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Brandenburg: „Wer gut lügt, kommt am schnellsten raus“

Thomas Kurbjuhn saß wegen Mordes im Maßregelvollzug. Er weiß, wie Kriminelle ihre Therapeuten austricksen

Der Prozess gegen den Triebtäter Frank Schmökel bewegt die Öffentlichkeit – und verschärft die Debatten darüber, wie man mit psychisch gestörten Straftätern umgehen soll. Warum werden viele rückfällig, obwohl ihnen Therapeuten Besserung oder Heilung bescheinigten? Muss die Gesellschaft mit diesem Risiko leben oder ist es einfach zu riskant, Gewaltverbrecher im Maßregelvollzug zu therapieren? Der Tagesspiegel sprach darüber mit Thomas Kurbjuhn, der wegen Mordes an seinem Vater jahrelang Patient in einer Psychiatrischen Klinik war. Seine Erfahrungen hat er in einem InternetBuch veröffentlicht. Titel: „Wie Kriminelle ihre Therapeuten austricksen“.

Frank Schmökel versucht zurzeit, das Gericht von seiner verminderten Schuldfähigkeit zu überzeugen. Ihr Gutachter attestierte Ihnen eine krankhafte Charakterneurose, was Ihnen einige Jahre Haft ersparte. Waren Sie froh darüber?

Um Gottes willen! Ich habe den Gutachter während der Untersuchung sogar als Idioten beschimpft. Ich wollte schuldfähig sein. Und ich empfand mich als normal.

Und heute?

Nachdem ich mich notgedrungen jahrelang mit psychiatrischen Problemen befassen musste, bin ich immer noch der Auffassung, dass das mit der verminderten Schuldfähigkeit meistens Quatsch ist. Entweder jeder ist vermindert schuldfähig oder keiner. Ich habe sicherlich psychische Besonderheiten, aber das rechtfertigt keinen Mord. Und vermindert auch nicht die Schuld.

Warum haben Sie Ihren Vater umgebracht?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich dazu nichts sagen möchte.

In Ihrem Internet-Buch vertreten Sie die These, dass Kriminelle Ihre Therapeuten austricksen. Haben Sie das auch getan?

Anfangs nicht. Da war ich noch naiv und ehrlich. Aber das ist mir nicht gut bekommen.

Warum?

Es wurde mir von den Therapeuten als Blockadehaltung ausgelegt, dass ich mich nicht auf ihre „Heilungsversuche“ einließ. So sollte ich mich immer mit meinen Ängsten beschäftigen, aber dazu hatte ich – wie wahrscheinlich die meisten Menschen – keine Lust und habe das auch gesagt. Die Folge war, dass mir nach zweieinhalb Jahren eine „starke Verschlimmerung und Verfestigung der bei mir diagnostizieren Charakterneurose mit einer paranoid gefärbten Erlebnisverarbeitung“ attestiert wurde. Da rieten mir meine jugendheimtrainierten Mitpatienten: „Thomas, Du musst jetzt Kamine machen, sonst kommst Du hier nie mehr raus!“

Und was hieß das?

Ich sollte lügen. Ich sollte den Therapeuten das erzählen, was sie hören wollten. Das tun alle halbwegs intelligenten Straftäter. Deshalb gibt es ja so viele Rückfalltäter aus dem Bereich des Maßregelvollzugs.

Sie haben dann also vorgetäuscht, dass sie sich auf Ihre Ängste einlassen?

Ja. Ich habe Träume erfunden, die meinen inneren Heilungsprozess symbolisierten. Ich konnte plötzlich spüren, wie mein Schmerz im Raum steht, ich habe mich in eine Katze verwandelt, bin übers Meer gerudert und habe dann als Katze das Wasser umarmt.

Haben die Therapeuten das nicht bemerkt?

Die wollten doch belogen werden, sonst hätten sie ja ihre eigene Tätigkeit ad absurdum führen müssen. Dabei merkt jeder normale Mensch, dass etwas nicht stimmen kann, wenn sich jemand gerade ganz tief auf seine Schuld eingelassen hat, Trauer und Reue empfindet und eine Stunde später in der Gruppentherapie wieder fröhlich herumspringt.

Was hat Ihr verändertes Verhalten bewirkt?

Durch mein perfektes Lügen wurde ich nach weiteren zweieinhalb Jahren entlassen.

Schafft das jeder?

Schmökel zum Beispiel hat es immer wieder bis zum Ausgang geschafft. Mehr wollte der auch nicht. Aber es gehört schon ein gewisses Maß an Intelligenz dazu. Ich habe es auch auf die Spitze getrieben, habe nach jeder Sitzung ein Protokoll geschrieben, hatte zu jedem Therapeuten eine Karteikarte mit seinen persönlichen Vorlieben. Ich habe natürlich auch Therapie-Bücher gelesen, um zu wissen, was ich denen erzählen muss. Denn wer gut lügt, kommt am schnellsten raus. Einige Mitpatienten konnten sich beispielsweise keine Träume ausdenken. Das habe ich dann für sie getan.

Ist es nicht ein großer Wert, dass diese Gesellschaft jedem Menschen grundsätzlich zugesteht, dass er sich ändern kann?

Im Falle von Gewaltverbrechern ist es wohl eher eine Art Alibi – nach dem Motto: Wir helfen denen ja. Offenbar hat diese Gesellschaft das Bedürfnis, gut zu sein. Sie muss nur begreifen, dass sie nicht gleichzeitig sicher sein kann.

Und die Alternative?

Ich kenne keine. Therapien können Menschen helfen, die Neurosen haben. Therapeuten können Straftätern helfen, einen inneren Frieden zu finden. Aber sie können der Gesellschaft nicht garantieren, dass ihre Patienten nicht wieder rückfällig werden.

Aber Sie sind nicht wieder rückfällig geworden.

Die Rückfallquote bei Vatermördern ist gleich Null. Zum Glück haben sich die Befürchtungen meiner Therapeuten, die mich als Beziehungstäter einstuften, nicht bestätigt.

Ihr Buch wird in Polizeikreisen, aber auch unter Pflegern und nicht zuletzt unter Therapeuten heftig diskutiert. Warum haben Sie es geschrieben?

Ich verdiene mein Geld im Nebenjob, es ist nicht so einfach, als verurteilter Vatermörder eine feste Anstellung zu finden, auch wenn man seine Strafe abgesessen hat. So habe ich Zeit. Und ich wollte diesen Therapeuten klar machen, dass sie mich wirklich gequält haben. Jetzt kann ich ja die Wahrheit sagen. Und schreiben.

Das Gespräch führte Sandra Dassler

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