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Brandenburg: Opfer rechtsextremer Gewalttaten: "Ich mag die Sonne in den Augen" - ein Interview

Seit einer Woche ist Noel Martin wieder in Deutschland. Der 41-jährige Brite kehrte dahin zurück, wo rechtsradikale Jugendliche ihm 1996 bei einer Verfolgungsjagd einen Feldstein ins Auto warfen, so dass er gegen einen Baum raste.

Seit einer Woche ist Noel Martin wieder in Deutschland. Der 41-jährige Brite kehrte dahin zurück, wo rechtsradikale Jugendliche ihm 1996 bei einer Verfolgungsjagd einen Feldstein ins Auto warfen, so dass er gegen einen Baum raste. Seitdem ist er schwerstbehindert. Noel Martin kam als Zehnjähriger von Jamaica nach England. 1996 ging er nach Mahlow, weil der Holzmann-Konzern qualifizierte Bauleute suchte.

Welche Körperteile können Sie bewegen?

Meine Schultern. Und den rechten Arm - gerade so weit, dass ich den Rollstuhl steuern kann. Manchmal bin ich zu erschöpt; dann müssen ihn die Pfleger fahren.

Spüren Sie Gefühle wie Hunger? Oder Wärme, wenn die Sonne scheint?

Ich fühle die Wärme im Gesicht, ich mag die Sonne in den Augen. Ohne Sonne kühle ich aus, aber ich merke es nicht. Also müssen die Pfleger aufpassen. Wenn mir kalt ist, fange ich an zu schwitzen. Das normalisiert sich erst nach drei, vier Stunden wieder.

Wie viele Pfleger brauchen Sie?

Insgesamt acht: morgens, tagsüber und nachts jeweils zwei. Und am Wochenende zwei andere.

Könnte es Ihnen irgendwann besser gehen?

Möglich. Eine Operation würde mir vielleicht helfen, mich ein bisschen mehr bewegen zu können. Ich werde das wohl machen lassen, denn in meiner Situation kann es eigentlich nur besser werden.

Wie sieht Ihr Alltag in Birmingham aus?

Aufstehen, Anziehen und so weiter brauchen etwa vier Stunden. Dann kümmere ich mich um Rechnungen, lese die Post, mache manchmal Physiotherapie. Abends unterhalte ich mich mit Freunden, die dafür natürlich zu mir kommen müssen.

Kann Ihr Haus behindertengerecht umgebaut werden?

Möglich ist es. Die deutschen Behörden befassen sich zurzeit damit; hoffentlich kriegen wir das hin. Ich habe nichts verbrochen und lebe seit fünf Jahren wie ein Gefangener. Das ist eine lange Zeit. Ich war nur drei Mal draußen: einmal, um meine Frau zu begraben. Dann, um eine Show zu besuchen; das brauchte einen Riesenaufwand. Und jetzt, um nach Deutschland zu kommen.

Wie sieht Ihre Umgebung aus?

Das Haus hat einen wunderbaren Garten mit Unmengen von Blumen. Meine Frau ist dort beerdigt. Ich habe einen Rosengarten um ihr Grab anlegen lassen. Sobald ich kann, will ich rausgehen und mit ihr sprechen. Ansonsten schaue ich durchs Fenster auf ihr Grab. So fühle ich mich ihr näher, als wenn sie auf dem Friedhof läge.

Gab oder gibt es Momente, in denen Sie lieber tot wären?

Ich wollte im vorigen Jahr gemeinsam mit meiner Frau sterben. Es war so geplant, aber dann kam sie plötzlich ins Krankenhaus. Ich musste in die Klinik, um sie noch vor ihrem Tod zu heiraten. Es wäre wunderbar gewesen, wenn ich mit ihr gestorben wäre.

Gibt es Tage, an denen Sie morgens aufwachen und sich richtig gut fühlen?

Ich fühle mich eigentlich jeden Morgen gut. Ich muss doch meine Pfleger unterhalten, Freunde zum Lachen bringen. Wirklich am Boden bin ich selten.

Haben Sie vor irgendetwas Angst?

(Lacht.) Nein, nie. Höchstens um meinen Vater. Er sieht mich immer noch als sein Kind. Immer, wenn er mich besucht, muss er drei Tage im Bett verbringen, um darüber wegzukommen, weil es so traurig für ihn ist. Andere können mich überhaupt nicht mehr besuchen, weil sie es nicht aushalten, mich in diesem Zustand zu sehen.

Sind Sie langfristig finanziell abgesichert?

Nein. Ich verbrauche so viel Geld. Wie viel Zeit es beispielsweise gekostet hat, bis ich endlich ein Auto hatte. Weder die britische noch die deutsche Regierung wollten etwas zuzahlen. Jetzt hat die deutsche Regierung eins umbauen lassen. So komme ich aus dem Haus, wenn ich raus will. Vorher hätte ich jedes Mal für fast 400 Mark einen Krankenwagen nehmen müssen. Insofern löst Geld zumindest einen Teil der Probleme.

Was wollen Sie als nächstes erreichen?

Mein Lebensinhalt besteht jetzt darin, möglichst bald Kinder und Jugendliche mit rassistischen Gedanken aus Brandenburg in meine Heimat nach Birmingham zu holen, damit sie mit Menschen aus anderen Völkern Spaß haben und das anschließend hier weitererzählen.

Wann werden Sie wieder in Mahlow sein?

Sobald wie möglich, um die Kids für mein Projekt auszusuchen. Vielleicht im nächsten Sommer. Oder im Sommer darauf. Es geht jedenfalls nur bei warmem Wetter. Außerdem brauche ich die Hilfe der Behörden dafür. Aber ich werde wiederkommen.

Sie sagten einmal, dass Sie Mahlow lieben.

Ja, das Grün und die Felder erinnern mich an Jamaica, wo ich herkomme. Es gibt keinen Grund, Mahlow nicht zu lieben. Das Problem sind ein paar Bewohner, nicht der Ort.

An der Stelle, wo Sie verunglückt sind, steht jetzt ein Denkmal. Wie ist es, als Lebender die eigene Gedenkstätte zu sehen?

Das Denkmal ist gut, denn es erinnert die Menschen beim Vorbeifahren jedes Mal daran, was Rassismus anrichten kann.

Welche Körperteile können Sie bewegen?

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