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Brandenburg: "Widerstand in einem Dorf": Schröder kennt nur die Kumpel

Ein schwerer Stein dürfte eher zu den seltenen Präsenten für den Bundeskanzler gehören. Doch die Bergleute des Tagebaus Jänschwalde bei Cottbus hatten das Granitstück für Gerhard Schröder mit Bedacht vorbereitet.

Ein schwerer Stein dürfte eher zu den seltenen Präsenten für den Bundeskanzler gehören. Doch die Bergleute des Tagebaus Jänschwalde bei Cottbus hatten das Granitstück für Gerhard Schröder mit Bedacht vorbereitet. Sie hätten schließlich auch zu einem großen Brikett oder einem Beutel voller Abraumerde greifen können. Der Stein aber war ihnen offenbar mehr wert. Er stammt von einem größeren Block, der seit einiger Zeit unterhalb des wenige Kilometer entfernten Dorfes Horno steht. Dort erinnert er an die Mahnwache der Bergleute im August und September. Damals protestierten sie damit gegen den Gerichtsbeschluss, die weiteren Arbeiten im Tagebau zu untersagen. Ein Anwohner hatte erfolgreich gegen die Inanspruchnahme eines Waldstückes geklagt. In dieser Situation besuchte Schröder während seiner Sommerreise durch den Osten demonstrativ die Mahnwache, um sich solidarisch mit den Arbeitern zu zeigen.

Das haben die Menschen im Revier nicht vergessen, zumal wenige Tage nach der Kanzler-Visite das Oberverwaltungsgericht in Frankfurt (Oder) den Stopp für die Bagger aufhob. Mehrere Hundert Kumpel und Beschäftigte des Kraftwerkes Jänschwalde ließen Schröder deshalb auf ihrer gestrigen Betriebsversammlung hoch leben - auch mit dem Stein von der Mahnwache.

Der Kanzler gab ihnen allen Grund dafür. Ohne den Namen Horno direkt in den Mund zu nehmen, sprach er nur von einem "Widerstand in einem Dorf". Die Bundesregierung stehe jedoch fest an der Seite derjenigen, die Kohle fördern und in der Stromerzeugung beschäftigt sind. 4000 Arbeitsplätze seien in der Region direkt vom Tagebau und dem Kraftwerk abhängig. Indirekt seien es noch viel mehr. Deshalb gehöre die Braunkohle, die in ganz Ostdeutschland rund 20 000 Arbeitsplätze biete, zu den Grundpfeilern der Wirtschaftspolitik. Schröder sieht in der Übernahme der Mehrheit am ostdeutschen Stromerzeuger Veag und an der Lausitzer Braunkohle AG durch die "Hamburger Electricitätswerke" (HEW) gute Zukunftschancen für die ostdeutsche Braunkohle- und Energiewirtschaft. Die Lösung ermögliche den Aufbau einer starken vierten Kraft auf dem deutschen Strommarkt, sagte Schröder. Die Bundesregierung werde diese Entwicklung begleiten und sich für die ostdeutsche Braunkohle und deren Verstromung einsetzen.

Den Kritikern dieser ganze Landstriche vernichtenden Tagebaue gab Schröder einen zweifelhaften Rat. "Betrachten Sie die Lage nicht nur von Berlin aus. Im Revier gestalten sich die Dinge etwas komplizierter", sagte er mit einem Seitenhieb auf die anwesenden Medien. Zuletzt hatten Schriftsteller aus ganz Deutschland gegen die beabsichtigte Abbaggerung von Horno protestiert. Im Jahre 2002 soll der 300 Einwohner zählende Ort den Braunkohlebaggern weichen. Als Ersatz ist eine Siedlung in Forst vorgesehen. Doch die Einwohner wehren sich gegen die Zerstörung ihres Dorfes schon seit rund 15 Jahren. Sie fordern eine Umfahrung von Horno durch die Bagger. Das hätte allerdings erhebliche Zusatzkosten für das Bergbau-Unternehmen Laubag zur Folge und wird deshalb abgelehnt. Im Sommer war der Ort mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Die Juristen beriefen sich auf eine Stellungnahme der Landesregierung, die keinerlei Verstöße gegen Menschenrechte im Falle der Zerstörung eines alten sorbischen Dorfes signalisiert hatte. Statt dessen waren "übergeordnete Interessen" in den Mittelpunkt gerückt worden. Doch der Widerstand soll trotz aller Rückschläge fortgesetzt werden.

Auf Hilfe durch die Bundesregierung werden die Einwohner nicht rechnen können. "Ich habe gute Erinnerungen an die Mahnwache", rief der Bundeskanzler den Beschäftigten zu. Die Aufhebung des Baggerstopps bezeichnete er gar als ein "vorgezogenes Weihnachtsgeschenk". Alle ostdeutschen Braunkohletagebaue müssten erhalten bleiben. Der Applaus in der Werkhalle bei Jänschwalde wollte kein Ende nehmen.

Tatsächlich hätte die Unsicherheit über die Zukunft des Tagebaus Jänschwalde auch den am Mittwoch vollzogenen Verkauf der ostdeutschen Braunkohleverstromers Veag und Labaug an die Hamburger Electrizitätswerke problematisch gestaltet oder gar verhindert. So aber frohlockte der Betriebsrat über die Sicherheit der Arbeitsplätze und den weiteren Einsatz von Kohle für die Stromerzeugung.

Horno selbst, von dem aus sowohl die Schlote des Kraftwerkes als auch die an die Ortsgrenze vorrückenden Abraumbagger zu sehen sind, wirkte gestern Mittag wie ausgestorben. "Wir sind ein ganz normales Dorf", sagte ein Mann auf der Dorfstraße in großer Eile. "Die jüngeren Menschen sind um diese Zeit unterwegs, die Alten haben zu Hause viel zu tun." Von Schröders Auftritt im Tagebau habe er nichts gehört. "Der hat doch bestimmt wieder nur für die Kumpel gesprochen", sagte er und schwang sich auf sein Moped.

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