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Truppen in Brandenburg: Nach dem letzten Zapfenstreich: Wenn die Bundeswehr abzieht

Die Bundeswehr ist in Teilen Brandenburgs ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wo die Truppe abzieht, schwinden Jobs und Aufträge. Das hat der Ort Doberlug-Kirchhain vor drei Jahren erfahren.

Doberlug-Kirchhain - Verdächtig still ist es in der Lausitzkaserne. Der Wind rauscht durch die Bäume und Sträucher, die am Straßenrand wachsen. Sonst ist nichts zu hören. Es ist wie in einem Wild-West-Film, kurz vor der großen Rauferei. Doch wer darauf wartet, dass hier noch etwas passiert, wartet vergeblich. Die Stille bleibt, und mit ihr die Leere. In den Fahrzeughallen. In den Unterkünften. Im Wachturm. Vor drei Jahren ist die Bundeswehr hier fast vollständig abgezogen.

Auch in Doberlug-Kirchhain war mehr los, als die 1090 Fallschirmjäger hier arbeiteten und lebten. Die Soldaten kauften morgens beim Bäcker oder Metzger, trafen sich abends auf ein Bier in der Stadt. Zu Gelöbnissen kamen Besucher und übernachteten in den Hotels. Wenn die Soldaten übers Wochenende heimfuhren, tankten sie am Ortsausgang. Außerdem vergab die Bundeswehr Aufträge an Unternehmen in der Region. All das fiel durch die Reform unter dem ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) weg.

Weitere Standorte könnten geschlossen werden, denn Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) plant ebenfalls, die Bundeswehr neu zu strukturieren und die Truppen zu reduzieren. Zwar wird darüber frühestens Mitte 2011 entschieden. Doch schon jetzt warnt der Städte- und Gemeindebund Brandenburg vor weiteren Schließungen. Der Landesgeschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher spricht von einer großen Bedeutung der Bundeswehr für das Land. „Wir haben relativ wenig Industrie. Die Bundeswehr ist für uns ein wichtiger Arbeit- und Auftraggeber.“

Der Bürgermeister von Doberlug-Kirchhain, Bodo Broszinski, erinnert sich wehmütig an die Zeit, in der noch vieles besser lief in seiner Stadt mit knapp über 9000 Einwohnern, 100 Kilometer südlich von Berlin. Die wirtschaftlich schwache Gegend leidet unter dem Abzug. „Als ich damals erfahren habe, dass die Kaserne schließen wird, war das wie ein Schlag in die Magengrube“, erzählt Broszinski.

Wehrtüchtig. In den Werkshallen von Doberlug-Kirchhain werden Bundeswehrpanzer und andere Armeefahrzeuge instand gesetzt.
Wehrtüchtig. In den Werkshallen von Doberlug-Kirchhain werden Bundeswehrpanzer und andere Armeefahrzeuge instand gesetzt.

© dpa/Settnik

In den Jahren 2000 bis 2004 habe die Bundeswehr in der Region Aufträge in Höhe von 6,9 Millionen Euro vergeben. „Sie war ein erheblicher Standort- und Wirtschaftsfaktor“, sagt Broszinski. Er ist froh, dass immerhin das Dienstleistungszentrum der Bundeswehr mit 110 Beschäftigten und die Heeresinstandsetzungslogistik mit 300 Arbeits- und Ausbildungsplätzen geblieben sind.

Dennoch: Die Autowerkstatt Merkel hat ein Drittel ihrer Kunden verloren. Vor allem Wochenendheimfahrer brachten ihre Autos zur Reparatur. „Pünktlich am Freitag um 13 Uhr sollten wir dann oft fertig sein“, erzählt der KfZ-Meister Reinhard Merkel. Seither hat er nur noch fünf statt sieben Angestellte. Entlassen hat er niemanden, frei gewordene Stellen aber nicht neu besetzt.

In der Metzgerei Neumann standen die Soldaten oft bereits früh am Morgen bis vor die Tür. „Für Kompaniefeiern haben sie auch mal Spanferkel gekauft“, erinnert sich Geschäftsführer Gerhard Neumann. Die 20 bis 30 Kunden pro Tag, die nach Reduzierung der Truppenstärke heute ausbleiben, spürt er in den Bilanzen. Auch seine Wohnungen lassen sich nicht mehr so leicht vermieten. Viele Soldaten hätten gut verdient, waren zahlungsfähigen Interessenten. „Seit dem Abzug der Bundeswehr ist es in Doberlug-Kirchhain und Umgebung schwierig geworden, Immobilien zu versteigern“, sagt Kai Eisenblätter, Rechtspfleger am Amtsgericht Bad Liebenwerda. Meist findet sich erst zum fünften Termin ein Käufer, manchmal gar nicht.

Die Gebäude auf dem Bundeswehrgelände stehen seither größtenteils leer. „Die meisten wurden kurz vor Abzug saniert, außerdem hat man eine neue Waschanlage für militärische Fahrzeuge gebaut“, erzählt Broszinski. Das Gelände gehört dem Bund und wird von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet. Diese arbeitet mit der Stadt zusammen. „Gleitende Konversion“ heißt das Programm, das für einen fließenden Übergang von militärischer zu ziviler Nutzung sorgen sollte. Funktioniert hat es nicht. Bisher hat nur ein örtlicher Werkzeughersteller ein kleines Gebäude gemietet und der Winterdienst in einer Halle seine Streufahrzeuge geparkt. Das Problem: Die Infrastruktur wie Wasser- und Stromleitungen sind für 1090 Mann gebaut. Wenn Unternehmen einzelne Gebäude nutzen, ist das System überdimensioniert. Bevor die Bundesanstalt also einzelne Gebäude vermieten oder verkaufen kann, muss umgebaut werden. Das geschehe aber erst, wenn konkrete Anfragen kommen, erklärt Broszinski. Bisher sprangen Interessenten stets wieder ab.

Nicht alle Verluste ließen sich in Euro und Cent ausdrücken, sagt Broszinski. Die Soldaten hätten in Vereinen mitgewirkt. „Sie waren unsere Bürger in Uniform.“ Er war stolz auf das Fallschirmjägerbataillon 373 und die gute Zusammenarbeit zwischen Militär und Stadtverwaltung. Die Embleme, die Besucher anderer Truppen mitgebracht haben, hängen bis heute an der Wand in seinem Büro. Wenn er einen Wunsch frei hätte – er würde die Fallschirmjäger zurückholen.

Die Bundeswehr ist in Brandenburg an 18 Standorten mit insgesamt 9688 Dienstposten vertreten, die größten befinden sind in Schönewalde, Beelitz und Strausberg.

Im Zuge der Reform unter Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) wurden die Kasernen in Neuruppin, Oranienburg und Brandenburg an der Havel geschlossen, die Truppen in Strausberg, Frankfurt (Oder) und Doberlug-Kirchhain wurden reduziert. Nur der Standort Schönewalde wurde aufgestockt. Insgesamt wurden 2525 Dienstposten gestrichen.

Doberlug-Kirchhain zählte vor dem Abzug der Fallschirmjäger zum zweitgrößten Standort mit 1610 Dienstposten. Heute sind noch etwa 300 Mitarbeiter in den Werkshallen der Heeresinstandsetzungslogistik GmbH (HIL) beschäftigt. Die Industrieholding verschiedener privater Unternehmen ist als Dienstleister der Bundeswehr verantwortlich für die Instandsetzung von Fahrzeugen und Waffensystemen. Weitere 110 Bundeswehrangehörige arbeiten im Dienstleistungszentrum, neben Potsdam eine der beiden zentralen Einrichtung der Wehrverwaltung in Brandenburg.

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