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Männersache. Noch wird der Kern des Schlosses in Beton und Stahlflechtwerk gearbeitet. Erst danach kommt die Barockfassade dran. Oberpolier Harald Eberhardt auf dem Dach „seiner“ Schlossbaustelle.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wie funktioniert die Stadt? (3): Aus einem Guss

Das alte Berliner Schloss war aus Stein gemauert, das neue wird aus Stahl und Beton gebaut. Beton für eine halbe Milliarde Euro. Harald Eberhardt ist Oberpolier auf dieser Baustelle. Mehr als 100 Arbeiter koordiniert er täglich. Ein Traumjob, findet er.

Es ist 5.25 Uhr. Die Breite Straße liegt im Dunkeln. Auf dem Stadtring nehmen 20 000 Kilo Stahl Kurs auf Berlins größte Baustelle. Harald Eberhardt geht im Kopf noch einmal durch, wo heute Beton gegossen, Stahl geflochten, Schalungen gelöst werden – und die 40-Tonner ihre Fracht übergeben. Eberhardt ist Oberpolier bei Hochtief, koordiniert 120 Arbeiter auf der Baustelle des Berliner Schlosses. Und er ist stolz darauf, hier zu sein. Der Mittfünfziger aus Ilmenau bei Thüringen ist schon viel rumgekommen auf den Großbaustellen der Republik: Er war beim Bau der Deutschland-Zentrale von Coca-Cola dabei, bei der Errichtung eines Rathauses in Moers, die Lauchhammer Fabrik für Windmühlen-Rotoren hat er mit aufgebaut und die Halle für Luftschiffe des „Cargo Lifter“, heute eher bekannt als Brandenburger Freizeitbad Tropical Islands. Aber er findet: „Das Schloss, das ist das Größte.“

Das liegt wohl auch daran, dass im Märkischen Sand der Baustelle mehr als eine halbe Milliarde Euro in Beton gegossen wird. Und dass das Projekt nicht so chaotisch abläuft wie andere Berliner Bauvorhaben. Harald Eberhardt sagt: „Jede Baustelle funktioniert – so lange die Planung nicht mehr geändert wird.“ Beim Schloss war das so. Und weil die Planung eben steht, läuft dort alles rund.

Neben der Humboldt-Box, der Info und Aussichtplattform zum Neuen Schloss, stoppt ein Schwertransporter mit 19 Meter langen Stahlträgern , mehr als 20 Tonnen schwer. Der Fahrer eines Autokrans, dessen Leistung ausreicht, um 220 000 Kilo zu heben, lässt Ketten hinab. Wenig später schweben die orange-braunen Träger 30 Meter in die Höhe. Oben auf dem Dach des Schlosses sind Aussparungen in der Stahlbetonwand vorbereitet

Wie Lego-Bausteine werden die Enden des Stahlträgers dort hineingesteckt, mit dem Stahl in der Wand verschweißt und eingemauert, damit die Decke hält. Mit großen Schritten geht Eberhardt quer durchs Schloss. Im Erdgeschoss steht noch Wasser. „Bodennachbehandlung“ feixt er. Tatsächlich ist das Bauwerk einfach noch nicht abgedichtet. Vom späteren Schlossforum aus, mitten im Gebäude, ist der Blick frei auf den „Haupteingang“, das Portal III. Es hat gewaltige Ausmaße, der Eindruck wird durch die kalten, grauen Betonwände noch verstärkt. „Für eine einzige Stütze im Erdgeschoss brauchen wir 100 Kubikmeter Beton“, sagt Eberhardt. Und dann fügt er hinzu: „Früher haben die das ganze Schloss gemauert.“ Kein Kran, kein Beton, kein Stahl, kein Schweißgerät – einfach nur Steine aufeinander getürmt bis in Schwindel erregende Höhen.

Das Schloss hielt auch im Krieg stand. Ganz ohne Statik-Programme.

Trotzdem hielt der Barockbau des Andreas Schlüter dem Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg stand und ein halbes Jahr lang auch zentnerweise Dynamit, das die Sprengmeister des Arbeiter- und Bauernstaates in eigens ausgestanzte Löcher im Mauerwerk zur Explosion brachten. Von diesen Abbrucharbeiten im Jahre 1950 heißt es, sie seien im ersten Anlauf sogar gescheitert: Die Mauern hätten sich nach der Detonation gehoben und wieder gesenkt, ohne sichtbar Schaden zu nehmen. Die Sprengladung musste drastisch erhöht werden. Wie präzise müssen diese Steine gesetzt, wie genau diese Fugen verlaufen sein, wie groß war diese Baukunst – ganz ohne Computer und Statik-Programme.

Oben auf dem Dach sind die Stahlflechter am Werk. Die Metallstreben verstärken den Beton. Die werden wie ein doppeltes Netz auf dem Boden verlegt und untereinander verschweißt, die Ränder dann mit Holz eingeschalt. Große Kisten voller bunter und schwarzer Bälle stehen herum. Kicken die Arbeiter in der Mittagspause? „Nein, das sind Cobiax-Bälle, die werden in die Betondecken eingebaut“, sagt Eberhardt. Sie verringern das Eigengewicht der Decke. Das spart auch Baustoff. Stark genug, um Lasten zu tragen, bleibt die Decke trotzdem. Zumal oben auf dem Dach außer etwas Gebäudetechnik keine schwere Einrichtung aufgestellt werden wird. Nebenan umfasst ein Arbeiter wie ein Ringer einen dicken grauen Schlauch. Der Schlauch spuckt Beton, der aus einem 30 Meter tiefer geparkten Lkw kommt. Ein ferngesteuerter Vorgang; der Fahrer steht auf dem Gebäudedach.

Im kommenden Jahr wird der letzte Betonmischer den Schlossplatz verlassen und der fertige Rohbau an den Bauherrn übergeben. Dann bricht Harald Eberhardt zur nächsten Baustelle auf. Ein wenig Wehmut wird wohl dabei sein, beim Abschied von seiner schönsten Baustelle.

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