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Brandenburg: Werder lässt Korken knallen

Vom Wachtelberg gibt’s erstmals Sekt. Prosecco soll folgen. Die nördlichste weingesetzliche Reblage der Welt mausert sich

Werder. Wer sich zu Weihnachten oder Silvester zuprosten will, kann dazu in diesem Jahr erstmals Sekt aus Brandenburg entkorken. Soeben hat Manfred Lindicke, Winzer vom Wachtelberg in Werder, die erste Probe verkostet. „Schön prickelnd, mit der leichten Geschmacksnote des Müller-Thurgau“, charakterisiert er seinen Sekt Brut – das bedeutet weniger als 15 Gramm Zuckergehalt –, der ab Ende November unter dem Namen „Fridericus“ erhältlich sein soll.

Der Tropfen aus der nördlichsten weingesetzlich erfassten Reblage der Welt reift im Moment in 3000 Flaschen in Weinkellern an der Mosel. Die Flaschen werden täglich um 45 Grad gedreht. Handrüttelung heißt das. Ein arbeitsintensives Unterfangen, was die relativ hohen Kosten von rund zehn Euro erklärt. „Firmen wie Rotkäppchen verwenden Importweine, da können wir preislich nicht mithalten“, sagt Lindicke.

Im nächsten Februar will er einen Perlwein, vergleichbar mit Prosecco, auf den Markt bringen. Dieser benötigt ein höheres Mostgewicht und wird relativ spät geerntet. Dabei dürfen 10,5 Prozent Alkohol nicht überschritten werden. Auch von ihm sollen 3000 Flaschen in den Verkauf gelangen. Für Manfred Lindicke war das abgelaufene Jahr in seinem Weinberg ein gutes. 35 000 Flaschen Müller-Thurgau und ein paar tausend Flaschen Rotwein wird es geben. Die Besucherzahlen in der jüngst eröffneten Schänke in Lindickes Weingarten habe alle Erwartungen übertroffen, sagt er. 70 bis 100 Gäste kamen an schönen Tagen in die „Tiene“, so heißt das Lokal, das drinnen und auf der Terrasse rund 100 Gästen Platz bietet. Tiene ist der Name eines Holzbottichs für 4,5 Kilogramm Weintrauben, der einst zum Treten der Trauben, später zum Transport des Obstes in die Hauptstadt gedient hatte.

Auf dem der Stadt Werder gehörenden Gelände lassen sich fünf Weißweine und ein Rotwein der Sorten Müller-Thurgau und Dornfelder verkosten. Die Obststadt Werder an der Havel ist somit auf dem besten Weg, wieder zur Weinstadt zu werden. Die Tradition des Weinbaus ist in der Region schon 800 Jahre alt. Die Zisterzienser hatten einst die Reben hierher gebracht, um auch im Norden über Messwein und veredeltes Lebensmittel zu verfügen. Wein aus Werder wurde selbst an der kurfürstlichen Tafel getrunken, doch Friedrich II. schmeckte wohl der französische Rote besser. Nebenbei sank die Qualität des märkischen Weins, und er kam in Verruf.

1985 entschied die „Gärtnerische Produktionsgenossenschaft Obstproduktion Werder“, dort alte Traditionen neu aufleben zu lassen. Der Wachtelberg wurde mit einer einfachen Sorte, dem Müller-Thurgau, aufgerebt, 1988 der erste Wein geerntet und 1989 verarbeitet. Aufgrund der Wende kam er aber nicht mehr in den Verkauf.

Ein „Verein zur Förderung des historischen Weinbaus“ gründete sich 1995. Damals stand das Unkraut noch höher als die Rebstöcke, 150 Kilogramm Trauben konnten lediglich geerntet werden. Daraufhin pachtete der Werderaner Obstbauer Manfred Lindicke die 4,8 Hektar großen Hänge am Wachtelberg von der Stadt.

Einer Studie über das Klima zufolge verfügt Werder über besonders günstige Voraussetzungen für den Weinbau, vergleichbar mit weit südlicher gelegenen Anbaugebieten wie Ahrweiler oder Würzburg: Die großen Wasserflächen der Havelseen rundum und der Sonnenreichtum schaffen ein spezielles Mikroklima, das auch dem Obstanbau zugute kommt. Der dünenähnliche Sand erwärmt sich leicht, strahlt viel Wärme ab, kann allerdings die Mineralstoffe nicht halten. So ergibt dies zwar einen leichten, milden Wein, dem aber mitunter die Säure fehlt. Haltbar ist er nur höchstens fünf Jahre. Die Vegetation beginnt laut Lindicke erst nach der Obstblüte Mitte Mai.

Inzwischen wird der Werderaner Wein immer bekannter. Berliner legen hier mit den Booten an und nehmen ein paar Flaschen heimischen Weins mit nach Hause. Radausflügler kommen in die neu eröffnete Tiene auf dem Gipfel des Wachtelberges zur Weinkost samt Aufschnittplatte und Gratis-Weitsicht ins Märkische. Auch Führungen über den Weinberg werden von den Lindickes angeboten. 23 Rotwein- und 27 Weißweinsorten sind entlang der Weinlehrpfade gepflanzt. Auf diese Weise wollen die Winzer auch herausfinden, welche Sorten sich für die Lage oberhalb von Werder gut eignen.

Stefan May

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