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Brandenburg: Stolpe auf Friedenskurs und die Grünen ausgesperrt

Rainer Eppelmann erinnert sich noch heute recht genau an die Zeit des Friedenskampfes in der DDR. Damals, 1983 - Hochzeit der Kampagnen gegen die Raketen in Ost und West.

Rainer Eppelmann erinnert sich noch heute recht genau an die Zeit des Friedenskampfes in der DDR. Damals, 1983 - Hochzeit der Kampagnen gegen die Raketen in Ost und West. Die bundesdeutsche Friedensbewegung konnte auf erhebliche ideelle und materielle Unterstützung der DDR bauen. Doch wer hier Schwerter zu Pflugscharen schmieden wollte, galt als Staatsfeind. Das mußten auch die Bonner Grünen erleben, als sie in der DDR die dortige Friedensbewegung von unten unterstützen wollten. Heute sind indes aus vielen Friedensmarschierern Befürworter der Nato geworden, in einigen Fällen sogar ministerielle. In der DDR stand ihnen damals der Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche, Manfred Stolpe, als Partner gegenüber. Der empfahl der Nato im Krieg gegen Milosevic als SPD-Bedenkenträger schon sehr früh eine Feuerpause. Vor sechzehn Jahren sorgte er im Zusammenspiel mit der Staatssicherheit dafür, daß der Frieden der DDR-Staatsmacht nicht allzu sehr gestört wurde. Eppelmann zum Tagesspiegel: "Stolpe wollte immer moderieren, nie etwas forcieren. Statt etwas zu verbieten, wollte er Aktionen lieber verwässern und glätten".

Eine bislang unveröffentlichte Studie über "Die Grünen der Bundesrepublik in der politischen Strategie der SED-Führung", die von Historikern und Zeitzeugen wie Carlo Jordan, Stefan Wolle und Armin Mitter erarbeitet wurde, untersucht insbesondere die Rolle Stolpes in jener Zeit, als die Friedensbewegung Ost offener auftrat und das SED-Regime mit Verhaftungen, Verurteilungen und subtilem Ausreisezwang reagierte.

Zur Vorgeschichte: 12. Mai 1983, 11.50 Uhr, Berlin, Alexanderplatz: fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen, darunter Petra Kelly, Gerd Bastian und der heutige Fraktionsgeschäftsführer Lukas Beckmann, der in Stolpe bis heute einen Zuträger der DDR-Obrigkeit sieht, entrollen zwei Transparente: Die Grünen - Schwerter zu Pflugscharen. Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West. Wenige Minuten nur, und die Volkspolizei greift ein. Frau Kelly beschwert sich später über ein paar allzu forsche Handgriffe, doch die Aktion verläuft glimpflich. Die Volkspolizisten verabschieden sich mit Handschlag und den besten Wünschen für den Kampf gegen die Hochrüstung in Westdeutschland. Noch war die Kirche nicht gefordert. Als Vertreter der ostdeutschen Friedensbewegung allerdings Monate später an gleicher Stelle ein symbolisches "Massensterben" durchführen zu wollen, sind im Vorfeld potentielle Teilnehmer schon der Polizei zugeführt.

Den erstmaligen Einzug der Grünen in den Bundestag im Frühjahr des Jahres hatte die SED noch "grundsätzlich positiv" beurteilt. "Hierüber erhielten Kräfte eine vergleichsweise öffentlichkeitswirksame Tribüne", heißt es dazu in einem nur für den Dienstgebrauch bestimmten Papier, "die konsequent gegen die Politik der reaktionären Kreise in der CDU, CSU und FDP auftreten und sich für eine Abwendung der Stationierung von neuen USA-Erstschlagsraketen in Westeuropa einsetzen". Allerdings gelangten auch Personen in den Bundestag, namentlich die später von ihrem Lebensgefährten und "General für den Frieden", Bastian getötete Petra Kelly, "die diese Präsenz für antisozialistische Parolen und konterrevolutionäre Handlungen insbesondere gegen die DDR zu nutzen beabsichtigten". Das zu verhindern oder ihre Wirkung zu schmälern, war der später als IM enttarnte Berliner AL-Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider in der grünen Fraktion tätig geworden. Stasi-Akten, die dem Tagesspiegel vorliegen, zeigen, daß sich auch die grünen Gesprächspartner auf Seiten der Evangelischen Kirche in der DDR dazu hergaben. Denn die Grünen wurden für die SED immer wichtiger. Am 31. Oktober der historische Händedruck zwischen dem Staatsratsvorsitzenden und einer prominent besetzten Grünen-Delegation, auch "wenn das provokative Auftreten P. Kellys - sie hatte die Freilassung der "Verhafteten der DDR-Friedensbewegung" gefordert - bei maßgeblichen Vertretern der Evangelischen Kirche auf wachsende Ablehnung stieß", so ein Stasi-Bericht an Erich Mielke. Vor allem in diesen Tagen wollte die Kirchenleitung Zuverlässigkeit beweisen.

Innerhalb der Grünen gab es unterschiedliche Auffassungen über "öffentlichkeitswirksame Aktionen parallel oder im Anschluß an das Gespräch mit Honecker", so die Stasi. Ein paar Transparente - IM Schneider hielt seinen "persönlichen Friedensvertrag" hoch - brachten Bilder im Westfernsehen, erzielten aber zur Freude der Behörde, "nur geringe Öffentlichkeitswirkung". Otto Schily und Antje Vollmer trafen in diesen Tagen Bischof Forck, Präses Becker und Manfred Stolpe. Die Grünen erklärten, notierte ein Stasi-Mann, "daß sie in erster Linie zur unabhängigen Friedensbewegung in der DDR gekommen seien und von der Kirche erwarteten, diese Bewegung zu stärken".

Die Idee war, am 4. November um 13 Uhr je einen Globus mit einem Durchmesser von einem Meter zu den Botschaften der UdSSR und der USA zu rollen, um dort gleichlautende Petitionen zu überreichen. Treffen mit Bärbel Bohley, Vera Wollenberger und dutzenden anderen sollten ein breites Bündnis zustande bringen. Die Kirchen- und Staatsoberen waren alarmiert. Zunächst ließ die damalige Oberkirchenrätin Lewek laut Stasi-Akten mitteilen, daß sie die Aktion nur unterstütze, "wenn jegliches Spektakel vermieden werde und alle Einzelheiten vorher mit der Kirchenleitung abgesprochen und von ihr sanktioniert seien". Stolpe sprach sich danach grundsätzlich gegen die Aktion aus, und betonte, "daß sich die Kirche nicht schützend vor solche Aktionen stellen will, da es nicht in ihrer Absicht liege, auf Konfrontationskurs mit dem Staat zu gehen". Er schlug vor, die Anzahl der Teilnehmer auf je fünf Personen aus der BRD, den USA, Italiens, den Niederlanden und der DDR zu begrenzen. Ein Vorschlag, der in Anwesenheit von Bärbel Bohley abgelehnt wurde. Schließlich erwarteten die meisten für die "blockübergreifende Aktion" die Teilnahme einer "großen Zahl von DDR-Bürgern". Das aber wollten die Behörden verhindern.

Am nächsten Tag versuchte noch einmal Gerhard Häher, Leiter der "Westabteilung" im ZK, Gerd Bastian von der Aufgabe der Aktion zu überzeugen. Bastian gab sich einsichtig. Er nehme ohnehin nicht teil, wolle nach England reisen. Darauf ein neuer Gegenvorschlag der Kirche. Bischof Forck selbst wolle die Petition einige Tage später, "nach Beruhigung der Lage", in Begleitung von Vertretern der Grünen übergeben. Eine Straßendemonstration solle auf jeden Fall vermieden werden. Doch dieser Kompromiß vermochte weder die Friedensaktivisten aus Ost und West, noch die darüber unterrichteten DDR-Behörden ("Von Stolpe wird um schnelle Entscheidung seitens der zuständigen Organe der DDR ersucht.") zu überzeugen. Die Organe hatten längst anderes im Sinn. In einem "staatlicherseits mit Konsistorialpräsident Stolpe geführten Telefongespräch" noch in der Nacht (22.45 Uhr) deutete es sich unmißverständlich. Stolpe räumt darin ein, daß "unter Druck der Ereignisse Vorbeuge-Maßnahmen in Kraft gesetzt" werden und sichert zu, daß die Kirche sich nicht dazu äußern werde.

Schlag 24 Uhr wurden die ersten Maßnahmen eingeleitet. Über hundert DDR-Bürger waren bereits vorläufig festgenommen, durch überraschende Besuche von MfS-Mitarbeitern in der eigenen Wohnung blockiert oder anders an der Anreise nach Berlin gehindert worden. Zu den Festgenommenen gehörten Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Templin und Rainer Eppelmann. 49 Grünen wurde laut Stasi-Statistik morgens die Einreise in den Ostteil der Stadt verboten.

Rund dreißig hatten es dennoch bis zum Treffpunkt Friedrichstraße geschafft. Von ihnen wurden noch einmal 17 "zugeführt, als sie sich, vom damaligen Stadtjugendpfarrer Passauer dazu aufgefordert, den von Sicherheitskräften streng abgeschirmten Bereich zu verlassen, schon wieder auf dem Heinweg befanden. Trotz aller Vorbeuge-Maßnahmen, gab es erheblichen Wirbel. Die Evangelische Kirche sah sich noch am gleichen Tag zu einer Presseerklärung gezwungen, die natürlich nur im Westen ihre Öffentlichkeit fand. Darin äußerte Bischof Forck sein Bedauern, daß auch ihm ein "Besuch bei den Botschaftern der UdSSR und USA nicht gewährt wurde". Laut Stasi-Bericht rechtfertigte Stolpe intern den Hausarrest des eigenen Bischofs. Es sei darum gegangen, die Mitarbeiter von den Sicherheitskräften zu schützen. Forck forderte darüber hinaus, alle der Polizei zugeführten Personen "noch heute" freizulassen und die verhängten Hausarreste aufzuheben. Laut Stasi-Bericht wollte Stolpe mit der Erklärung demonstrieren, "daß die Kirchenleitung in dieser besonderen Situation zu den Betroffenen steht". Die haben das alles anders in Erinnerung.

Die Grünen-Expertise über den Herbst 1983 kommt zu einem klaren Ergebnis: "Stolpe unterrichtete die Staatsorgane über die Absichten der Organisatoren, so daß das MfS in der Lage war, mit flankierenden polizeilichen Maßnahmen die geplante Aktion ohne allzu großes Aufsehen abzuwürgen." Der SED sei es gelungen, "eine Situation abzuwenden, die strukturell dem Konflikt im Oktober 1989 geähnelt hätte". Zehn Jahre später konnte die Kirchenleitung der SEDFührung nicht mehr helfen.

BENEDICT MARIA MÜLDER

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