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Brandenburg: Zonen der Angst in Oranienburg

Eine Langzeitstudie über rechte Jugendliche: Nur locker organisiert, aber nicht weniger gefährlich

Oranienburg - Reizvolle Lage inmitten einer seenreichen Landschaft, Sehenswürdigkeiten wie das älteste Barockschloss der Mark Brandenburg, kurz – ein interessantes Ausflugsziel. So preist sich Oranienburg auf seiner Homepage. Zugleich aber ist das Städtchen auch Heimat einer breiten Szene rechtsextremer Jugendlicher. Das zeigt die Langzeitstudie „Futur Exakt“ über die „Jugendkultur in Oranienburg“, die über zwei Jahre unter Leitung des Berliner Professors Hajo Funke erarbeitet wurde.

Eine Erkenntnis des Forscherteams: Rechtsextreme Einstellungen haben sich in der Jugend Oranienburgs schon in den späten 80er Jahren etabliert. Nach der Wende bildete sich eine straff organisierte rechte Szene, die aber unter dem hohen staatlichen Verfolgungsdruck nach der ausländerfeindlichen Gewaltwelle Anfang der 90er wieder zersplitterte. Heute gibt es in der 30 000-Einwohner-Stadt mit einem Ausländeranteil von 1,9 Prozent weder eine Jugendorganisation der NPD, noch rechte „Kameradschaften“; auch Auftritte rechtsradikaler Bands konnten die Forscher nicht notieren.

Dafür beobachteten sie diverse „Jugendgruppen“ mit insgesamt bis zu 100 Personen, die ein „ausländerfeindliches“ bis „rechtsextremes“ Verhalten an den Tag legen. Diese Jugendlichen kleiden sich trendy, tragen mal angesagte rechte Marken wie „Consdaple“, dann wieder Hip-Hop-Klamotten. Sie bezeichnen sich meist als „rechts“, aber „unpolitisch“ – oder als „nicht rechts“ und „politisch aktiv“. Ausländer finde man meist einfach nur „scheiße“. „Jeder hat doch hier was gegen Ausländer“, hat einer der Jugendlichen zu den Forschern gesagt. Die Gruppen bestehen aus bis zu fünfzehn Personen und werden meistens von einem „Aktivisten“ geführt, so die Forscher. Solche „Zellenstrukturen“ habe es – wenn auch mit anderen Mitgliedern – schon vor der Wende gegeben. Die Gruppen treffen sich häufig am Bahnhof oder am Weißen Strand am Lehnitzsee, und dort kann es zu bestimmten Zeiten für Ausländer tatsächlich gefährlich werden: Von „Zonen der Angst“ sprechen die Autoren der Studie. „Zu Pöbeleien oder Übergriffen kommt es meist, wenn sich die Täter unbeobachtet – oder auch nur unbeachtet fühlen“, erklärt Ralph Gabriel vom Forscherteam. Und unbeachtet können sie sich häufiger fühlen: „In Oranienburg herrscht ein fremdenfeindlicher Mainstream“, sagt Gabriel. Dies zeige sich etwa, wenn man Fremde in der Stadt begleite. „Wie die Bürger auf diese Leute zugehen, da ist keine Offenheit, keine Neugier.“

Rechte Gewalt werde zwar nicht offensichtlich befürwortet. Und es gibt in der Stadt, in der auch die Gedenkstätte für das Konzentrationslager Sachsenhausen liegt, auch einige wenige Gegeninitiativen wie die „AG gegen rechts“. Aber der Großteil der Bevölkerung nehme den Rechtsextremismus vieler Jugendlicher mehr oder minder stillschweigend hin. Und die Szene, so ein Fazit der Studie, „ist auch ohne feste Struktur quicklebendig“.

Ralph Gabriel, Ingo Grastorf, Tanja Lakeit, Lisa Wandt, David Weyand: „Futur Exakt. Jugendkultur in Oranienburg zwischen rechtsextremer Gewalt und demokratischem Engagement“. Verlag Hans Schiler, 302 Seiten, 18 Euro.

Jens Thomas

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