Neu-Brandenburger, Zugezogene aus dem Westen platziert waren, Intellektuelle, Künstler, die kritischer nachbohrten, mit einer gesunden Distanz zur Obrigkeit. Hier, nur hier, wurde Platzeck zugesetzt: Warum die Bundes-SPD ihren Parteigipfel zum Sturz von Kurt Beck ausgerechnet im Resort Schwielowsee zelebrieren musste, trotz der Vita des Investors Axel Hilpert, der zu DDR-Zeiten mit Schalck-Golodkowski Geschäfte machte? Warum Platzeck selbst dort erstmals öffentlich nach dem krankheitsbedingten Abtritt als SPD-Bundeschef auftrat? Warum Behörden nicht konsequent gegen Pläne des Hotels wären, dort Wasserflugzeuge starten und landen zu lassen? Platzeck widersprach, erklärte, verteidigte, bat um „Augenmaß“. Und er wirkte doch genervt.

Wohler fühlte er sich am nächsten Tisch, dem letzten an diesem Abend, zu später Stunde. Einflussreiche Bauern saßen da wie Obstbauer Manfred Kleinert aus Marquardt. Ein Urgestein, sein Wort gilt etwas in der Gegend. Er schilderte dem Regierungschef eindringlich, wie der traditionsreiche Obstanbau dramatisch zurückgeht, weil er sich kaum noch lohnt. „Wir müssen aufpassen, dass wir zum Baumblütenfest in Werder keine Kunstblumen aufstellen müssen.“ Da war Matthias Platzeck plötzlich ernst, hochkonzentriert. Beim Nachfolger von Manfred Stolpe, der seinen Lehrmeister längst übertrifft, schlug sofort das Frühwarnsystem an. Wieder ein Sommerabend, der sich gelohnt hat.

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