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Yarny. Auf der Suche nach verlorenen Erinnerungen.

© EA

Game-Test "Unravel": Verstrickt und zugenäht

Liebevoll, putzig und irgendwie anders: Mit „Unravel“ hat der schwedische Indie-Entwickler Coldwood ein Jump ‘n‘ Run geschaffen, das auf eine zauberhafte Reise einlädt.

Die alte Strickerin sitzt einsam an ihrem Wohnzimmertisch, ihr Haar ist grau, ihr Blick trüb. Durch das Fenster strahlt die Sonne auf einen bunten Blumenstrauß. Die Frau hält eine Fotografie mit beiden Händen, lächelt, dann folgt ein tiefer Seufzer. Sie steht auf, nimmt ihren Strickkorb und geht langsam die Treppe hinauf. Was sie nicht bemerkt: Aus ihrem Korb purzelt ein Wollknäuel, die Treppe runter, rollt über den Boden und unter den Tisch. Einige Augenblicke später krabbelt ein wundersames Männchen auf das Stuhlkissen, handgroß, ganz aus rotem Garn gewickelt, als Augen zwei weiße Aufstecker. Das ist Yarny, der mit den Sackboys aus „Little Big Planet“ und Ori aus „Ori and the Blind Forest“ wohl schon jetzt als einer der drolligsten Charaktere der jüngeren Videospielgeschichte gelten darf. Er schaut sich staunend um. Das Abenteuer von „Unravel“ beginnt.

Einer der vielen Erinnerungen, die Yarny einsammeln kann.
Einer der vielen Erinnerungen, die Yarny einsammeln kann.

© EA

Die Fotografien, die in der Wohnung der Strickerin stehen, sind die Levels, die Yarny erkunden kann. Er kann darin eintauchen und dem Pfad der Erinnerung folgen. Waldspaziergänge, Bergwanderungen, Ausflüge an den See, die eine fast meditative Ruhe ausstrahlen. Vögel zwitschern, Äste knacken, im Hintergrund läuft melancholische Streichermusik.

Ganz ohne Worte erzählt das Spiel die Lebensgeschichte der Strickerin. In jedem Level erscheinen schemenhaft Bilder am Wegesrand. Zwei Mädchen, die gemeinsam einen Drachen steigen lassen, eine Frau, die einen Abhang hinunterblickt, zwei Männer, die jemanden zu Boden drücken. Es geht um Familie, um Freundschaft, aber auch um Verlust und Tod, Trauer und Einsamkeit.

Bekanntes Gameplay, traumhafte Spielwelt

Die Spielmechanik von „Unravel“ ist an klassische Jump ‘n‘ Run Spiele angelegt. Yarny kann sein Garn nutzen, um sich durch die Luft zu schwingen, er kann damit Gegenstände aneinander binden, kleine Trampoline aufspannen. Es gibt Rätsel zu lösen und Hindernisse zu überwinden. All das ist nicht besonders originell.

Zum Glück lockern die Entwickler das altbackene Spielprinzip immer wieder auf. Mal ist es ein Bieber, der Yarny jagt, dann sind es Steine, die von einem Hang auf ihn zurollen oder ein riesiger Hirsch stampft in seine Richtung. Yarny fliegt mit Winddrachen durch die Luft, er treibt in Bötchen über Seen oder lässt sich mithilfe eines Holzbrettes über eine Klippe katapultieren. An einigen Stellen wird das Spiel frustrierend, weil man nach dem Trial & Error-Prinzip vorgehen muss, um die richtige Lösung zu finden und die Steuerung nicht immer hundertprozentig präzise ist. Das hält sich aber in Grenzen und mindert den Spielspaß kaum.

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Sowieso steht in „Unravel“ mehr als alles andere die Spielwelt im Vordergrund. Sie ist mit unglaublichem Detailreichtum gestaltet. Die prallen, roten Äpfel, die in der Sommersonne hängen, die kleinen Bäche und Kieselsteine auf dem Weg, die Pilze und Sonnenblumen. Und natürlich Yarny selbst. Er verschränkt seine dünnen Ärmchen, wenn es regnet, er schaut ungläubig Schmetterlingen hinterher, die über seinen Kopf fliegen. Er lebt und atmet, obwohl er weder spricht und wir auch nichts über ihn erfahren. Wenn er leidet, leiden wir mit ihm.

Ist er nicht putzig?
Ist er nicht putzig?

© EA

Ein wohltuendes Luftholen in der hektischen Spielelandschaft

Das macht „Unravel“ zu einem sehr verträumten Titel, der nicht durch seine Spielmechanik heraussticht, sondern durch die Reise, auf die es den Spieler mitnimmt. Es ist langsam, kontemplativ statt fordernd, ein wohltuendes Luftholen in der hektischen und generischen Spielelandschaft, die die großen Konzerne heute gestalten. Wunderlich, dass ausgerechnet der Megapublisher EA dahinter steckt. Aber man verlernt wohl nie, zu staunen.

"Unravel", Publisher: Electronic Arts, erhältlich für Playstation 4, Xbox One und PC. Preis 20 Euro, USK-Alterseinstufung: ab 6 Jahren.

Giacomo Maihofer

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