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Brandenburg: Verrauchte Wut

ClausDieter Steyer hat Verständnis für den erlahmten Widerstand gegen die Gemeindereform ANGEMARKT Wittstock bleibt von der Fläche her die drittgrößte Stadt Deutschlands, und Cottbus besitzt endlich wieder mehr als 100 000 Einwohner – die umstrittene Gemeindegebietsreform ist nicht mehr zurückzudrehen. Ihre Gegner mussten kapitulieren.

ClausDieter Steyer hat Verständnis für den erlahmten Widerstand gegen die Gemeindereform

ANGEMARKT

Wittstock bleibt von der Fläche her die drittgrößte Stadt Deutschlands, und Cottbus besitzt endlich wieder mehr als 100 000 Einwohner – die umstrittene Gemeindegebietsreform ist nicht mehr zurückzudrehen. Ihre Gegner mussten kapitulieren. Sie brachten nicht einmal die Hälfte der für ein Volksbegehren notwendigen 80 000 Unterschriften zusammen. Die Befürworter, allen voran das Innenministerium, frohlocken. Sie haben die Brandenburger Landkarten, die Ortseingangsschilder und nicht zuletzt die Verwaltungen gründlich verändert. Aus den fast 2000 selbstständigen Gemeinden und Städten im Jahr 1990 sind nur noch 727 übrig geblieben. Wer sich nicht freiwillig mit den Nachbarn vereinigte, wurde zur Zwangsehe gezwungen.

Die geringe Resonanz auf das Volksbegehren überrascht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich war der Widerstand anfangs groß. Auf Demonstrationen und in Fernsehdiskussionen, auf Plakaten, Schildern und vielen Zeitungsseiten wurden die möglichen Nachteile beschworen. Im größeren Verbund hätten die Kleinen erst recht keine Chance mehr, hieß es. Bürgerinitiativen mit so schönen Namen wie „Lasst den Kirchturm im Dorf“ oder „Wehrt Euch“ erhielten großen Zulauf. Deshalb fühlten sich die Reformgegner wohl auch so siegessicher. Aber dabei unterschätzten sie gründlich die inzwischen große Lethargie in Brandenburg. Es ist nun mal ein Unterschied, ob man in der Dorfkneipe seinen Protest äußert oder zur Stimmabgabe zu festen Zeiten extra ins Rathaus oder in die Amtsverwaltung fahren muss. Außerdem dominieren im Alltag inzwischen ganz andere Sorgen: Wer vergeblich nach einem Job sucht, um den Fortbestand seines Arbeitgebers bangt, keinen Ausbildungsplatz für seine Kinder findet, sich über die Schließung der Schule oder des letzten Ladens in der Umgebung ärgert, hängt eben nicht mehr mit Herzblut an der Eigenständigkeit seines Dorfes.

Nicht zu unterschätzen war wohl auch der abrupte Wegfall der alten Bürgermeisterämter. Das beste Beispiel ist das jahrelang gegen die Braunkohlebagger kämpfende Horno. Als eine erste Gebietsreform das Dorf an der Neiße in das Kraftwerkszentrum Jänschwalde eingemeindete, wurde der den Widerstand organisierende Bürgermeister kurzerhand degradiert. Als Ortsbürgermeister saß er in der neuen Großverwaltung nur noch als einer von vielen Amtspersonen am Tisch, letztlich ohne Bedeutung.

Vielleicht werden nachfolgende Generationen über die Resignation im Frühjahr 2004 nur den Kopf schütteln. In einigen Jahrzehnten versteht wahrscheinlich niemand mehr, warum die Dörfer ohne nennenswerten Widerstand ihre Selbstverwaltung aufgaben.

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