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Brandenburg: Weil er arglos war

Heute fällt das Urteil im Mordprozess um den getöteten siebenjährigen Christian aus Zehlendorf

Berlin - Wenn die geöffnete Saaltür einen Blick auf Ken M. (Name geändert) freigab, plauderte er oft mit seinen Großeltern. Gelassen wirkte er, keineswegs bedrückt. Der Anwalt aber versicherte mehrfach, dass sein Mandant „sehr traurig“ sei, dass er Scham und Mitleid empfinde. Ken M. war 16 Jahre alt, als er den kleinen Christian aus Zehlendorf tötete. Heute will das Berliner Landgericht das Urteil gegen den Jugendlichen verkünden.

Es war Mord. Darin sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig, nicht aber über das Motiv und über die zu verhängende Strafe. Die Anklage war zunächst von „angestautem Frust“ und „sexueller Befriedigung“ ausgegangen. Nach rund drei Monaten Verhandlung glaubt die Staatsanwältin nun, dass Ken M. heimtückisch und aus Mordlust zuschlug. Zehn Jahre Gefängnis forderte die Vertreterin der Behörde. Das ist die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht. Der Verteidiger hingegen sieht „nur“ das Mordmerkmal der Heimtücke als erwiesen an. Er beantragte eine Strafe „deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft“.

Hinter Ken M. lag ein nächtlicher Streit mit seiner Freundin, als er am Vormittag des 27. August vergangenen Jahres den siebenjährigen Christian traf. Er kannte den Jungen, der Kleine wohnte gleich um die Ecke. Ken M. lockte Christian in eine Falle. Zwei Stunden später fand der Vater den jüngsten seiner drei Söhne in einem Gebüsch am Rande einer verwilderten Baumschule am Lupsteiner Weg. Der getötete Christian lag nackt unter einer Plane. Drei Tage später wurde Ken M. festgenommen.

Aus dem Saal 739, in dem an insgesamt sieben Tagen verhandelt wurde, ist wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Der Prozess gegen den noch jugendlichen Angeklagten läuft hinter verschlossenen Türen. Ken M. sei geständig, hieß es. Er soll den Jungen erst mit der Faust geschlagen, dann durch Schläge mit einem Ast und Tritten zu Tode gequält haben. Ken M. habe unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gestanden, sagte sein Anwalt. Die Großeltern des Jugendlichen, die wie Christians Eltern mit im Gerichtssaal sitzen dürfen, verweigerten die Aussage.

Ursprünglich hatten die Richter mit einem raschen Urteil gerechnet. Doch dann überraschte Ken M. mit einem Schreiben. Zum Inhalt wollte sich die Justiz nicht äußern. Auf dem Gerichtsflur aber gingen Gerüchte um: Ken M. soll darin erklärt haben, dass er schon immer jemanden umbringen wollte – um zu wissen, wie das ist. Er soll auch klar gemacht haben, dass es ohne Hilfe wieder passieren würde.

Zweifel gab es auch an der Schuldfähigkeit des Täters. Sollte er aus Sicht der Richter in krankhaftem Zustand gehandelt und gefährlich für die Allgemeinheit sein, müsste Ken M. nicht mit Gefängnis, sondern mit einer unbefristeten Unterbringung in der Psychiatrie rechnen. Ein Gutachter sprach mehrfach und ausführlich mit dem Jugendlichen. Seine Erkenntnisse brachte er auf über 100 Seiten zu Papier. Unter dem Strich soll sich der Sachverständige dann aber mit einer klaren Prognose schwer getan haben. Die Anklage zumindest machte mit ihrem Antrag deutlich, dass Ken M. aus ihrer Sicht in vollem Umfang zur Verantwortung gezogen werden kann.

Ein ermordetes Kind, ein jugendlicher Täter. Der Fall hatte über Berlin hinaus Bestürzung ausgelöst und die Debatte über den Umgang mit jugendlichen Straftätern neu entfacht. Denn die kriminelle Karriere von Ken M. begann, als er elf Jahr alt war. Wenn seine Faust traf, sprach er von einer „Bombe“. Im jetzigen Prozess muss er sich auch wegen Misshandlung eines Bundeswehrsoldaten verantworten. Bei diesem Angriff wenige Wochen vor dem Mord an Christian stand Ken M. unter Bewährung. Ins Gefängnis aber kam er nicht, da er aus Sicht eines Haftrichters in „geordneten Verhältnissen“ bei seinen Großeltern lebte.

Kerstin Gehrke

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