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Nahrung für Frühgeborene: Klinikum bittet um Muttermilch-Spenden

Das Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ bittet um Muttermilch-Spenden. Die Nahrung kann Frühgeborenen das Leben retten, Vorräte reichen nur noch wenige Wochen.

Gehört hat schon jeder einmal, dass den Blutbanken gelegentlich das Blut knapp wird. Dann folgt meist ein Aufruf des Roten Kreuzes. Jetzt sucht das Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ mit einem ähnlichen Anliegen die Öffentlichkeit: Allerdings geht es Professor Michael Radke nicht um Blut, sondern um – Muttermilch. Diese wird derzeit knapp, wird aber für die Frühgeborenen im Klinikum dringend gebraucht. Die Vorräte reichen nach Angaben des Chefs der Kinder- und Jugendmedizin nur noch zwei bis drei Wochen. Darum ruft Radke alle stillenden Mütter auf, überschüssige Milch der Sammelstelle des Klinikums zur Verfügung zu stellen. Als Anerkennung gibt es 30 Euro – pro Liter.

Nach Angaben Radkes werden sieben Prozent der Kinder zu früh geboren, teils acht bis 14 Wochen. Allerdings ist die Laktation, die Muttermilchbildung, zu solch einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft noch nicht abgeschlossen. Die Mütter sind körperlich noch nicht vorbereitet auf die Geburt.

Bis in die 1960er und 1970er Jahren waren Frühchen mit einem Gewicht weit unter 1000 Gramm „dem Tod geweiht“, sagt der Arzt. Dann entwickelte sich die Technik, es wurden immer bessere Brutkästen für Neugeborene entwickelt. Auf der Strecke blieb jedoch das Thema der Frühchen-Ernährung. In Westdeutschland wurden die Frauenmilchsammelstellen in den 1960er Jahren abgeschafft, weil eine immer bessere künstliche Ernährung der Frühgeborenen über den Blutkreislauf kostengünstiger erschien.

In der DDR, aber auch in Frankreich und den skandinavischen Ländern, wurden die Frauenmilchsammelstellen dagegen weiterentwickelt. Am Potsdamer Klinikum blieb die Einrichtung bis heute erhalten – wegen der guten Erfolge bei der Rettung der Kinder. Über einen Zugang zum Magen-Darm-Trakt werden die Babys mit gespendeter Muttermilch ernährt. Radke: „Mit einem halben Milliliter pro Stunde geht es los.“ Allerdings darf es bei den Frühgeborenen nur „Milch der gleichen Art“, also vom Menschen sein. Kuhmilch vertragen sie nicht. Die Vorteile von Muttermilch im Gegensatz zur künstlichen Ernährung oder der Gabe von Fertignahrung besteht Radke zufolge in der Herausbildung einer gesunden Darmflora. Frühchen von teils wenigen hundert Gramm können an „fürchterlichen Darm-Erkrankungen“ leiden, sagt der Mediziner Michael Radke: „Wir haben mit der Muttermilch vielen Kindern den frühen Todesfall erspart.“

Da Bund und Land das Thema Muttermilchsammelstellen gesetzlich nicht regelten, arbeiten Radke und sein Team formaljuristisch noch nach dem „Reichsfrauenmilchsammelstellengesetz“ von 1943. Die erste Frauenmilchsammelstelle gab es allerdings schon viel früher. 1919 wurde sie in Magdeburg durch die Kinderärztin Marie Elise Kayser (1885 bis1950) eingerichtet. Die DDR institutionalisierte das System und richtete per Gesetz in jeder Stadt über 50.000 Einwohner eine Sammelstelle ein. 1989 wurden nach offiziellen Angaben in der DDR über 200.000 Liter gespendet.

Wenn Milch fremder Mütter verabreicht wird, besteht theoretisch ein Infektionsrisiko. Radke zufolge habe es aber in 30 Jahren nie eine Keim-Übertragung gegeben. Im Zeitalter von Virus-Erkrankungen wie HIV, Hepatitis C oder Zytomegalie werde das Blut der Frauen, die spenden, zweimal auf Erreger getestet: Am Anfang der Milchgabe und am Schluss. Zudem wird die Milch pasteurisiert und erneut bakteriologisch untersucht. Radke: „Erst dann geben wir die Milch frei.“ Im gefrorenen Zustand hält sie sich dann mehr als ein Jahr.

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