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Niedlichkeitsfaktor: Im Downloadspiel „Stacking“ für Xbox 360 und Playstation 3 (großes Bild) führt der Spieler eine zerrissene Familie von Matroschka-Figuren zusammen.

© promo

Am Drücker: Ego-Shooter, Hundewelpen

"Call of Duty", "Stacking", "Sims": Fast jede dritte Frau spielt regelmäßig am Computer. Was den weiblichen Fans gefällt – und warum.

Von Maris Hubschmid

Tanja Platzer arbeitet als Sachbearbeiterin bei einer großen Versicherung. Gestern hat sie sich ein Schwein gekauft. Drei Stunden später stand in ihrem Garten plötzlich eine herrenlose, braune Kuh. Auf so einen Moment wartet Platzers Schwägerin schon lange. Aber die Sprechstundenhilfe des Zahnarztes an der Ecke war schneller: Ein Blick, und sie hatte das Tier adoptiert.

Die drei Frauen spielen „FarmVille“, ein Browsergame im weltweit größten sozialen Netzwerk Facebook. Damit gehören sie zu den inzwischen 29 Prozent aller Frauen in Deutschland, die sich regelmäßig mit einem Computer- oder Konsolenspiel beschäftigen. Bei den Männern ist der Anteil an Spielern mit 34 Prozent nur geringfügig höher. Fast jeder zweite Gamer hierzulande, heißt es beim Bundesverband für Interaktive Unterhaltungselektronik (BIU), ist weiblich.

Die meisten Spielerinnen finden sich in Altersgruppe zwischen 35 und 50, die nicht mit Chatrooms groß geworden ist: Die Frauen um Tanja Platzer sind alle in den 40ern. Sie spielen abends mit dem Laptop auf dem Schoss, während im Hintergrund der Fernseher läuft, oder in der Bahn. Und loggen sich auch schnell mal in der Mittagspause ein, um ihre digitalen Blumen zu gießen.

Denn darin unterscheidet sich das Nutzungsverhalten von Männer und Frauen: „Auch Frauen spielen Ego-Shooter wie ,Call of Duty‘“, sagt Kristina Rothe, Projektleiterin bei Travian Games und Dozentin an der Berliner Games-Academy. „Aber ihre besondere Leidenschaft gilt Spielen, in denen sie etwas aufbauen können, mit sozialen Aspekten.“ In den Games, die bei Frauen am beliebtesten sind, geht es weitgehend idyllisch zu. Wie bei „Sims“, das weltweit bereits mehr als eine Million Pakete absetzte.

Das Konzept wurde in zahlreichen ähnlichen Entwicklungen wie „Alamandi“ oder „Elvenland“ variiert: Auf dem Spielfeld muss mit begrenzten Ressourcen gehaushaltet und die eigene Situation nach Möglichkeiten verbessert werden. Darüber hinaus gilt es die Figuren bei Laune zu halten, denn wenn die Zufriedenheit sinkt, entwickeln sie ein verhängnisvolles Eigenleben. „Solche Managementkomponenten schätzten Frauen bereits an Spiele-Klassikern wie ,Die Siedler’ oder der ,Anno’-Reihe“, sagt Spiele-Experte Tobias Arns vom Branchenverband Bitkom. Glaubt man Entwicklerin Kristina Rothe, geht es oft noch um etwas anderes: den Niedlichkeitsfaktor.

Rothe, die auch in ihrer Freizeit spielt, schwärmt aktuell für „Stacking“, ein Spiel, bei dem man einer kleinen Matroschka, nach dem Vorbild der russischen Holzpuppe, hilft, ihre Familie zu finden.

Nintendo feiert aktuell Erfolge mit dem Videospiel „Nintendogs & cats“, das für die tragbare Spielekonsole Nintendo DS entwickelt wurde und nach dem Tamagotchi-Prinzip funktioniert. Niedlich ist auch der Hundewelpe, den Tanja Platzer sich bei „FarmVille“ zugelegt hat. Doch wenn sie den Welpen nicht füttert, läuft er davon. „Wer kann sich kümmern, wenn ich nicht da bin?“, postet sie im Forum. Richtig erfolgreich ist bei „FarmVille“ nur, wer sich vernetzt. Die Zahnarzthelferin kann so virtuelle Nachbarschaftsdienste bei Tanja Platzer übernehmen.

Was aber ist reizvoll daran, sich in der digitalen Welt derlei Verpflichtungen ans Bein zu binden, wie man sie auch im realen Leben hat? „Im Spiel gibt es schneller Erfolgserlebnisse“, sagt Marco Block-Berlitz, der an der Mediadesign Hochschule für Informatik und an der Freien Universität in Berlin lehrt und forscht. Frauen lieben nach seinen Erkenntnissen auch die emotionale Komponente mancher Spiele. Da taucht plötzlich ein attraktiver junger Mann auf, den man mit wenigen Klicks mit dem eigenen Charakter verkuppeln kann. Dann hat man vielleicht schon übermorgen ein Kinderzimmer einzurichten, während sich im nicht virtuellen Dasein an der Partnerfront rein gar nichts tut.

Ein Viertel der angehenden Gamedesigner an der Hochschule, bei der Block-Berlitz tätig ist, sind Frauen. Die äußern oft den Wunsch nach mehr Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten. „Männer arbeiten sich beim Spielen stets an etwas ab, Frauen wollen konstruieren“, sagt Block-Berlitz. Den Gegner erledigen sie auf dem Weg dahin aus reiner Notwendigkeit. Das lehnt an die alte Theorie von den Jägern und den Sammlerinnen an: Männer hasten von einem Level zum nächsten, immer das Ziel vor Augen. Frauen sammeln unterwegs alles ein, was bunt blinkend am Spielhorizont auftaucht, horten es, bauen es ein. Räuber und Gendarm vs. Puppenhaus.

Was unterscheidet die weiblichen Computerfans noch von den männlichen? In Befragungen gaben Frauen laut Branchenbeobachter Arns an, ungern Geld für ihr Hobby auszugeben. Eher spielen sie ein kostenloses Spiel im Internet, als dass sie sich eine CD-Rom kaufen. „Ich glaube, dass dieser Vorsatz oft gebrochen wird“, sagt Kristina Rothe. „Bei den Browsergames gibt es Extras, die nur gegen Bezahlung zu bekommen sind. Und dann wird auch Frau weich, kauft hier und da ein Accessoire ein.“ Zum Beispiel ein diamantenes Halsband für den Hofhund.

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