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Brandenburg: Resozialisierung im Kopf

In Brandenburgs Jugendgefängnissen gilt jeder vierte Insasse als rechtsextrem. Ein Modellprojekt soll ihre Weltsicht geraderücken

Potsdam - Ihre grausame Tat ging durch die Medien: In einer Juli-Nacht im Jahr 2002 folterten drei Jugendliche aus dem Dorf Potzlow in Brandenburg den 16-jährigen Schüler Marinus Schöberl zu Tode. Ein Motiv hatten sie nicht, aus vermeintlich menschenverachtend rechtsextremer Gesinnung, wie die Staatsanwaltschaft später konstatiert, quälten sie ihr Opfer. Einer von ihnen sprang Marinus mit Springerstiefeln auf den Hinterkopf und zertrümmerte ihm mit einem Stein den Kopf. Die Jugendlichen wurden zu drei bis 15 Jahren Haft verurteilt. Drei Rechtsradikale mehr, die hinter Gittern verschwanden.

Aber was geschieht eigentlich mit rechtsextremen Tätern im Knast? Mit jenen Potzlower Jugendlichen, die einen Stotterer mit blondiertem Haar und Hiphopper-Hose, der nicht in ihr nationalistisches Weltbild passte, brutal ermordeten. Oder den rechten Schlägern, die den schwarzen Engländer Noel Martin zum Pflegefall machten. Oder den Jugendlichen, die in einer Straßenbahn in Cottbus einen Mann zusammenschlugen und gefährlich verletzten, der sich einmischte, als sie ein dunkelhäutiges Paar beleidigten. Was macht ein Staat, damit die Täter nicht genauso rechtsradikal aus dem Knast herauskommen, wie sie hineingegangen sind?

Im Potsdamer Justizministerium hat Elisabeth Theine ihr Büro. „Bis vor ein paar Jahren gab es keine speziellen Programme für Rechte im Vollzug“, sagt die Fachreferentin. Einzelne Anstalten hätten Antiaggressionstrainings angeboten. Im Erwachsenenvollzug wurde versucht, mit Repressionen wie Besuchsverboten oder dem Kontrollieren von Briefen gegen Rechtsextremismus anzugehen. Inzwischen aber tut sich etwas mehr – seit das Justizministerium die erschreckenden Ergebnisse einer Befragung auf den Tisch bekam: Laut Gefängnismitarbeitern gehören von den insgesamt 2400 Häftlingen in Brandenburg 290 dem rechtsextremen Umfeld an. Jeder Achte also sitzt wegen rechtsextrem motivierter Gewalt, verhält sich wie ein Rechtsextremer oder sieht so aus, gaben die Mitarbeiter an. Im Jugendknast ist sogar jeder Vierte in diesem Sinne rechtsextrem. Die Befragung ist zwar inzwischen sechs Jahre alt. „Aber die Kriminalstatistik lässt darauf schließen, dass es heute in den Gefängnissen kaum anders aussieht“, sagt Theine.

Das Ministerium hat mit einem Modellprojekt für rechtsextreme Jugendliche reagiert: Ein Trainingsprogramm soll die jungen Täter dazu befähigen, Verantwortung zu übernehmen, vom rechtsextremen Denken abzukommen und gewaltfrei leben zu lernen. Das Training beginnt im Knast und geht weiter, wenn sie wieder draußen sind. 144 Jugendliche haben von 2001 bis 2005 mitgemacht. Die ersten Ergebnisse sprechen für sich: Von den Teilnehmern waren weniger als zehn Prozent rückfällig. Die Rückfallquote aller Jugendlichen, die bundesweit im Knast landen und ohne Hilfsprojekt wieder rauskommen, liegt hingegen bei 78 Prozent. Auch wenn die Zahlen nicht direkt vergleichbar seien – und die Bundesquote über einen längeren Zeitraum bemessen werde – würden sie doch eine klare Tendenz zeigen, sagt Theine.

Für die Durchführung des freiwilligen Trainings ist das „Archiv für Jugendkulturen“ zuständig. Der Verein hat seinen Sitz in Berlin. Thomas Mücke läuft mit dem Handy durch das schlicht möblierte Büro und hört zu, wie jemand auf der anderen Seite von seinen Problemen erzählt. Er ist Pädagoge, 48 Jahre, ein schmaler, sonnenbrauner Typ und einer der sechs Trainer des Vereins. Regelmäßig fährt er in die Vollzugsanstalten in Wriezen, Spremberg oder Cottbus und versucht in Einzel- und Gruppengesprächen, mit Rollenspielen und politischer Bildung, die auf rechts gedrehte Weltsicht jugendlicher Gewalttäter wieder geradezurücken. Er arbeitet mit ihnen ihre Taten auf und entwickelt Zukunftspläne.

Als die Trainer das Programm in den Gefängnissen vorstellten, wurden sie noch bedroht. Inzwischen aber gibt es Wartelisten. Allerdings kann nicht jeder mitmachen. Das Programm richtet sich nur an Mitläufer, rechtsextreme Rädelsführer sind ausgeschlossen. Sie würden in der Gruppe die Macht an sich reißen und einen offenen Austausch verhindern, sagt Mücke. Diesen Austausch anzuregen, sei hingegen gar nicht so schwer wie erwartet. „Wenn die Teilnehmer erkennen, dass sie den Trainern trauen können und dass alles, was sie von sich preisgeben, der Schweigepflicht unterliegt und keine Konsequenzen hat, haben sie einen regelrechten Hunger, sich zu offenbaren“, sagt Mücke. Und: Der Trainer wird zu ihrer Bezugsperson. Bis zu einem Jahr oder auch länger trifft er die Jugendlichen weiter, wenn sie wieder draußen sind. Und sie erreichen ihn jederzeit per Handy.

Rund 220 000 Euro lassen sich Bund und Land die Maßnahme jährlich kosten. Größter Förderer ist die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB). „Das Modellprojekt ist ein Vorreiter für ähnliche Initiativen mit Rechtsradikalen oder muslimischen Extremisten in anderen Bundesländern“, sagt Ulrich Dovermann von der BPB. Anders als viele andere Projekte gegen Rechtsextremismus, die aus dem Bundesetat finanziert werden, brauche das Brandenburger Modell auch nach dem Abschluss der Testphase im Dezember nicht um die Förderung zu bangen. Der Betrag werde allerdings „etwas geringer“ ausfallen. Das Budget der BPB dafür sei zwar im nächsten Jahr sogar höher, müsse aber auf weitere Bundesländer verteilt werden, die dann mit dem Projekt starten. Derzeit werde noch verhandelt.

Das Projekt hat aber auch Kritiker. „Da wird eine Menge Geld investiert und viele Pädagogen eingesetzt, um geradezubiegen, was viel früher hätte erkannt werden können“, sagt Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Er erhofft sich mehr von einer Studie, die bereits in Arbeit ist und untersucht, was dazu führt, dass junge Menschen rechtsradikal und gewalttätig werden und wie und warum manche den Ausstieg schaffen. Daraus könnten Rückschlüsse gezogen werden für Prävention und Strafen für die Täter. Aber „trotzdem ist es gut, dass man überhaupt was macht“, sagt Rautenberg.

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