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Reizthema Armenier: Türken gegen Ausbau des Lepsius-Gedenkhauses

Der deutsche Orientalist Johannes Lepsius dokumentierte 1915 als einer der ersten den Massenmord an den Armeniern - die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert nun, dass die Bundesregierung den Ausbau des Potsdamer Lepsius-Hauses nicht fördert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält in dieser Woche Post mit Ratschlägen der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). Betreff: das umstrittene Lepsius-Haus in Potsdam. „Sein Ausbau wird die Völkerverständigung zwischen Armeniern und Türken erschweren“, heißt es darin. „Die Türken in Deutschland sind traurig und entrüstet bei der Vorstellung, dass die Bundesregierung eine solche Gedenkstätte fördert.“ Deshalb rät die TGD, von der zugesagten finanziellen Unterstützung Abstand zu nehmen. Die Pressemitteilung dazu existiert bislang nur in türkischer Sprache.

Der geplante Ausbau der Gedenkstätte für den Orientalisten Johannes Lepsius (1858–1926) bietet seit Jahren Zündstoff für Streitigkeiten. Der evangelische Theologe und Humanist verfasste 1915 einen „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“, dem er später den Titel „Der Todesgang des armenischen Volkes“ gab. Darin dokumentierte er den Massenmord an Armeniern durch die jungtürkische Regierung im untergehenden Osmanischen Reich, die mit doppelten Befehlsstrukturen ihre offizielle Politik konterkarierte und neben Deportationen den Aufbau einer mordbereiten Parteimiliz zuließ.

Lepsius’ Bericht gilt vielen als Beweis dafür, dass es sich dabei um einen Völkermord handelt. Der türkische Staat beharrt seit jeher darauf, das düstere historische Kapitel, dem zwischen 1915 und 1918 nach neueren Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, nicht als Genozid anzuerkennen.

Das sanierungsbedürftige Lepsius-Gedenkhaus in Potsdam, das vom Förderverein bereits zu Gedenkzwecken genutzt wird, ist daher ein Reizthema. Neuester Auslöser: Der Vereinsvorsitzende Peter Leinemann hat in den Potsdamer Neuesten Nachrichten erklärt, dass die Bundesregierung einer Fördersumme von rund 600.000 Euro für den Innenausbau und Forschungsarbeiten zugestimmt habe.

Grundlage für die seit 2008 bestehende Zusage einer finanziellen Unterstützung ist der Antrag zu „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915“, den 2005 alle Bundestagsparteien außer der Linksfraktion unterschrieben haben. Die Linke formulierte stattdessen eine parlamentarische Anfrage, in der sie Lepsius als „extrem rechtsgerichteten Antidemokraten“ und „Anhänger der antisemitischen Rassenideologie“ bezeichnete. Nicht Humanismus, sondern das Ziel, eine deutsche Expansion im Osmanischen Reich zu ermöglichen, sei sein Antrieb gewesen.

Die Bundesregierung antwortete darauf, geschichtswissenschaftliche Fragen müssten noch erörtert werden. Aufgabe des Hauses werde es ohnehin, „sich mit der Person Johannes Lepsius kritisch zu befassen“.

„Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen“, sagt Professor Hermann Goltz, der sich wissenschaftlich mit Lepsius beschäftigt hat und im Vereinsvorstand des Gedenkhauses sitzt: „Das sind an den Haaren herbeigezogene Aussagen, die man aus einzelnen Nebensätzen herausgegriffen hat.“ Im Zentrum der Arbeit der Gedenkstätte stehe das Armenische Hilfswerk, das der Humanist sehr wohl aus Nächstenliebe gegründet habe. „Der Brief der Türkischen Gemeinde überrascht uns nicht“, sagt Goltz verärgert – seit vielen Jahren werde das Lepsius-Haus von Türken beschimpft und auch von der türkischen Botschaft angegriffen. „Wir lassen uns aber von der Türkei nicht vorschreiben, wen wir ehren und wen nicht.“ Und auch wenn es im Einzelnen noch viel Forschungsbedarf gebe: „Die Tatsachen eines Völkermords ist eindeutig dokumentiert.“

Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde in Deutschland argumentiert dagegen: „Es sind damals im Osmanischen Reich schreckliche Sachen passiert. Aber bevor man den Ausdruck Genozid bemüht, sollte eine unabhängige Historikerkommission die Dokumente auswerten“, sagte er dem Tagesspiegel. Man brauche „eine breite und offene Diskussion über das Tabuthema in der Türkei – aber auch in Deutschland“. In der türkischen Zeitung „Hürriyet“ forderte Kolat, den Vorwurf des Völkermords aus dem Lehrmaterial der Schulen zu streichen – darum wolle er Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bitten, da die Aussage den inneren Frieden  gefährde, türkischstämmige Schüler unter psychologischen Druck setze und ihren Leistungen schade. Brandenburg führt als bislang einziges Bundesland das Schicksal der Armenier in seinem Geschichte-Lehrplan auf.

Ferda Ataman

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