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Brandenburg: Vollgefressen in den Süden

Sie blieben in den evakuierten Dörfern, nun fliegen die Störche satt nach Afrika. Denn mit der Flut kamen die Frösche

Von Claus-Dieter Steyer

Rühstädt. Dieses Wochenende dürfte in der Chronik des kleinen Elbdorfes Rühstädt bei Wittenberge eine besondere Eintragung erfahren. Denn zum Abflug der 180 Störche in den Süden Afrikas stand diesmal niemand auf den Straßen oder an den Fenstern. Kein Abschiedsgruß begleitete die Adebare auf ihrem langen Weg. Denn Rühstädt, das seit 1996 wegen der beispiellosen Häufung von Horsten den Titel „Europäisches Storchendorf" trägt, ist seit Donnerstag wegen des Hochwassers evakuiert. Nur noch Bürgermeister Jürgen Herper und einige Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr harren hier aus. Bundesgrenzschutz und Polizei patrouillieren durch den Ort. Wo sonst Reisebusse und Autos stehen, herrscht jetzt Stille. Selbst Journalisten dürfen nur mit polizeilicher Begleitung nach Rühstädt. Kein Mensch soll sich angesichts der durchweichten Deiche in unnötige Gefahr begeben.

Den Störchen ging es in den Tagen vor ihrem Abflug so gut wie nie. „Die sind vollgefressen wie lange nicht", sagt Artur Labrenz, Chef des örtlichen Storchenclubs. „Das durch den Deich auf die Wiesen durchgesickerte Wasser hat ihnen Mäuse, Würmer und Frösche praktisch vor die Füße gelegt. Der Damm wirkt wie ein reinigender Filter für die ansonsten schmutzigbraune Brühe. Die Störche brauchten gar nicht lange zu suchen, sondern mussten einfach nur zuschnappen. Wie im Paradies." Labrenz kann sich nicht an eine vergleichbare Situation erinnern.

Artur Labrenz hat die wichtigsten Daten seines Storchendorfes im Kopf: 38 Paare, 73 Jungtiere und 20 Einzelstörche hielten sich trotz der Wetterkapriolen in Rühstädt auf – wie in einem ganz normalen Jahr. „Kurz vor meiner Abreise wegen der Evakuierung habe ich am Himmel über dem Dorf noch 200 Störche gesehen. Die kamen auch aus den Nachbarorten", erzählt der Naturschützer. Mit Gleitübungen haben sie sich schon auf die lange Reise vorbereitet." Etwas schwierig fällt wegen des Hochwassers die genaue Statistik vor den einzelnen Horsten aus. Auf Holztafeln stehen gewöhnlich die Daten der Ankunft und des Abflugs sowie die Zahl der Jungen. „Das holen wir nach", versichert Labrenz.

Gleich nach dem Krieg begann der Aufstieg von Rühstädt zum Storchendorf. Jugendliche hatten auf einigen Dächern Nisthilfen angebracht, die nicht lange leer standen. Von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl der Horste. Seit 1970 werden die Störche beringt. Die unter strengem Schutz stehenden Tiere finden auf den feuchten Flächen entlang der Elbe ein breites Nahrungsangebot – auch ohne Hochwasser.

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