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Brandenburg: Verlorene Spuren

Sandra Dassler

Der „Fall Ermyas“ hat Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) wieder eingeholt – freilich ganz anders als gedacht. Denn als Brandenburger kann man dem ehemaligen Generalbundesanwalt Kay Nehm im Nachhinein nur dankbar sein. Hätte er im April 2006 nicht die Ermittlungen an sich gezogen und den „Fall Ermyas M.“ bundesweit bekannt gemacht – der Bürger hätte wahrscheinlich nie erfahren, welche Pannen sich bei der Spurensicherung nach der Attacke auf den aus Äthiopien stammenden Ingenieur ereigneten.

Zwar war Nehms Motiv damals der Verdacht, es könne sich um einen rassistisch motivierten Mordversuch gehandelt haben, was bekanntermaßen heftige politische Kontroversen nach sich zog. Besonders Innenminister Schönbohm hatte sich gegen diese „voreilige Stigmatisierung Brandenburgs“ verwahrt. Dass sich das Geschehen vom Ostersonntag des vergangenen Jahres am Ende des Prozesses möglicherweise anders darstellt, gibt Schönbohm dennoch nicht recht. Denn aufgrund der damals bekannten Umstände lag ein solcher Verdacht durchaus nahe.

Umso unfassbarer ist, was jetzt – erst jetzt – in dem von den Medien stark beachteten Prozess ans Tageslicht kommt. Man muss sich das einmal vorstellen: Da wird ein Mensch bei einer wie auch immer motivierten Auseinandersetzung schwer, ja fast tödlich verletzt. Er liegt inmitten der Landeshauptstadt nur rund zweieinhalb Kilometer vom Polizeipräsidium entfernt auf der Straße. Zwar sind Wasser- und Streifenpolizei, nachdem bei ihnen der Notruf aufmerksamer Bürger eingegangen ist, relativ schnell vor Ort. Doch dann werden sie allein gelassen. Als der Schwerverletzte medizinisch versorgt ist und die Polizisten, wie bei solchen schweren Verbrechen üblich, die Kollegen der Kriminalpolizei zur professionellen Spurensicherung anfordern, wird ihnen mitgeteilt, dass niemand kommt. So jedenfalls schilderte es ein Beamter, der am Freitag als Zeuge im Prozess aussagte. Er habe sich auch gewundert, sagte der Mann, er wisse nicht, warum keine Unterstützung kam.

Der Rest ist bekannt: Die Wasserschutz- und Streifenpolizisten sicherten die Spuren zwar, so gut sie konnten, aber das war eben nicht gut genug. Die DNA-Spur eines Tatverdächtigen ist so wahrscheinlich kaum als Indizienbeweis zu gebrauchen. Möglicherweise gingen weitere Spuren, die Experten am Tatort hätten erkennen und sichern können, verloren. Mal abgesehen davon, dass gerade in diesem Prozess, in dem die Angeklagten die Tat abstreiten und sich das Opfer nicht erinnern kann, diese Spuren zur Wahrheitsfindung wichtig gewesen wären – es stellen sich noch weitere Fragen.

Wenn so etwas schon bei einer so eklatanten Straftat geschieht, wie mag es wohl bei anderen Fällen sein? Wenn so etwas schon in der Landeshauptstadt möglich ist, wie muss es erst in der Prignitz, der Uckermark oder der Lausitz aussehen, wo die Polizeidienststellen weiter entfernt und generell weniger Polizisten unterwegs sind? Und warum kommt eigentlich erst im Prozess heraus, wie schlampig damals offensichtlich gearbeitet wurde?

Nicht nur Ermyas M. hat ein Recht auf die Beantwortung dieser Fragen, sondern alle Brandenburger.

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