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Industrie 4.0: Schritt halten mit der Technik

Das Reich der Mitte plant mit Deutschlands Industrie 4.0 den Aufstieg vom Billiglohnland zur Industriemacht.

China steht unter Druck. Das Land muss sein Wirtschaftsmodell umstellen, um auch künftig für hohes Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Das ist die Quintessenz aus dem Regierungsbericht, den Ministerpräsident Li Keqiang am 5. März dem Nationalen Volkskongress in Peking präsentierte. Steigende Lohnkosten signalisieren das Ende des bisherigen Erfolgsmodells „Billiglohnland“. Künftig will das bevölkerungsreichste Land der Erde auf Innovation und Effizienz setzen. Möglich werden soll dies durch eine rasante Automatisierung und Digitalisierung der Industrie. Li Keqiang kündigte bereits einen Aktionsplan für das „Internet Plus“ an, also die Anwendung des Internets auf sämtliche Wirtschaftsbereiche.

Vor allem ein Thema bestimmt den Deutschlandbesuch des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ma Kai, wenn er diese Woche sein Heimatland auf der CeBIT vertritt: Industrie 4.0. Die Bundesregierung hatte das Zukunftsprojekt ins Leben gerufen, damit die deutsche Industrie auch künftig wettbewerbsfähig bleibt. Seit die Hannover Messe 2013 den Schwerpunkt auf Industrie 4.0 legte, kommt auch in chinesischen Regierungs- und Fachkreisen kaum ein Gespräch zur Digitalisierung der Industrie mehr ohne diesen Begriff aus.

Industrie 4.0: Nach Dampfmaschine, Fließband und Industrieroboter läutet die intelligente Vernetzung die vierte industrielle Revolution ein. In der intelligenten Fabrik entscheiden Maschinen selbstständig. Werkstücke erteilen Befehle, und der Kunde kann sein Wunschprodukt nach eigenen Vorstellungen auf Knopfdruck fertigen lassen. Die digitale Produktion ist effizienter, flexibler und individueller. Diese Neuerungen werden die Industrie grundlegend verändern. Wer in Zukunft auf globalisierten Märkten bestehen will, muss den Sprung in die intelligente und vernetzte Produktion schaffen.

Fortschrittliche Fabriken sind in China noch Ausnahmen

Im Zuge der Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen im Oktober 2014 einigten sich beide Länder auf eine Zusammenarbeit im Bereich Industrie 4.0. China will von Deutschland nicht nur lernen, sondern auch Technologie kaufen. Für die chinesische Regierung kommt das deutsche Konzept Industrie 4.0 zu einem günstigen Zeitpunkt. Denn Peking ist gerade dabei, die Industrie-Strategie für die nächsten zehn Jahre zu entwerfen. Ziel ist es, China zu einer „Industriemacht“ aufzubauen, die es bei hochwertigen und innovativen Produkten mit den führenden Industrienationen aufnehmen kann. Im Mittelpunkt der Strategie steht die Industrie 4.0, die das Sprungbrett für Chinas industrielle Modernisierung sein soll. Nach chinesischen Schätzungen könnte dadurch die Produktivität um 25 bis 30 Prozent steigen.

In Deutschland ist Industrie 4.0 noch eine Zukunftsvision. Chinas Industrie aber ist noch viel weiter von der intelligenten Vernetzung entfernt. Das Land ist gerade auf dem Weg vom Fließband (Industrie 2.0) zum Industrieroboter (Industrie 3.0). Fortschrittliche Fabriken wie die des Maschinenbauers Sany in Changsha sind absolute Ausnahmen. In China kommen derzeit nur etwa 14 Industrieroboter auf 10 000 Industriearbeiter. In Deutschland sind es 282. Doch die Modernisierung der Industrie schreitet schnell voran.

Mittlerweile ist China der weltweit größte Absatzmarkt für Industrieroboter. Bereits 2017 werden im Reich der Mitte voraussichtlich die meisten Industrieroboter eingesetzt. Während dieser Trend China zunächst einmal in die Industrie 3.0 führt, ist der nächste Schritt zur intelligenten Vernetzung bereits mitgedacht. Gerade die großen chinesischen Industrieunternehmen haben mit 4.0-Experimenten begonnen.

Schon wenige Großkonzerne können empfindlichen Wettbewerb erzeugen

Industrie 4.0 ist nicht Chinas erster Versuch, seine Industrie auf die Zukunft vorzubereiten. Bereits 2007 hat die Regierung eine umfassende Strategie für die Automatisierung und Digitalisierung der Industrie entwickelt. Auf allen Ebenen versucht die Regierung, eine schnelle Modernisierung in Gang zu setzen. Die staatliche Förderung ist ungleich umfangreicher als in Deutschland.

Nach einer chinesischen Studie könnte China bis 2045 mit den USA, Deutschland und Japan als fortschrittlicher Industrieproduzent gleichziehen. Wenn es China tatsächlich gelingt, seine Industrie schnell zu modernisieren, könnte die Digitalisierung aus dem Land einen ernstzunehmenden Konkurrenten für Deutschland im Bereich hochwertiger Industrieprodukte machen. Deutsche Vorzeigebranchen wie etwa der Maschinenbau, Elektrotechnik und letztendlich sogar der Automobilsektor werden dann unter Druck geraten.

Richtig ist: In der Breite wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Chinas Industrie das Niveau der deutschen erreicht. Viele kleine und mittelgroße chinesische Unternehmen sind auch künftig meilenweit von fortschrittlicher Produktionsfähigkeit entfernt. Doch dies sollte deutsche Unternehmen nicht in Sicherheit wiegen: China braucht keine Digitalisierung in der Breite, um empfindlichen Wettbewerb zu erzeugen.

Einige „National Champions“ auf den internationalen Märkten reichen aus. Und diese entstehen bereits: Großkonzerne wie der Maschinenbauer Sany oder die Elektrogerätehersteller Haier und Hisense entwickeln sich rasant. Bei Industrie 4.0 haben sich diese Unternehmen heute bereits an die Fersen deutscher Unternehmen geheftet. Der Telekommunikationsausrüster ZTE konnte durch die Automatisierung und Digitalisierung seiner Produktion in Xi'an die Kapazitäten für Smartphones um 40 Prozent steigern und dabei gleichzeitig die Personalkosten um die Hälfte senken. Der Vorstandsvorsitzende von ZTE Devices, Zeng Xuezhong, gab sich unlängst zuversichtlich, dass sein Unternehmen künftig Apple übertreffen wird – dank Industrie 4.0.

Die Zeichen für eine Zusammenarbeit stehen schlecht

Im Oktober 2014 haben China und Deutschland die Kooperation im Bereich Industrie 4.0 zu einem zentralen Bestandteil der deutsch-chinesischen Innovationspartnerschaft gemacht. Doch die Zeichen für die Zusammenarbeit stehen schlecht. Deutsche Unternehmen und Verbände können sich untereinander bislang nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Noch größer sind die Herausforderungen, die China bereithält: Das Land schottet seinen Markt gegenwärtig unter dem Vorwand der Cyber-Sicherheit für ausländische IT-Unternehmen ab.

Die Blockierung von Virtual Private Networks (VPN) und die staatliche Kontrolle von Datenströmen sorgen für Nervosität und erschweren das Geschäft. Das betrifft Industrie 4.0 besonders, weil sie in großem Maße Datentransfers mit Cloud-Diensten und Transparenz von Geschäftsaktivitäten erfordert. Deutschen Unternehmen, die Industrie 4.0 liefern und anwenden, schadet diese Entwicklung massiv. Auch wenn China bei manchen Technologiebereichen noch vom Ausland abhängig ist: Die Marktmacht ausländischer Unternehmen wird rapide abnehmen, sobald China technologisch gleichzieht.

Gleichzeitig aber locken riesige Gewinne, die die Nachfrage nach Industrie 4.0 in China erzeugt. Die Auftragsbücher der Technologieanbieter Bosch, Kuka, SAP und Siemens sind in China gut gefüllt. Letztlich werden ihre Erfahrungen mit dem chinesischen Technologieprotektionismus darüber entscheiden, ob sich künftig auch der deutsche Mittelstand stärker als bisher auf den chinesischen Markt traut.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MERICS im Forschungsbereich Innovation, Umwelt und Wirtschaft. Seine Forschungsschwerpunkte sind Chinas Internetökonomie, Technologiepolitik sowie Umwelt und Energie.

Jost Wübbeke

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