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Brandenburg: Schmerzhafte Begegnungen

Im Prozess gegen die Mutter der neun toten Babys verweigern ihre erwachsenen Kinder die Aussage.

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Stefanie H. hat ihre üppige Haarpracht zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der auf und ab wippt, als sie im Zeugenstand vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) Platz nimmt. Das sieht fröhlich aus, aber die 21-Jährige hat Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Nur wenige Meter von ihr entfernt sitzt der Mensch, der Stefanie H. am nächsten stehen sollte: ihre Mutter – angeklagt eines unfassbaren Verbrechens: Sabine H. soll zwischen 1992 und 1998 acht ihrer Kinder kurz nach der Geburt getötet und in Blumentöpfen und anderen Pflanzgefäßen versteckt haben. Der Tod eines weiteren Babys im Jahr 1988 ist verjährt.

Die neun toten Babys waren also Stefanies Schwestern und Brüder. Eine DNA-Analyse hat ergeben, dass sie auch denselben Vater hatten – den 43- jährigen Oliver H. Stefanie kam als erstes Kind des Ehepaares zur Welt, die Brüder Dan und Ivo wurden in den Jahren darauf geboren. Danach, so hat es Sabine H. in der richterlichen Vernehmung nach ihrer Verhaftung erzählt, wollte Oliver H. angeblich keine Kinder mehr. Und seine Frau ließ das nächste Kind nach der Geburt sterben. Weil sie Angst hatte, ein Frauenarzt könne im Nachhinein die verheimlichte Schwangerschaft feststellen, suchte sie von da an keinen Gynäkologen mehr auf, um sich Verhütungsmittel verschreiben zu lassen. Wenn die Wehen einsetzten, betrank sich die 40-jährige gelernte Zahnarzthelferin und ließ das Kind so lange unversorgt, bis es tot war. Das hat sie jedenfalls dem Vernehmungsrichter erzählt, in dem Prozess wegen Totschlags durch Unterlassen schweigt Sabine H. bislang.

Am gestrigen dritten Verhandlungstag war ihr zumindest einmal eine Regung anzumerken. Als sie ihre Tochter vor sich sah, hatte sie Tränen in den Augen, knüllte ein Taschentuch zusammen und bemühte sich sichtlich um Blickkontakt. Doch Stefanie H. schaute nur einmal kurz zu ihrer Mutter, als sie beim Richter ihren Antrag auf Reisekosten-Rückerstattung abholte und an der Anklagebank vorbei musste. Eine Aussage aber traf die 21-Jährige nicht: Sie machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Auch ihre beiden Brüder wollten nicht gegen die Mutter aussagen, die krebskrank sein soll und jeglichen Kontakt mit ihren Angehörigen abgebrochen hat, seit sie in U-Haft sitzt. Der 20-jährige Dan verließ mit schweren Schritten den Gerichtssaal ohne Blick zur Mutter. Auch der noch kindlich wirkende 19-jährige Ivo starrte nach unten, knetete ein Basecap in den Händen und vermied es, seine Mutter anzusehen. Während ihr Gesichtsausdruck bei seinem Anblick fast zärtlich wurde.

Nachdem auch die 79-jährige Mutter der Angeklagten sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, sagten am Nachmittag zwei Lebensgefährten von Sabine H. aus. Der 39-jährige Jan Sch. hatte sie im November 2002 kennen gelernt. Er beschrieb Sabine H. als sympathische attraktive Frau, die ihre Kinder liebte. Er berichtete aber auch über das Alkoholproblem seiner Freundin – und dass sie auch während ihrer Schwangerschaft – mit Elisabeth, heute zweieinhalb Jahre alt – weiter exzessiv trank. Jan Sch. hatte Angst um das ungeborene Kind und musste Sabine H. geradezu zwingen, wegen der Schwangerschaft zum Frauenarzt zu gehen: „Sie hat sich dagegen gewehrt, mir vorgelogen, dass sie schon dort war und sogar den Mütterpass gefälscht“ , erzählt er.

Nachdem Elisabeth geboren war, habe sich Sabine H. liebevoll um sie gekümmert und die ersten Monate nach der Geburt auch nicht mehr getrunken. Dann habe sie aber wieder damit begonnen, so dass die Beziehung im Dezember 2004 zerbrach. Auch ihr nächster Freund, der 59-jährige Bernd B., berichtete gestern von den Alkoholexzessen. Und beide Zeugen erinnerten sich auch an Aussagen der Angeklagten, wonach ihr früherer Ehemann nach der Geburt des dritten Kindes keine weiteren Babys mehr haben wollte.

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