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Brandenburg: V-Mann warnte Neonazis vor Razzia

Verfassungsschutz-Spitzel vereitelte den Erfolg der Aktion. Behörden hielten den Vorgang zwei Jahre lang geheim

Von Frank Jansen

Potsdam. Ein halbes Jahr nach der Verurteilung des Verfassungsschutz-Spitzels Toni S. bahnt sich in Brandenburg eine noch größere V-Mann-Affäre an. Nach gemeinsamen Recherchen des Tagesspiegels und der in Potsdam erscheinenden „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ erfuhr im Februar 2001 ein rechtsextremer V-Mann des Verfassungsschutzes von einer geplanten Polizei-Razzia und verriet sie an einen einschlägig bekannten Neonazi. Der Spitzel hat möglicherweise enormen Schaden angerichtet: Die Polizei hoffte, bei der Razzia auch Hinweise auf Mitglieder der Terrorgruppe „Nationale Bewegung“ zu finden, die in Potsdam und Umgebung Brandanschläge und andere Delikte verübt hat. Als die „Nationale Bewegung“ Anfang Januar 2001 an der Trauerhalle des Potsdamer Jüdischen Friedhofs zündelte, zog Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich – bis heute ohne Erfolg.

Die Razzia sollte die rechte Szene massiv verunsichern. Doch dann bekamen Polizei und Verfassungsschutz selbst ein Problem. Es war der 6. Februar 2001, ein V-Mann des Verfassungsschutzes griff zum Telefonhörer. Am anderen Ende der Leitung saß Sven S., eine bekannte Größe im Skinhead-Milieu. Sven S. erfuhr interessante Neuigkeiten: Am 17. Februar werde die Potsdamer Polizei zuschlagen. Mit einer größeren Durchsuchung. Was der V-Mann nicht wusste: Das Landeskriminalamt hörte seinen Gesprächspartner ab. Prompt informierten die Experten des LKA das Polizeipräsidium Potsdam, die geplante Razzia sei verraten worden. Am 7. Februar rauchten im Präsidium die Köpfe: Soll die Durchsuchung abgesagt werden? Kann man sie vorziehen? Sind ad hoc überhaupt genügend Beamte und Fahrzeuge vorhanden? Die Entscheidung fiel am Nachmittag. Mit allen verfügbaren Streifenwagen schwärmten 200 Beamte in Potsdam und der südlichen Umgebung aus. Doch in den Wohnungen der 19 Zielpersonen, allesamt hartgesottene Neonazis, fand sich, wie nach dem Verrat des V-Manns befürchtet, nur szenetypischer Kleinkram – ein paar Hass-CDs, zwei Computer, Fahnen, Baseballschläger.

Mehr als zwei Jahre lang haben Innenministerium und Sicherheitsbehörden die V-Mann-Affäre vor der Öffentlichkeit verborgen. Andeutungen waren erst zu hören, nachdem im November 2002 das Berliner Landgericht den vom Brandenburger Verfassungsschutz geführten V-Mann Toni S. zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hatte.

In Brandenburger Sicherheitskreisen ist strittig, wer den Verrat der Razzia zu verantworten hat. Verfassungsschutz, LKA und Polizeipräsidium Potsdam äußern sich offiziell nicht. Bei Sicherheitsexperten gibt es zwei Fraktionen, die unterschiedliche Versionen anbieten. Die Verteidiger des Verfassungsschutzes sagen, der V-Mann habe den Hinweis auf die Razzia von der Polizei erhalten. In einer Kneipe in Borkwalde soll ein Polizist so laut über die Durchsuchung geredet haben, dass der zufällig anwesende V-Mann alles hörte. Der Spitzel soll auch in dem Telefonat mit dem Neonazis Sven S. geäußert haben, er wisse von der Polizei, was bevorstehe.

Die Fürsprecher der Polizei bezeichnen diese Geschichte als Märchen. Sie verweisen auf den für den Spitzel zuständigen V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes. Der Beamte hatte Anfang 2001 seinen V-Mann vor Maßnahmen der Polizei gewarnt. Aber ohne konkrete Angaben, entgegnen die Verteidiger des Verfassungsschutzes. Dies habe der V-Mann-Führer in einer dienstlichen Erklärung beteuert.

Als Generalbundesanwalt Kay Nehm von den Recherchen des Tagesspiegels und der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ erfuhr, schickte er vergangene Woche einen Vertreter nach Potsdam. Anschließend leitete dort die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein: wegen des Verdachts, vor der Razzia vom Februar 2001 seien Dienstgeheimnisse ausgeplaudert worden. Die Staatsanwaltschaft benötigt jedoch für ihre Ermittlungen eine Ermächtigung des Innenministeriums. Dieses sagt nur: „Zu laufenden Ermittlungen nehmen wir keine Stellung.“

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