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Brandenburg: „Willst du etwas haben, musst du den Preis dafür zahlen“

In Ihrem Arbeitszimmer im Rathaus hängt ein Bild, das der Geschäftsführer der Berliner Immobilienfirma Aubis, Christian Neuling, der Stadt Cottbus schenkte . .

In Ihrem Arbeitszimmer im Rathaus hängt ein Bild, das der Geschäftsführer der Berliner Immobilienfirma Aubis, Christian Neuling, der Stadt Cottbus schenkte . . .

Ich kann mir vorstellen, dass bei Ihnen da alle Alarmglocken schrillen.

Gegen Neuling wurde jetzt Anklage erhoben – wegen Verdachts des Betrugs im Zusammenhang mit dem Kauf von Plattenbauwohnungen in den neuen Bundesländern. War das Bild ein Dankeschön für Kungel-Geschäfte?

Es gibt keine Hinweise dafür, dass bei der Auftragsvergabe gekungelt wurde. Wir hatten in Cottbus andere Probleme mit Aubis. Die Sanierung der Plattenbauten war ins Stocken geraten. Für die Mieter bedeutete das unzumutbare Wohnverhältnisse.

Sie sollen selbst immer mal wieder auf einer Geschenkeliste von Aubis aufgetaucht sein?

Für mich kann ich ausschließen, jemals Geld oder Geschenke von Aubis in Empfang genommen zu haben. Ich lege allerdings nach den Erfahrungen meiner 12-jährigen Amtszeit nicht mehr für jeden die Hand ins Feuer.

Also doch Bakschisch-Republik – auch im kleinen Cottbus?

Das ist wieder übertrieben. Wir gelernten DDR-Bürger waren zunächst blauäugig. Anfang der 90er Jahre hat beispielsweise ein westdeutscher Unternehmer zu meinen Mitarbeitern gesagt, der Oberbürgermeister von Cottbus könne doch nicht mit einem alten Lada umher fahren. Er wollte mir ein Auto schenken. Meine Mitarbeiter hielten das geheim, um mich zu überraschen. Eines Morgens stand mein Fahrer mit einem BMW vor meiner Haustür in der Plattenbausiedlung Sachsendorf. Ich war stinksauer, als ich die Hintergründe erfuhr. Aber meine Mitarbeiter hatten sich wirklich nichts dabei gedacht.

Hat das dazu geführt, dass Sie Ihre Mitarbeiter stärker kontrollierten?

Nein. Ich habe immer auf die lange Leine gesetzt. Ich wollte ja selbst kreativ arbeiten und bis zum Beweis des Gegenteils habe ich meinen Kollegen immer vertraut. Natürlich wurde der Vorfall mit dem BMW zum Anlass genommen, um die Stadtverwaltung für das Thema Bestechung zu sensibilisieren.

Was ist Ihrer Ansicht nach das Kriterium für Bestechung?

Wenn bestimmte Vorgänge nicht transparent sind. Oder werden. Es gibt da sicher Grenzfälle. Einmal kam beispielsweise eine ältere Frau in meine Bürgersprechstunde und schilderte, dass sie schon lange auf die Entscheidung eines Amtes warte. Ich habe die Kollegen gebeten, den Vorgang zu beschleunigen. Die Frau war überglücklich und brachte einen selbst gebackenen Kuchen ins Büro. Ich gebe zu, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, den Kuchen abzulehnen. Ich gebe auch zu, ihn gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen vernascht zu haben. Auch bei laufenden Verhandlungen mit Investoren ist Transparenz nicht immer möglich. Wenn man Vertraulichkeit vereinbart hat und am nächsten Tag alles in der Zeitung steht, verschreckt das die Geschäftspartner.

In den vergangenen zwei Jahren war viel von Korruption in Cottbus die Rede. Berechtigt?

Zum Teil waren die Vorwürfe berechtigt. Wir haben die Geschäftsführer der Gebäudewirtschaft Cottbus entlassen – jetzt muss man sehen, was bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen herauskommt. Anderes wurde teilweise überspitzt dargestellt. Der Auftrags-Kuchen, den die Stadt zu verteilen hatte, ist immer kleiner geworden. Da fragt jeder Unternehmer, der nicht berücksichtigt wird: „Warum kriegt der andere die Aufträge und nicht ich?“

Hat es Sie kalt gelassen, als im Zusammenhang mit den Vorwürfen eine Zeit lang permanent Ihr Rücktritt gefordert wurde?

Nein. So etwas tut weh – vor allem, wenn man jeden Tag sein Bestes gibt.

Als die Stadt die Bundesgartenschau ausrichtete, was mit großen Investitionen verbunden war, blickten viele Städte neidisch auf Cottbus.

Neid muss man sich erst einmal erarbeiten. Wir haben hart gearbeitet und einiges erreicht. Vor allem, dass die Cottbuser stolz auf ihre Stadt waren.

Warum gelang es nicht, diesen Stolz, diese Euphorie, zu bewahren?

Das ist wie im normalen Leben: Man kann nicht ständig im Rausch leben. Wir haben zwar das Herzzentrum in Cottbus eröffnet, die Fachhochschule Lausitz hat sich gut entwickelt – starke Impulse kamen von der Universität. Doch im Vergleich zum Großereignis Bundesgartenschau waren alles kleine Brötchen. Viele dachten, es geht immer weiter aufwärts. Aber die Wirtschaftslage hat sich nicht verbessert. Der massive Abbau von Arbeitsplätzen war für die Stadt nicht zu verschmerzen. Nur ein Beispiel:In der Cottbuser Textilindustrie sind heute noch 700 Leute beschäftigt, 1990 waren es 7000. Und es ist für einen 55-Jährigen ein mentales Problem, wenn er keine Arbeit mehr findet. Der fühlt sich doch noch nicht alt. Der will noch gebraucht werden.

Viele Betroffene schieben möglicherweise die Schuld auch auf die Kommunalpolitik.

Die Menschen sind nun einmal schnell mit ihren Urteilen und nicht wählerisch mit den Adressaten für Frust. Ich erlebe das immer bei den Heimspielen von Energie Cottbus. Wenn die Mannschaft gewonnen hat, klopfen mir die Leute auf die Schultern und sagen: „Mensch, Herr Kleinschmidt – dem Trainer Ede Geyer müssen Sie nun wirklich mal ein Denkmal bauen!" Hat Cottbus verloren, werde ich angeranzt: „Wieso schmeißen Sie diesen Geyer nicht endlich raus?"

Warum kandidieren Sie für den Bundestag?

Ich möchte natürlich die Position der Kommunen stärken. Die meisten Gesetze, die vom Parlament beschlossen werden, berücksichtigen die Interessen des Bundes.

Geht es auch etwas konkreter?

Nehmen Sie die Steuerreform. Die hat zur Folge, dass die Telekom in Cottbus keine Gewerbesteuer mehr bezahlt. Auch die Banken und die Versicherungen müssen sehr viel weniger abführen. Das bedeutet für die Stadt fast zehn Millionen Euro Verluste im Jahr.

Wie wollen Sie das ändern?

Wir brauchen ein neues Finanzierungsgesetz, das die Arbeitslosenquote und das Einkommen berücksichtigt. Sonst sind nicht nur die neuen Bundesländer, sondern auch viele Regionen im Westen Deutschlands, beispielsweise das Saarland, benachteiligt. Das Gemeindefinanzierungsgesetz ist nicht mehr das, was es mal war, ein neuer Mechanismus tut not. Denn Investitionen werden nun einmal vor allem auf der kommunalen Ebene getätigt. Dort werden Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen. Oder vernichtet.

Woher nehmen Sie Verbündete, um das durchzusetzen?

Das sind ja Probleme, mit denen große und kleine Städte gleichermaßen konfrontiert sind. Die haben doch Abgeordnete. Und auch die Länder müssen sich stark machen. Von einer Stärkung der Kommunen würden letztlich alle profitieren.

Können Sie verstehen, dass Politiker immer stärker in die Kritik geraten sind?

Es gibt überall schwarze Schafe. Aber mancher Bürger muss sich die Frage gefallen lassen, was ihn berechtigt, so über Politiker zu urteilen, wenn er sich selbst aus allem heraushält – sogar aus den Wahlen. Da gilt noch immer der alte Spruch von Perikles: „Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger." Für bedenklich halte ich allerdings, dass Politiker das oftmals überzogene Anspruchsdenken der Bürger noch fördern, indem sie nicht ehrlich sind.

Ehrlichkeit ist nicht gerade populär.

Aber notwendig. Politiker müssen dem Bürger die Wahrheit sagen. Ihm klarmachen: Wenn du etwas haben willst, musst du auch den Preis dafür zahlen. Wenn du ein großes Schwimmbad haben willst, mit allen Schikanen der neuen Technik, dann wird die Eintrittskarte entsprechend kosten.

Was hat Sie während Ihrer Amtszeit am meisten überrascht?

Ich hätte nie für möglich gehalten, dass die Geburtenrate so rapide abnimmt. Wir hatten 1990 jährlich 2000 Geburten in Cottbus. Und heute sind es noch 700.

Was war Ihre größte Enttäuschung?

Dass Menschen, denen ich vertraute, mich belogen haben.

Was wünschen Sie sich für Ihre Stadt?

Dass irgendwann ein Wissenschaftler der Cottbuser Universität den Nobelpreis erhält.

Das Interview führte Sandra Dassler

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