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© dpa

Rot-Rot in Brandenburg: Da läuft noch einiges schief

Brandenburgs rot-rote Koalition von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) regiert fast 100 Tage:  Die Stasi-Enthüllungen machten bundesweit Schlagzeilen, doch die inhaltliche Bilanz ist mager. Das SPD/Linke-Bündnis, das mit einem öffentlichem Beschäftigungs-Sektor, Schülerbafög und anderen Sozialversprechen antrat, kann kaum Erfolge vorweisen.

Matthias Platzeck: Es ist die dritte Regierung des SPD-Ministerpräsidenten, der selbst sogar bereits seit 1990 am Kabinettstisch sitzt. Aber noch nie ist eine Koalition so schlecht gestartet wie Rot-Rot – nicht nur wegen der Stasi-Minen. Der Chef hat die Zügel nicht mehr so fest in der Hand. Er moderiert zu viel, hält sich aus Konflikten lieber raus. So ließ es Platzeck bisher zu, dass Innenminister Rainer Speer (SPD) und Finanzminister Helmuth Markov (Linke) im Kabinett regelmäßig aneinandergeraten. Auch hat seine öffentliche Präsenz im Land nachgelassen. Ein Coup war es, mitten in der Stasi-Debatte die DDR-Oppositionelle Ulrike Poppe als erste Stasi-Landesbeauftragte zu gewinnen.

Helmuth Markov: Er übernahm das Amt zu blauäugig, der erste Linke-Finanzminister in Deutschland und Platzeck-Vize, geprägt vom harmonischen EU-Parlament. Doch Administration verlangt andere Stärken. Der leidenschaftliche Debattierer machte die bittere Erfahrung, dass ihn das für sein Eigenleben berüchtigte Ministerium mit der Stasi-Jubiläumsverordnung ins Messer laufen ließ. Sein Krisenmanagement war nicht professionell. Markov, sprachgewandt und sicher auf dem Protokoll-Parkett, zieht nun die Zügel an. Der Haushalt 2010 wird am Dienstag im Kabinett beschlossen, das ist seine Feuertaufe. Der mächtige Gegenspieler bleibt: Sein Vorgänger, Innenminister Rainer Speer (SPD), sieht sich als Neben-Finanzchef. Mal sehen, ob Markov für die Personalplanung des Landes zuständig bleibt.

Jutta Lieske: Superministerin, SPD, zuständig für das um Landwirtschaft erweiterte Infrastrukturressort, blieb blass, setzte keine Akzente. Peinlich für Rot-Rot: Das Ministerium vergab ein Lausitzer Schienennetz ohne Sozialstandards, obgleich die schon unter Rot-Schwarz zugesichert waren. Es rächt sich, dass Staatssekretär Jörg Vogelsänger, zuvor im Bundestag, keine Verwaltungserfahrung hat. Dessen Vorgänger Rainer Brettschneider, ohne den es den BBI-Flughafen nicht gäbe, hatte Platzeck in die Wüste geschickt.

Volkmar Schöneburg: Der Linke-Justizminister und Ex-Verfassungsrichter schaffte es immerhin, Akzeptanz im „feindlichen“ Ministerium zu gewinnen. Dort waren die Vorbehalte groß. Seine CDU-Vorgängerin Beate Blechinger hatte eine Amtsübergabe verweigert. Schöneburg punktet als Jurist, er setzte erste Duftnoten, stoppte eine Investition in eine Haftanstalt in der Stadt Brandenburg und bot Berlins Senatorin Gisela von der Aue an, leere Gefängniszellen in Brandenburg mitzunutzen.

Holger Rupprecht: Als einziger Minister führt er das gleiche Ressort wie vor der Landtagswahl: Obwohl der SPD-Bildungsminister sich nicht einzuarbeiten brauchte, schaffte er es bisher nicht, die lange vor der Landtagswahl propagierten Bildungsversprechen umzusetzen: Am versprochenen Schülerbafög, der Einstellung von 1250 neuen Lehrern sowie kleineren Kitagruppen wird gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet.

Rainer Speer: Der Innenminister (SPD), vorher Finanzminister und früher auch schon Chef der Staatskanzlei und Umweltstaatssekretär, ging gut vorbereitet in den neuen Job. Sein Markenzeichen ist der Verzicht auf die Bodyguards. Er schlug Pflöcke ein, beerdigte umgehend das Tragschrauber-Projekt seines CDU-Vorgängers Jörg Schönbohm, stoppte den Umzug der Hubschrauberstaffel nach Schönhagen, ließ überzogene Abzock-Geschwindigkeitskontrollen drosseln und Himmelslaternen verbieten. Im Ministerium blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Vor allem aber leitete Speer – der starke Mann der SPD und mögliche Nachfolger Platzecks – eine radikale Polizeireform ein, bei der Präsidien, Schutzbereiche und Wachen reduziert werden. In Kürze will Speer das Geheimnis lüften, wie viele der bisher 9000 Polizeistellen abgebaut werden sollen – man munkelt zwischen 1800 und 2600.

Ralf Christoffers: Es gab keinen Bruch – das wurde dem Wirtschaftsminister der Linken selbst vom scheidenden Chef-Wirtschaftsförderer Detlev Stronk (CDU) bescheinigt. Der Linke führt das Amt passabel, ist seinen Genossen schon zu liberal, zu Braunkohle-freundlich sowieso. Eine kluge Personalentscheidung hilft ihm: Er hatte sich den Staatskanzlei-Mitarbeiter Henning Heidemanns als Staatssekretär geholt, der den Brandenburger Apparat bestens kennt. Vergabegesetz mit Mindestlöhnen, neue Förderprogramme sind in Arbeit, aber noch nicht fertig.

Martina Münch: Die Wissenschafts- und Kulturministerin (SPD) wurde sofort von Studentenprotesten in Atem gehalten, die sie mit zu entschärfen verstand. Bei den Hochschulen findet die souverän agierende Neue, Mutter von sieben Kindern, Anerkennung. Mit Staatssekretär Martin Gorholt, Ex-SPD-Bundesgeschäftsführer, führt zumindest ein Profi das Haus. Schwachstelle ist die Kultur, wegen Geldmangel brennt es besonders bei den freien Trägern an vielen Ecken.

Günter Baaske: Der Arbeits- und Sozialminister hatte den Posten schon von 2002 bis 2004 inne. Und wollte ihn unbedingt wieder. Dennoch fiel der Ex-Chef der SPD-Landtagsfraktion bisher vor allem durch Attacken auf „Grausamkeiten“ der schwarz-gelben Bundesregierung auf. Sein Ministerium hat an Einfluss verloren: Die Gesundheitsabteilung ging zum Linke-Verbraucherschutzressort. Er gab die Zuständigkeit für das Vergabegesetz an das Linke-geführte Wirtschaftsministerium ab . Mal sehen, ob und wie er den öffentlichen Beschäftigungssektor schafft.

Anita Tack: Sie wäre lieber Verkehrsministerin geworden, die resolute Linke. Zuständig für Gesundheit, Umwelt, Verbraucherschutz hat sie aber die Chancen des fachfremden Amtes erkannt. Sie hat – ob beim Umgang mit der Schweinegrippe oder der Finanzierungsnot um ambulante Gemeindeschwestern – keine erkennbaren Fehler gemacht. Sie befriedete das zerrüttete Regierungsverhältnis zu den Umweltverbänden – und plant ressortübergreifend eine „Nachhaltigkeitsstrategie“.

Eine Analyse von Thorsten Metzner

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