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Harald Martenstein.

© dpa

Ende des Buchs?: E-Book: Nix für die Badewanne

In diesem Jahr wurde auf der Buchmesse ein E-Book als technische Sensation vorgestellt. Harald Martenstein fragt sich: Ist dies das Ende des Buchs und der Regale?

Die Ära Gutenberg ging zu Ende. Die gut 500 Jahre des gedruckten Buches waren vorbei. 2008 kamen die ersten konkurrenzfähigen, also leicht zu bedienenden und überall, auch am Strand, leicht zu lesenden E-Books auf den Markt. Hunderte von Büchern, verpackt in einer federleichten und unkomplizierten Maschine. Diese Maschine bot im Prinzip alles, was das Buch konnte, zum Beispiel die Möglichkeit, Lesezeichen zu setzen, elektronische Eselsohren. Nun aber konnten die Leser auch Übersetzung und Originalfassung miteinander vergleichen, sie konnten die Schriftgröße mit einem Knopfdruck ihren Bedürfnissen anpassen, sie konnten mühelos eine ganze Bibliothek mit in den Urlaub nehmen.

Wird es so kommen? Wird man eines Tages in dieser Weise über das Jahr 2008 reden oder schreiben? Zeitenwende?

Ich glaube, nein. Mit dieser Einschätzung habe ich immerhin die historische Erfahrung der letzten 150 Jahre auf meiner Seite. Fast nie hat ein neues Medium ein altes Medium vollständig verdrängt. Nicht das Fernsehen den Radioapparat, nicht der Computer den Fernseher. Nicht einmal der CD-Player den Plattenspieler oder das Handy das klassische Telefon. Gut, es gibt ein paar Ausnahmen von dieser Regel – Kassettenrekorder zum Beispiel werden wohl wirklich verschwinden.

Der Normalfall aber sieht so aus: Eine neue Technik erobert sich ihren Marktanteil. Die Anteile der anderen werden kleiner. Aber sie verschwinden nicht. Fast immer bietet die alte Technik halt doch ein paar Vorteile, die der Neu ankömmling trotz seiner scheinbaren Überlegenheit nicht zu bieten hat. Das Notizbuch muss nicht erst hochge fahren werden. Der Radioapparat kann beim Autofahren benutzt werden.

Das Buch kann in die Badewanne fallen, ohne hinterher total unbenutzbar zu sein. Das Buch, mit all den Notizen und Eselsohren, kann ein sehr persön licher Gegenstand werden. Es verschmilzt mit dem Besitzer. Das Buch altert, es wird dabei meistens schöner. Das Buch fasst sich gut an, das Buch riecht. Wenn du das Buch schüttelst, fällt Sand heraus. Das Buch trägt womöglich den Stempel „Universität Königsberg in Preußen“. Das Buch besteht aus Erinnerungen und Geschichte. Das Buch kann vom Autor signiert werden. Vor allem ist das Buch ein Einrichtungsgegenstand. Unsere Bücherregale bilden unseren geistigen Lebenslauf ab – in meiner Generation von Karl May über das „Kapital“ und Theweleits „Männerphantasien“ bis zu Houellebecq. Fast jeder findet es spannend, sich als Besucher einer fremden Wohnung das Bücherregal anzuschauen, hinterher weiß man Bescheid. Als einziges Möbelstück mit intellektueller Ausstrahlung bleibt das Buch konkurrenzlos und unersetzlich. Wohnungen ohne Bücher, in denen zwei oder drei E-Books herumliegen, machen miss trauisch. Ist das womöglich ein dummer Mensch?

Bei der letzten Buchmesse habe ich das E-Book von Sony ausprobiert, eines der beiden Spitzenmodelle. Das andere heißt „Kindle“. Das Umblättern, ein kurzes, irritierendes Flackern. Aber daran kann man sich gewöhnen. Das E-Book wird seinen Weg machen, es ist praktisch für professionelle Leser, wie Lektoren, Agenten oder Kritiker. Diese Menschen haben zum Lesen ein unromantisches Verhältnis. Es ist Arbeit. Das E-Book wird vor allem die Lexika, die Sach- und Lehrbücher ersetzen, die schnell veralten und deshalb häufig aktualisiert werden müssen. Ein im E-Book gespeichertes Lexikon ist praktischer, als immer den Laptop mit sich herumzuschleppen und ihn hochzufahren, um sich ins Internet zu begeben und bei „Wikipedia“ etwas nachzuschauen. Das Praktische, Unkomplizierte siegt immer.

Ich wette aber, dass auch der Lektor oder die Agentin in ihrer Wohnung nicht auf ein Bücherregal werden verzichten wollen. Das E-Book ist einfach nicht sinnlich genug. E-Book und Buch verhalten sich zueinander wie CD und Schallplatte, nur, dass der Sinnlichkeitsvorsprung des Buches noch viel, viel deutlicher ist.

Und im Urlaub? Am Strand? Wie oft verliert oder vergisst man im Urlaub etwas. Der Sand verkratzt das Display. Nein, dazu ist ein E-Book zu teuer.

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