zum Hauptinhalt

Brandenburg: Neun Jahre Jugendhaft für Mord nach Videospiel

19-Jähriger wollte Aggressionen abbauen und tötete einen Obdachlosen. Dass er zuvor an der Playstation gesessen hatte, halten die Richter für irrelevant

Von Sandra Dassler

Cottbus - Am Ende hatten die Richter keinerlei Zweifel: Ein Videospiel war nicht der Grund für die grausame Tötung eines Obdachlosen in der Nacht zum 10. Juli dieses Jahres. Das Cottbuser Landgericht sah es gestern dagegen als erwiesen an, dass der 19-jährige Steffen G. den 51-jährigen Jürgen G. ermordete, weil er „sich beweisen wollte, zu was er fähig war, und weil er einfach irgendjemanden brauchte, an dem er seinen Frust ablassen konnte“. Zum Opfer hätte auch jeder andere werden können, sagte die Vorsitzende Richterin Sigrun von Hasseln in der Urteilsbegründung. Jürgen G. war seinem Mörder zufällig über den Weg gelaufen. Die Richter verhängten denn auch fast die Höchststrafe gegen Steffen G. – neun Jahre Jugendhaft wegen Mordes aus niederen Beweggründen. Strafmildernd wertete das Gericht, dass der Angeklagte sich nach der Tat selbst stellte und geständig war.

Am 9. Juli hatte der 19-jährige Steffen G. viele Stunden lang in der Cottbuser Wohnung seines Freundes Timo H. das Videospiel „Wrestling – Smack Down vs. Raw 2006“ gespielt, bei dem zwei virtuelle Catcher brutal aufeinander einschlagen und -treten. G. verlor immer wieder und randalierte in einer Spielpause an einem Zigarettenautomaten. Die herbeigerufene Polizei erteilte ihm einen Platzverweis, was G. weiter frustrierte. Kurz darauf traf er den Obdachlosen, bat ihn um eine Zigarette und versprach ihm einen Schlafplatz in der Wohnung des Freundes. Dieser wollte jedoch keinen Fremden bei sich schlafen lassen und begleitete die beiden stattdessen zur Wohnung von Steffen G. Auf dem Weg dorthin trat G. dann den arglosen Obdachlosen unvermittelt in den Rücken, so dass dieser eine Treppe hinabstürzte. Dann trat und schlug G. brutal auf den Mann ein – wie er es zuvor im Wrestling-Spiel gesehen hatte.

Der Argumentation des Verteidigers von G., der keine Tötungsabsicht sah und vier Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert hatte, folgten die Richter nicht. „Wer so brutal auf das Gesicht eines Menschen eintritt, dass das Blut eineinhalb Meter weit spritzt, nimmt den Tod in Kauf“, begründete das Gericht die Verurteilung wegen Mordes. Es schloss zwar nicht aus, dass Steffen G., wie von ihm behauptet, dabei Bilder des Videospiels vor sich sah – diese hätten aber allenfalls Einfluss auf die Art und Weise des Tretens gehabt.

Damit folgte das Gericht nicht der Meinung des Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer, der als Gutachter im Prozess ausgesagt hatte, man könne die Tat gar nicht anders verstehen denn „als Folge des Videospiels“. Für ihn stand fest, dass G. in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei, was strafmildernd sein kann.

Das Gericht sah es hingegen als erwiesen an, dass Steffen G., um seine aus persönlichen Niederlagen resultierenden Aggressionen abzubauen, „andere Menschen wie Fußabtreter benutzte“. Dazu habe es keines Videospiels bedurft – der 19-Jährige sei schließlich nicht zum ersten Mal wegen eines Gewaltdelikts aufgefallen. Er habe sich dabei stets Opfer ausgesucht, die schwächer waren als er. Der psychologische Gutachter Jürgen Rimpel hatte Steffen G. attestiert, dass er als Einzelkind ohne Vater aufgewachsen sei, dass ihm von Mutter und Großmutter keine Grenzen gesetzt wurden und dass er nicht gelernt habe, mit Niederlagen umzugehen. In der Pubertät habe er zunehmend den „starken Mann“ markieren wollen – und der Alkohol enthemmte ihn. Schon mit 18 Jahren musste er zur Entziehung, sei aber immer wieder rückfällig geworden. Die Alkoholkrankheit werteten Gutachter und Gericht jedoch nicht als strafmildernd. Schließlich habe Steffen G. seit langem gewusst, dass er gewalttätig werde, wenn er trinkt.

Im Vollrausch aber könne er bei der Tat nicht gewesen sein, da er alle Handlungen davor und danach sehr überlegt vollzog. So hatte Steffen G. unmittelbar nach dem Mord die Jugendhilfe angerufen und seiner Betreuerin gesagt, dass er einen „Penner“ zusammengeschlagen habe, der jetzt wahrscheinlich schon tot sei. Zu diesem Zeitpunkt hätte Jürgen G. vielleicht noch gerettet werden können. Deshalb steht demnächst auch der Freund von Steffen G. vor Gericht: Timo H. ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.

Zur Startseite