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Internet: Wikipedia: Jedermanns Wissen

Wikipedia feiert sein zehnjähriges Bestehen. Weltweit haben bisher mehr als eine Million angemeldete und eine unbekannte Zahl von anonymen Autoren an Wikipedia mitgearbeitet. Wie gut ist das Onlinelexikon?

Die Freunde des Internetlexikons Wikipedia müssen zum Lachen nicht in den Keller gehen. Sie können stattdessen das „Humorverzeichnis“ aufrufen. Die Liste enthält alle Jux-Beiträge, die Wikipedia- Autoren verfasst haben. Dass die Sächsische Süßwasserrüsselratte, auch Elbrüssler genannt, dem Reich der Fantasie entstammt, erschließt sich bereits bei der Lektüre. Andere Scherze sind weniger klar erkennbar, aber selbst die großen Patzer wie der zusätzliche Vorname von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg werden wiedergegeben. Der offene Umgang auch mit Pannen gehört genauso zum freien Lexikon wie das Prinzip absoluter Neutralität. Egal wie kontrovers ein Thema behandelt wird und wie oft die Versionen zu einem Beitrag geändert werden, die neutrale Sicht der Dinge ist ein ehernes Prinzip von Wikipedia.

Wie funktioniert Wikipedia?

Wikipedia startete am 15. Januar 2001. Der Name setzt sich aus dem hawaiianischen Begriff Wiki (schnell) und dem zweiten Wortteil von Encyclopedia zusammen. Zuvor hatten der Internetunternehmer Jimmy Wales und der Wissenschaftler Larry Sanger das Weblexikon Nupedia begonnen, bei dem Sanger als Chefredakteur fest angestellt war und das ausschließlich mit Experten als Autoren arbeitete. Während Nupedia in der Versenkung verschwand, wuchs die zuerst als Spaßprojekt gedachte Wikipedia exponentiell. Bereits Ende 2001 existierten 18 Sprachversionen. Heute umfasst Wikipedia 17 Millionen Beiträge in 260 Sprachen, die deutschsprachige Version kommt auf 1,2 Millionen Beiträge und ist nach der englischen die zweitgrößte Wikipedia-Seite. Eine grundlegende Voraussetzung für Wikipedia war technischer Natur. Erst die Entwicklung des Web 2.0, des Mitmach-Internets, ermöglichte es, dass auch technische Laien einen Wikipedia-Beitrag nicht nur lesen, sondern im gleichen Internetbrowser auch bearbeiten können.

Wer nutzt das Angebot?

Weltweit haben bisher mehr als eine Million angemeldete und eine unbekannte Zahl von anonymen Autoren an Wikipedia mitgearbeitet. Allein in Deutschland entwickeln 6700 Personen das Lexikon mit regelmäßigem und ehrenamtlichem Engagement weiter. Unter den Autoren haben sich inzwischen hierarchische Strukturen entwickelt, an deren Spitze Administratoren stehen.

Ungleich größer ist die Zahl der Leser, das Portal steht auf der Liste der am meisten aufgerufenen Webseiten auf Platz 7. Selbst unter vielen Wissenschaftlern ist das Jedermann-Lexikon inzwischen anerkannt, obwohl es nicht allein von Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet geschrieben wird und erst recht nicht alle Informationen mit soliden Quellen belegt sind. Für den Einstieg in ein Thema ist Wikipedia allemal gut. Wer es genau wissen will, sollte trotzdem weiterrecherchieren, die Fußnoten in den Wiki-Einträgen können dabei helfen. In Schulen und auch für Seminararbeiten an der Uni ist Wikipedia nur noch selten tabu. Empfehlenswert ist es, neben der genauen Internetadresse für jeden zitierten Artikel auch den Zeitpunkt des Abrufs anzugeben. „Man sollte aber nicht glauben, allein mit Wikipedia durchs Studium zu kommen“, warnt Hans-Ulrich Heiß, Studiendekan an der TU Berlin. Denn die Beiträge hätten nicht immer die nötige Tiefe, und es bleibe die Unsicherheit, nicht zu wissen, wer den Beitrag geschrieben habe.

Wie finanziert sich das Lexikon?

Erfolgreich ist Wikipedia unter anderem, weil damit anders als bei Google oder Facebook keine Gewinnabsichten verbunden sind. Jimmy Wales hat alle Rechte und die technische Infrastruktur an die gemeinnützige Wikimedia-Stiftung übergeben. Unabhängige Vereine wie Wikimedia Deutschland unterstützen das Projekt in vielen Ländern und haben dafür Mitarbeiter eingestellt. Für die Nutzer ist Wikipedia kostenlos. 2002 schrieb Wales fest, dass Wikipedia werbefrei bleibt und auch auf andere Finanzierungsformen wie den Verkauf von Nutzerdaten verzichtet. An die finanziellen Mittel gelangt Wikimedia allein durch Spenden. Ende 2010 endete die letzte Spendenaktion mit der Rekordsumme von 16 Millionen Dollar – doppelt so viel wie im Jahr davor. Gespendet wird von Einzelpersonen und von Firmen. Allein Google hat 2010 zwei Millionen Dollar überwiesen.

Wie glaubwürdig sind die Informationen?

Die Qualität der Artikel ist sehr unterschiedlich, was sich beispielsweise an den Formulierungen zeigt: manchmal akademisch-technokratisch, manchmal in holprigem Deutsch, manchmal rund wie ein Roman. Ähnlich verhält es sich mit den Inhalten, was Laien – die ja gerade Informationen suchen – aber kaum erkennen. Ihnen könnte Wiki-Watch helfen. Dahinter verbirgt sich ein spendenfinanziertes Projekt der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), das im Herbst startete. „Anlass war die Panne mit den Vornamen von Karl-Theodor zu Guttenberg“, sagt Projektleiter Wolfgang Stock. Ein anonymer Autor hatte im Februar 2009 dem adligen Verteidigungsminister den elften Vornamen Wilhelm angedichtet. Viele Medien übernahmen den falschen Vornamen, bis die Schummelei nach einigen Tagen aufflog.

Wiki-Watch zeigt mit bis zu fünf Sternen im oberen Teil des Artikels, wie zuverlässig die Angaben sind. So prüft das Programm, ob jede Aussage mit einer Quelle belegt ist. „Viele ältere Beiträge haben das nicht, in den Anfangstagen wurde ja vor allem aufgeschrieben, was man wusste; da galten die strengen Standards von heute noch nicht“, sagt Stock, selbst großer Wikipedia-Fan. Wiki- Watch schaut auch die Zahl der beteiligten Autoren und Änderungen für jeden Artikel an, um Hinweise für Ausgewogenheit oder Streit um Inhalte zu finden. „Diese Analyse erfolgt bei jeder Abfrage erneut“, erklärt Stock. Schließlich können die Beiträge in Sekundenschnelle verändert werden und frühere Aussagen zur Qualität nichtig machen.

Wer Artikel mit Wiki-Watch prüft, findet womöglich auch farbig hinterlegte Textteile. Damit kennzeichnet das zusätzlich eingebaute Programm Wiki-Trust zweifelhafte Informationen. Den eingefügten „Wilhelm“ in Guttenbergs Vornamenliste hätte man sofort an einer orangenen Markierung erkannt, sagt Stock. Wiki-Trust prüft unter anderem anhand statistischer Daten, wie zuverlässig die Autoren sind. Wer viel schreibt und wenig korrigiert wird, gilt als besonders vertrauenswürdig. Anders verhält es sich mit anonymen Nutzern, die nur die Internetadresse ihres Rechners (IP-Nummer) hinterlassen, nicht aber ihren Namen. Änderungen von Anonymen sind nach dem Skandal um den Guttenberg-Vornamen nicht mehr sofort sichtbar, sondern müssen zuerst von einem erfahrenen Editor freigegeben wurden.

Welchen Einfluss hat Wikipedia auf etablierte Nachschlagewerke?

Einen gravierenden. 2005 zeigte eine Untersuchung des Magazins „Nature“, dass Wikipedia im Schnitt nicht mehr Fehler enthält als die Onlineausgabe der ehrwürdigen Encyclopaedia Britannica. Die setzt inzwischen ebenfalls auf Webangebote und die Verbesserungen von „Jedermännern“ online – einschließlich Freigabe durch Administratoren. Auch der Große Brockhaus, das deutsche Standardwerk, wurde von Wikipedia in eine Existenzkrise gestoßen. Vor fünf Jahren erschien die letzte Fassung der 30-bändigen Enzyklopädie. Es werde eine Fortsetzung geben, gibt sich der Verlag Wissenmedia zuversichtlich. Auch unter den jüngeren Nachschlagewerken kann es keines mit Wikipedia aufnehmen. Microsofts beliebtes Multimedialexikon Encarta wurde eingestellt. Und Googles Knol – die Abkürzung steht für Unit of Knowledge (Wissenseinheiten) – ist mehr eine Idee als eine greifbare Sammlung von Fakten.

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