zum Hauptinhalt
Schmal und baufällig. Nur zwei Meter Platz haben Fahrgäste auf dem Wünsdorfer Bahnhof. Beide Gleise sind zudem stark befahren. Hier starb im Dezember die 15-jährige Caroline.

© Jörn Hasselmann

Wünsdorf: Vor den durchrasenden Zug gefallen

Nach dem tödlichen Unfall auf dem Bahnhof Wünsdorf prüfen Justiz und Polizei Sicherheitsmängel. Auf dem zwei Meter breiten Bahnsteig starb am Montag vergangener Woche eine 15-Jährige.

Wünsdorf - Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat nach dem tödlichen Unfall auf dem Bahnhof Wünsdorf die Bundespolizei gebeten, zu ermitteln, ob ein strafbares Verhalten von Bahnbediensteten vorliegt. Zudem sollen die baulichen Gegebenheiten und die Sicherheit auf dem Bahnsteig überprüft werden. Von einem Polizeihubschrauber aus wurden die Anlagen gestern vermessen. Wie berichtet, war dort am Montag vergangener Woche eine 15-Jährige getötet worden, weil sie von einem knapp zwei Meter breiten Bahnsteig vor einen Zug gefallen war. Das aus Berlin stammende Mädchen hatte auf den Regionalexpress nach Berlin gewartet. Dieser hatte jedoch Verspätung. Stattdessen fuhr ein anderer Personenzug mit Tempo 120 durch den Bahnhof. Nach Polizeiangaben erschrak das Mädchen derart, dass es einen Schritt rückwärts machte – und auf der anderen Bahnsteigseite von dem ebenfalls mit Tempo 120 durchfahrenden Vogtland-Express erfasst wurde. Dies hat ein Mann ausgesagt, der mit dem Mädchen auf den Zug wartete.

Auf dem Bahnsteig zwischen den beiden stark befahrenen Hauptgleisen hätten Caroline und der andere Fahrgast jedoch gar nicht stehen dürfen. Denn für einen Aufenthalt ist er viel zu schmal. Ermittelt wird nun auch, ob sich die Bahnhofsaufsicht falsch verhalten hat. Diese darf Fahrgäste nur auf den Bahnsteig lassen, wenn ein Zug nach Berlin hält – und dann darf zudem kein Zug aus Berlin kommen. Das Gleis aus Berlin muss nämlich von den Fahrgästen auf einer Art Trampelpfad überquert werden. Eine Unterführung oder eine Brücke gibt es nicht. Zum Einlass der Fahrgäste gibt es eine elektrisch von der Aufsicht zu öffnende Tür – die jedoch nach Angaben von Wünsdorfer Fahrgästen oft offensteht. Zudem kann man innerhalb des Bahnhofs umhergehen, wenn man erst einmal drin ist. Eine Videoüberwachung gibt es nicht.

Wartende Fahrgäste wiesen gestern auf weitere gravierende Sicherheitsmängel hin: So ist die Bahnsteigkante, über die Caroline in den Tod stolperte, sehr uneben und baufällig – und derzeit zur Hälfte dick vereist. Auch auf anderen Bahnsteigen an der Strecke nach Berlin war gestern nur ein schmaler Streifen eisfrei – und der immer direkt an der Gleiskante.

Der Unfall wäre nicht geschehen, wenn die Bahnsteigkante, in die Caroline stolperte, mit einem Zaun gesichert wäre. Denn diese Bahnsteigseite wird nicht genutzt; Fahrgäste von ankommenden Zügen steigen zur anderen Zugseite aus. Matthias Oomen vom Fahrgastverband „Pro Bahn“ hält den Mittelbahnsteig für völlig ungeeignet. „Dort muss dringend was passieren.“ Nach der gültigen Bauordnung müsste der Bahnsteig viel breiter sein. Jedoch haben bestehende Anlagen Bestandsschutz. Auch die Eisenbahnunfalluntersuchungsstelle des Bundes ist eingeschaltet. Die Bahn selbst wollte sich wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht äußern. Nach Angaben des Eisenbahnbundesamtes ist die Deutsche Bahn für die Sicherheit selbst verantwortlich.

Unklar ist auch, ob es Durchsagen gegeben hat. Carolines Zug sollte um 18.44 Uhr abfahren, der Unfall geschah um 18.45 Uhr. Woher sollte das Mädchen wissen, dass der heranrasende Zug gar nicht ihr RE nach Berlin ist, sondern durchrauscht? Unklar ist auch, ob die Aufsicht überhaupt wusste, dass ein anderer Zug kommt, der nicht hält. „Man muss sich erschrecken dürfen, ohne auf der anderen Seite ins Gleis zu fallen, sagte Matthias Oomen von Pro Bahn.

Die Bundespolizei hat nun von der Bahn alle Unterlagen zu dem Bahnhof angefordert. Geprüft wird auch, ob die Beschilderung ausreichend ist. Viele Informationen zu dem komplizierten Prozedere auf dem Bahnhof gibt es nicht. Nur am Zugang hängt ein Schild: „Tor wird durch Bahnmitarbeiter zu den Zügen geöffnet.“ Auf dem etwa 1,90 Meter schmalen Bahnsteig gibt es keinerlei Informationen, Tafeln oder Hinweise – auch nicht darauf, dass der Aufenthalt verboten ist, schimpfte eine Wartende gestern.

Das Mädchen kannte den Bahnhof gut, seine Mutter lebt in der Kleinstadt. Wie es in Ermittlerkreisen hieß, gibt es keinerlei Hinweise, dass sich das Mädchen falsch verhalten hat, weder sei Alkohol im Spiel gewesen, noch soll Caroline Kopfhörer getragen haben. Neben den zahlreichen Kerzen und Blumen, die Freunde des Mädchens vor dem Bahnhof aufgestellt haben, liegt ein Brief: „Warum musste der Zug sich verspäten – ohne wäre sie jetzt noch am Leben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false