zum Hauptinhalt

Brandenburg: Sieben Kilometer bis zur nächsten Rente

In den Dörfern Brandenburgs schließen immer mehr Geldinstitute – für alte Menschen oft eine Katastrophe

Von Sandra Dassler

Falkenberg - Am Montag ist Gerti Becker das erste Mal in ihrem 74-jährigen Leben zu einer Demo gegangen. Besser gesagt: Halb gegangen, halb gefahren. Nach einem Schlaganfall und einer Herzoperation kann sich die schwerbehinderte Witwe nur noch mittels Gehhilfe in ihrem Heimatort Falkenberg im Landkreis Märkisch–Oderland bewegen. Glücklicherweise gibt es in dem 1600-Seelen-Dorf noch einen Bäcker, einen Metzger und einen Kaufladen. Die kann Gerti Becker erreichen. Das dazu nötige Geld holte sie sich bislang aus der Filiale der Postbank.

Doch die hat jetzt ihren Schalter geschlossen, zwei Jahre nachdem die Sparkasse dichtmachte. In Falkenberg gibt es kein Geld mehr. Zum nächsten Automaten ins sieben Kilometer entfernte Bad Freienwalde kann Gerti Becker nicht fahren, weil sie weder in einen Bus noch in ein Auto steigen kann. Deshalb hat sie am Montag vor der Postbankfiliale demonstriert – mit Wut im Bauch und Tränen in den Augen. Rund 30 Falkenberger protestierten mit – die Bürgerinitiative Postbank Falkenberg hatte dazu aufgerufen.

„Für junge, mobile Menschen mag es kein Problem sein, zur nächsten Bank zu fahren“, sagt Heidrun vom Orde, die Sprecherin der Bürgerinitiative: „Aber das Durchschnittsalter der Falkenberger beträgt 64 Jahre und Menschen wie Gerti Becker gibt es viele. Wem sollen sie ihre Geldkarte anvertrauen, wenn keine Verwandten da sind?“ Die 47-jährige Altentherapeutin hat sogar an Post-Vorstandschef Klaus Zumwinkel, geschrieben und ihm die Situation in Falkenberg geschildert. „Die Postbank wirbt immer mit ihrem Seniorenbeirat und hier stellt sie die alten Leute ins Abseits“, begründet sie ihre Empörung: „Banken haben doch auch eine soziale Verantwortung.“

Post-Sprecher Rolf Schulz sieht das nicht so. „Anders als die Sparkassen haben die Postbanken keinen Versorgungsauftrag“, sagt er. Sie stünden im freien Wettbewerb und müssten sich in erster Linie rechnen. Deutschlandweit hat die Postbank in den vergangenen Jahren mehr als tausend Filialen geschlossen – nicht wenige davon im ländlichen Brandenburg, wo die Einwohnerzahl sinkt und junge Menschen abwandern. Aber auch andere Kreditinstitute ziehen sich mehr und mehr aus der Fläche zurück. Statistisch erfasst wurde diese Entwicklung lediglich von der Bundesbank. Dort ist zu erfahren, dass sich die Zahl der Haupt- und Nebenstellen von Kreditinstituten in Brandenburg von 1030 im Jahr 1993 auf 795 im Jahr 2003 verringerte. Seit 2003 gibt es keine auf Bundesländer bezogene Statistik mehr. Aber das Bankenschließen in Brandenburg und Berlin ist weitergegangen, sagt der Sprecher der Dienstleistungsgesellschaft Verdi, Andreas Splanemann: „Zweigstellen fusionieren, Personal wird abgebaut, viele Schalter und selbst Geldautomaten werden geschlossen. Alle begründen das mit mangelnder Wirtschaftlichkeit und mit den neuen technischen Möglichkeiten.“

Natürlich nutzen immer mehr Kunden beispielsweise das Online-Banking. Aber gerade ältere Menschen benötigen oft Hilfe in Geldangelegenheiten. Und sie sind am wenigsten mobil. Ein beispielgebendes Modell hat die Mittelbrandenburgische Sparkasse bereits Anfang der 90er Jahre entwickelt. Ihre „Rollende Sparkasse“ fährt die Dörfer, in denen es keine Bankfilialen gibt, regelmäßig an.

Jörn Obermaier, Fahrer und Bankangestellter in einem, zahlt seinen dankbaren Kunden nicht nur die Rente aus, sondern ruft auch mal bei einer Behörde an, wenn jemand vergessen hat, das Kassenzeichen anzugeben. Die „Rollende Sparkasse“ rechnet sich sogar. Warum es sie anderswo nicht gibt, kann Gerti Becker in Falkenberg nicht verstehen. Für sie und viele andere Rentner im Land wäre das die Chance, auch weiterhin ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false