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Brandenburg: Mißbrauch nur in Einzelfällen

Kommission untersuchte DDR-Psychiatrie / Couragierte Ärzte, aber auch Stasi-Spitzel VON MICHAEL MARA Potsdam.In der DDR habe es zu keiner Zeit einen politischen Mißbrauch der Psychiatrie gegeben: Im Gegensatz zur Sowjetunion seien Systemgegner nicht in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden, um sie "auszuschalten".

Kommission untersuchte DDR-Psychiatrie / Couragierte Ärzte, aber auch Stasi-Spitzel VON MICHAEL MARA

Potsdam.In der DDR habe es zu keiner Zeit einen politischen Mißbrauch der Psychiatrie gegeben: Im Gegensatz zur Sowjetunion seien Systemgegner nicht in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden, um sie "auszuschalten".Zu diesem Ergebnis ist eine 1992 vom brandenburgischen Gesundheitsministerium eingesetzte Experten-Kommission gekommen, die gestern ihren Abschlußbericht vorstellte.Allerdings hätten Psychiater in einer Reihe von Fällen ihre ärztliche Schweigepflicht verletzt und der Staatssicherheit Informationen geliefert. Die Kommission, der Experten aus Ost und West angehörten, untersuchte zwar in erster Linie die DDR-Psychiatrie auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg.Doch betonte die Berliner Neurologin Sonja Süß, die eine zeitlang bei der Gauck-Behörde einschlägige Stasi-Akten ausgewertet hat, daß die Ergebnisse für die gesamte DDR Gültigkeit hätten.Die Kommission beschränkte sich im wesentlichen darauf, Eingaben und Beschwerden ehemaliger Patienten zu prüfen sowie Gespräche mit Mitarbeitern und Patienten von fünf Landeskliniken zu führen.Des weiteren wurden 200 psychiatrische Krankenakten des ehemaligen zentralen NVA-Lazaretts in Bad Saarow sowie eine große Zahl Stasi-Akten durchgesehen. Die Arbeit der Experten war nicht einfach, weil sie in den Kliniken auf eine auffallende Reserviertheit stießen.Ihr Leiter Wolf-Dieter Lerch nannte als möglichen Grund für die Abwehrhaltung Furcht einiger Mitarbeiter vor noch nicht enttarnten Stasi-Mitarbeitern.Im Bericht der Kommission heißt es, die Landesregierung sei mehrfach ersucht worden, die "offensichtlich schleppende Überprüfung" der dort tätigen Ärzte und anderer Mitarbeiter durch die Gauck-Behörde zu beschleunigen.Gering war auch die Resonanz auf eine landesweit geschaltete Anzeige, in der ehemalige Patienten und Betroffene gebeten wurden, sich zu melden: Nur elf Beschwerden gingen ein, die mit 20 bereits vorliegenden geprüft wurden. Die Erkenntnisse der Kommission faßte Lerch so zusammen: "Die DDR-Psychiatrie hat sich nicht mißbrauchen lassen, sie ist nicht beschädigt worden." Die 1972 erfolgte zwangsweise Einweisung eines jungen Mannes in die Nervenklinik Neuruppin durch die Staatssicherheit wertete die Kommission als Ausnahme von der Regel: Um seinem Ausreiseantrag Nachdruck zu verleihen, hatte der Betroffene angedroht, sich während der X.Weltfestspiele auf dem Alexanderplatz öffentlich zu verbrennen.Er wurde in der Klinik nicht medikamentös behandelt und nach fünf Tagen Beobachtung als offenkundig gesund nach Hause entlassen.Die Ärzte protestierten beim Kreisarzt schriftlich gegen die ungesetzliche Einweisungspraxis.Laut Lerch waren Versuche, gegen das Einweisungsrecht zu "politischen Höhepunkten" zu verstoßen, kein Einzelfall.Doch hob er hervor, daß es eine Reihe couragierter Ärzte gegeben habe, die gegen Willkür protestierten. Andererseits räumte er ein, daß man bei den Recherchen Ernüchterndes festgestellt habe: Das MfS sei in allen psychiatrischen Einrichtungen präsent gewesen.Ärzte seien eingesetzt worden, um ihre Kollegen zu bespitzeln.In mehreren Fällen hätten diese Mediziner auch ihre ärztliche Schweigepflicht verletzt, indem sie MfS-Offizieren Krankheitsbilder erläuterten, obwohl dies auch nach DDR-Gesetz eine Straftat war.Die inoffiziellen Mitarbeiter hätten "sehr bereitwillig, nicht selten unaufgefordert" informiert.Doch habe man keinen Fall festellen können, bei dem einem Patienten direkter Schaden entstanden sei.Kritisch bewertete Lerch auch die gerichtspsychiatrische Begutachtungspraxis: "Zur Neutralität verpflichtete Sachverständige vorverurteilten, bezogen eindeutig politische Partei und denunzierten die zu beurteilende Handlung als moralisch verwerfliche Abweichung."

MICHAEL MARA

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