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Brandenburg: Vertrieben - aber glücklich

"Kommense mal mit, ick habe schon wieder neue Ideen", sagt Frau Müller und hakt sich bei Herrn Müller, der nicht ihr Ehemann ist, unter. Die beiden marschieren über den Acker bei Königs Wusterhausen, immer an den rot-weißen Absperrbändern entlang bis zu der Anhöhe, auf der Frau Müllers Haus errichtet werden soll.

"Kommense mal mit, ick habe schon wieder neue Ideen", sagt Frau Müller und hakt sich bei Herrn Müller, der nicht ihr Ehemann ist, unter. Die beiden marschieren über den Acker bei Königs Wusterhausen, immer an den rot-weißen Absperrbändern entlang bis zu der Anhöhe, auf der Frau Müllers Haus errichtet werden soll.

Helga Müller aus Diepensee zieht hierher, weil ihr Dorf aller Voraussicht nach für den Großflughafen Schönefeld plattgemacht wird. Sie freut sich darüber, weil sie dann ihr Haus von 1949 gegen einen Neubau tauschen darf. Und Hans-Jürgen Müller von der Baufirma an ihrer Seite ist glücklich, weil er schon acht Verträge mit Diepenseern in der Tasche hat. Es dürften noch mehr werden, und das Geschäft wird schon deshalb glänzend, weil die Finanzierung bereits gesichert ist: Die Rechnung geht an die Flughafen Projektgesellschaft Schönefeld (FPS).

Rund 80 Millionen Euro sind für die Umsiedlung des 300-Einwohner-Dorfes eingeplant. Vor drei Jahren hatten die Diepenseer sich mehrheitlich für den Umzug ins knapp zehn Kilometer entfernte Königs Wusterhausen entschieden. Gestern konnten sie sich anschauen, wo genau ihre neuen Häuser stehen werden, wo der Kindergarten sein wird - und wo der Friedhof, der mitsamt dem Ort umquartiert wird. Etwa die Hälfte der Diepenseer nutzten die Chance und suchten ihre künftige Hausnummer auf der winterlichen Brachfläche.

Die Planer von der FPS haben jeden Haushalt in Diepensee erfasst. Wer ein zweistöckiges Haus mit Terrasse und einen Garten mit Pflaumenbäumen sowie Hundehütte hat, bekommt ein ebenso großes Haus mit Terrasse, Garten, Pflaumenbäumen und Hundehütte. Ob das alte Haus eine Bruchbude ist, spielt keine Rolle. Die meisten Häuser in Diepensee sind heruntergekommen, weil die Leute schon seit Jahren nichts mehr daran machen. Sie wussten ja, dass die FPS sich ihrer annehmen würde wie eine gute Fee. Für den Mengenrabatt, den Hans-Jürgen Müllers Firma gewährt, dürfen sie Extrawünsche für ihre Häuser anmelden. Wer wie Helga Müller ein großes (und wegen der Flughafennähe längst unverkäufliches) Grundstück besaß und sich nun mit einem kleineren begnügt, bekommt die Differenz ausgezahlt. Feilschen war nicht nötig; die FPS-Fee erfüllte praktisch jeden Wunsch.

Dort, wo bald das Gemeindezentrum errichtet werden soll, hat die FPS für die Besichtigung ein Bierzelt hingestellt, in dem Geschäftsführer Michael Pieper sich an die Gäste wendet: "Sehr geehrte Damen und Herren, und ganz besonders: liebe Diepenseer", beginnt er seine Rede. Das mit den "ganz besonders lieben Diepenseern" ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn es soll im Ort nur noch zwei erbitterte Gegner der Umsiedlung geben. Die anderen haben sich zumindest damit abgefunden oder sind sich, wie Pieper sagt, "ihrer Verantwortung für die Industriegesellschaft bewusst". Nachdem der FPS-Chef noch einige Worte über die "Ausstrahlung des Flughafens auf die transeuropäischen Netze" gesagt hat, ergreift Bürgermeister Michael Pilz das Wort. Er dankt "der FPS und ganz besonders unserem Ministerpräsidenten". In den Gemeinden um Schönefeld, die nicht evakuiert werden, sondern sich mit dem Flughafen arrangieren müssen, wäre er dafür wohl verprügelt worden. Hier wird er beklatscht.

Auch Burkhard Kieker von der Flughafengesellschaft ist den lieben Diepenseern dankbar: "Wenn sich hier ein zweites Horno gebildet hätte, hätten wir es sein lassen können", sagt er später vor dem Bierzelt. Das meiste sei "sozusagen bei Bier und Korn ausgehandelt worden". Der FPS sei klar gewesen, dass sie die Leute besser nicht über den Tisch ziehen sollte. Und für die Gemeinde sei die Umsiedlung besser als eine finanzielle Entschädigung, weil das Dorf so "nicht in alle Winde zerstreut werde".

Ein paar Schritte entfernt greifen die Repräsentanten von FPS, Diepensee und Königs Wusterhausen zum Spaten, um eine Eiche zu pflanzen. "Macht das nicht zu ordentlich, die müssen wir nachher sowieso wieder rausnehmen", murmelt ein lodenbemäntelter FPS-Mann, der sich um die Baufreiheit für die Bagger sorgt. Ein Feuerwehrmann gießt die Eiche trotzdem an. Der Baum soll den Mittelpunkt des künftigen Ortes bilden. Ende 2003 soll Diepensee hier angekommen sein. Auch wenn der Flughafen dann gar nicht mehr ausgebaut werden sollte und man sich die 80 Millionen hätte sparen können. Herrn und Frau Müller kann das egal sein.

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