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Brandenburg: "Oder-Valley": Die Karawane wartet auf Chips

Wenn der Bahnhof die Visitenkarte einer Stadt ist, dann möchte man Frankfurt - nur aus dem Zugfenster betrachtet - lieber nicht kennen lernen. In der heruntergekommenen Halle über den morschen Bahnsteigen herrscht ewiges Novemberwetter.

Wenn der Bahnhof die Visitenkarte einer Stadt ist, dann möchte man Frankfurt - nur aus dem Zugfenster betrachtet - lieber nicht kennen lernen. In der heruntergekommenen Halle über den morschen Bahnsteigen herrscht ewiges Novemberwetter. Es zieht und wird auch bei Sonnenschein nie richtig hell. Wer trotzdem aussteigt, muss noch durch einen ungemütlichen Tunnel, an dessen Ende sich der erste Lichtblick auftut: Auf dem komplett neuen Bahnhofsplatz ist schon Westen.

Mit der Straßenbahn fährt man zwischen ein paar tristen Plattenbauten südwärts, bevor sich die Stadt allmählich in weiten Wiesen und Feldern verliert. Jenseits der Autobahn, auf der sich die endlose Karawane der litauischen, polnischen und ukrainischen Lastwagen bewegt, tauchen ein paar ansehnliche Neubauten auf: der Technologiepark Frankfurt. Das "Silicon Valley an der Oder", wie die Zeitungen neuerdings ehrfürchtig titeln.

Es ist hier zunächst nicht schöner als in anderen neu erschlossenen Gewerbegebieten in Brandenburg, die eine Nummer zu groß geraten sind. Aber hier arbeiten keine windigen Gebrauchtwagenverkäufer. Sondern Wissenschaftler wie Thomas Koschack. Seit 1997 ist er Geschäftsführer des Institutes für Solartechnik. Vor der Wende war er einer von mehr als 8000 Beschäftigten des Halbleiterwerkes, dessen noch nicht gesprengte Ruinen drei Straßenbahn-Haltestellen von hier entfernt verrotten. Koschack freut sich auf die riesige Chip-Fabrik, die hier gebaut werden soll. Vielleicht könne sein Institut die Energieversorgung der künftigen Mikroelektronik für mobile Geräte entwickeln helfen. Aber noch ist es nicht soweit, und mit Blick auf die milliardenschweren Investitionen sagt der 50-Jährige, dass ihm da "eine konservativere, überschaubare Finanzierung ein ruhigeres Gefühl gäbe". Auf jeden Fall seien die Fördermittel nun besser angelegt als in den vergangenen Jahren, sagt Koschack angesichts der teilweise absurd hohen Zuschüsse an benachbarte Firmen.

Wer kommt schon gern nach Frankfurt?

Tatsächlich hat die aus den Resten des Halbleiterwerkes ausgegründete "System Microelectronic Innovation GmbH" zeitweise monatlich mehrere Millionen Mark vom Land bekommen. "Meiner Meinung nach war das rausgeschmissenes Geld. So viele Leute und so wenig Umsatz." Insgesamt gebe es im Technologiepark knapp zehn kleine und mittlere Hightech-Firmen. "All diejenigen, die jetzt erfolgreich sind, haben sich sofort nach der Wende vom Halbleiterwerk abgenabelt", sagt Koschack. Fritz Frase hätte auch gern in einer dieser Firmen gearbeitet. Er ist jetzt zweiundfünfzig Jahre alt und war einer von Koschacks Kollegen im Halbleiterwerk. Allerdings ist er nicht gleich 1990 abgesprungen, sondern durfte den Untergang der Fabrik zunächst aktiv mitgestalten.

Zum Jahresende 1993 wurde Frase zusammen mit vielen anderen Mitarbeitern entlassen und landete in einer Auffanggesellschaft. "Kurzarbeit Null" hieß seine neue Aufgabe. Vielleicht war es das Beste, was ihm passieren konnte, denn so musste er einerseits nicht bei der Beseitigung seiner bisher erbrachten Arbeit zupacken und hatte andererseits die Gelegenheit, sich zum Energieberater mit Schwerpunkt Solartechnik umschulen zu lassen. Danach arbeitete er ein Jahr lang in der Vorgängergesellschaft des Institutes für Solartechnik, bevor er arbeitslos wurde. Danach hat sich Frase "so durch die Klippen geschifft": Wieder eine Weiterbildung, diesmal mit Praktikum in einer Fürstenwalder Elektronik-Firma und der Hoffnung auf einen neuen Job, die er allerdings begraben musste, weil ihn das Unternehmen nicht bezahlen konnte. Also noch ein betrieblicher Lehrgang, nun wieder in Frankfurt. Frase, inzwischen ausgebildeter "Innovationsmanager", sollte von der Firma übernommen werden, woraus wegen unterschiedlicher Gehaltsvorstellungen jedoch nur ein Feierabendjob wurde. Seit 15. Januar dieses Jahres hat Frase "praktisch den alten Job von damals in einer neuen Firma" bekommen, die in der Nachbarschaft der geplanten Chipfabrik etwa hundert Leute beschäftigt und für die das neue Projekt "sicher eine große Konkurrenz werden wird. Aber wir können wohl auch nebeneinander überleben. Nur: wenn die neue Chipfabrik den Leuten mehr Geld bietet, dann werden die besten Leute wohl dorthin gehen."

Frase meint damit hauptsächlich diejenigen, die schon jetzt in der Region arbeiten: "Wer kommt schon gern hierher nach Frankfurt?" Mit frisch gebackenen Uni-Absolventen sei ein Projekt vom Format der "Communicant AG" kaum zu bewältigen. "Wenn die in zwei Jahren mit der Produktion beginnen wollen, werden sie sich Gedanken machen müssen, woher sie genug gute Fachleute bekommen."

Die Gründer der neuen Fabrik rechnen mit 1500 eigenen Mitarbeitern und schätzungsweise zweitausend in ihrer Peripherie. Zur Frankfurter Arbeitslosenquote von gut 18 Prozent tragen zwar auch viele der einstigen Halbleiterwerker bei. Aber ohne umfangreiche Fortbildung wäre deren technisches Know-how heute wohl allenfalls für ein Museum der Mikroelektronik zu gebrauchen. Im computeranimierten Modell der neuen Chipfabrik fährt die Straßenbahn bis direkt vor die Tür. Bisher mit nur einem Wagen. Bestimmt muss ein zweiter angehängt werden, wenn die Straßenbahn eines Tages Europas modernste Chipfabrik mit einem attraktiven Hauptbahnhof verbindet.

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