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Bereits als Kind sammelte Britta Wend Erfahrungen auf dem Tennisplatz.

© Stefan Brendahl

Nach einem Unfall beginnt die Sportkarriere im Rollstuhl: Die Geschichte von Britta Wend

Nach einem Sportunfall an der Uni schafft es Studentin Britta Wend bis ins Rollstuhltennis-Nationalteam. 2024 will sie in Paris dabei sein.

Britta Wend ist an diesem Morgen im Juli früh aufgestanden. Seit einer Stunde trainiert die Rollstuhltennisspielerin in der großen Halle im Kölner Stadtteil Weiden. Der Regen prasselt laut auf das Dach, doch davon lässt sich die 25-Jährige nicht ablenken. Komplett in Schwarz gekleidet, sitzt sie hoch konzentriert in ihrem Sportrollstuhl. Der Aufschlag kommt gut, doch den Rückschlag von ihrem Coach Niklas Höfken schlägt sie ins Netz. „Da komme ich nicht mal laufend dran“, sagt sie lachend.

Dreimal wöchentlich trainiert Britta Wend mit Höfken, Katharina Krüger, die beste deutsche Rollstuhltennisspielerin, ist mittlerweile ihre Doppel-Partnerin: Die Voraussetzungen für eine große Karriere könnten kaum besser sein, und das Ziel hat Britta Wend klar vor Augen – eine Teilnahme an den Paralympischen Spielen.

Das harte Training im Rollstuhl gehörte bis vor drei Jahren noch nicht zum Alltag der Bielefelderin. Sport begleitet sie allerdings schon ihr ganzes Leben lang. Jahrelang spielte sie Handball. Nicht im Rollstuhl, sondern als Fußgängerin – bis zu einem schweren Unfall an der Sporthochschule in Köln, an der sie seit 2017 studiert. „Ich weiß noch, an dem Tag war ich müde, ich hatte eine harte Woche vorher“, erzählt sie heute. Trotzdem nimmt sie in der Hochschule an dem Akrobatiktraining teil. Sie soll von den Schultern eines Kommilitonen abspringen und nach der Landung eine Rolle machen. Doch Britta Wend ist nicht ganz bei der Sache. Sie dreht sich schon in der Luft und landet hart auf dem Kopf. Sie schreit vor Schmerzen. „Ich habe direkt gemerkt, dass irgendwas falsch ist mit meinen Beinen. Es hat sich nichts bewegt, als ich meine Füße benutzen wollte.“

Die niederschmetternde Diagnose im Krankenhaus: inkompletter Querschnitt – ein Lendenwirbel ist gebrochen und hat das Rückenmark von Britta Wend gequetscht. „Das heißt, es ist nicht durchtrennt, sondern abgeklemmt – es konnte also etwas wiederkommen.“ Die Nachricht ist für sie und ihre Familie im ersten Moment ein Schock, doch alle reagieren relativ gefasst. „Wir sind eher die anpackenden Typen“, sagt Wend: „Dann war das halt so, und man versucht einfach, das Beste daraus zu machen.“

Die Leidenschaft für Tennis kommt nicht von ungefähr

Dabei geholfen hat ihr die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), bei der sie als Studentin automatisch versichert ist. Gleich nach ihrer Operation beginnt die sechsmonatige Rehabilitation in Bochum. Über die Unfallkasse erhält Wend die Möglichkeit, ihre Muskeln mit Hilfe eines Exoskeletts, einer Art Stützkorsett für d en unteren Bewegungsapparat, zielgerichtet zu trainieren. In einem speziellen Therapiezentrum erlernt sie anschließend einige Schritte frei zu laufen. Heute kann sie kürzere Distanzen zu Fuß zurücklegen, doch für den Großteil ihres Lebens ist sie auf den Rollstuhl angewiesen.

Als Britta Wend im Oktober 2019 an die Sporthochschule zurückkehrt, wird sie auf Rollstuhltennis aufmerksam. Sie lernt Bundestrainer Niklas Höfken kennen, der einen Lehrauftrag für Tennis hat. Ein glücklicher Zufall. Er fragt sie, ob sie sich vorstellen könne, die Sportart auszuprobieren. Sie überlegt nicht lange. „Nach den ersten Trainingseinheiten war mir schnell klar, dass ich dabeibleiben möchte.“

Die Leidenschaft für den kleinen gelben Ball kommt nicht von ungefähr, schon als Kind spielte sie gerne Tennis. Ein weiterer Punkt, der die junge Frau überzeugt, sind die inklusiven Möglichkeiten der Sportart. „Tennis ist ein Sport,den man für alle Menschen anpassen kann.“ In der paralympischen Version darf der Ball zweimal aufkommen, bevor man ihn über das Netz zurückschlägt.

Eine andere Sportart kommt dagegen für Wend nicht mehr infrage. Nach ihrem Unfall erlebt sie noch einen würdigen Abschied von ihrem langjährigen Hobby Handball. Bei einem Spiel ihrer ehemaligen Mannschaft wird sie eingewechselt und kann so den letzten Siebenmeter ihrer Karriere werfen – im Stehen. Ein emotionaler Moment, den sie niemals vergessen wird.

Seit diesem Tag konzentriert sich Wend voll auf Rollstuhltennis. Sie ist eine talentierte Spielerin, die schnell lernt. Mittlerweile gehören große Turniere zu ihrem Alltag: Hier ein Spiel in Deutschland, da ein Wettbewerb im Ausland mit der Nationalmannschaft. Dass ihr Studium zwar mitunter darunter leidet, Tennis aber trotzdem an erster Stelle stehen kann, hat sie auch der DGUV zu verdanken. Die Leistungen der zuständigen Unfallkasse schließen auch eine Rente mit ein, die ihr den Freiraum gibt, an ihrem großen Ziel weiter hart zu arbeiten.

Britta Wend will in Paris für Deutschland spielen

Ihr persönliches Highlight erlebte Britta Wend bei der Qualifikation für den World Team Cup in Portugal. Dort trat sie im Mai mit Katharina Krüger zum ersten Mal im Doppel an. Das Duo schaffte mit dem Finaleinzug eine kleine Sensation und ist nun im Oktober bei der Endrunde dabei. „Es ist einfach schön, jemanden zu haben, an dem man sich auch ein bisschen orientieren kann“, sagt sie über ihre erfahrene Mitspielerin, die bei den Paralympics in Tokio startet.

Von einer solchen Teilnahme träumt auch Britta Wend – sie will mehr als nur die Doppel-Partnerin der deutschen Nummer eins sein, auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist. „Für die nächste Zeit geht es darum, in der Weltrangliste zu klettern“, sagt Bundestrainer Niklas Höfken. Aktuell ist Wend die Nummer 101 und damit in Deutschland bereits die zweitbeste Spielerin hinter Krüger. Geht es in dem Tempo weiter, dürften die Paralympics in Paris 2024 gar nicht mehr so weit entfernt sein.

Bis dahin will Britta Wend auch die Sichtbarkeit ihrer Sportart weiter verbessern. Sie ist ein großer Fan von inklusiven Tennis-Turnieren, an denen Rollstuhlfahrende, Fußgängerinnen und Fußgänger teilnehmen: „Wenn ein Vereinsmitglied sieht, dass Rollstuhlfahrer auf dem Platz sind, dann erzählt er vielleicht seinem rollstuhlfahrenden Nachbarn davon und der kommt auch vorbei.“

Diese Sichtbarkeit soll selbstverständlich werden. „Ein Satz wie ,Du machst trotzdem Sport’ suggeriert ja, dass mein Leben schlechter ist als das von anderen“, sagt sie. Das sei falsch und schüre bei Menschen die Angst davor, im Rollstuhl zu landen. „Natürlich gibt es Hürden, aber man hat nicht per se ein schlechteres Leben.“ Manche Menschen würden sogar für sie beten. „Das muss keiner tun, denn ich hatte es immer gut im Leben“, sagt sie. Das sieht man ihr auch an diesem Julitag auf dem Tennisplatz an. Britta Wend wirkt wie eine glückliche junge Frau mit ambitionierten Zielen. Oder wie sie es sagt: „Ich bin Sportlerin – so wie alle anderen.“

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog. 

Magdalena Austermann

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