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Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Die digitale Welt bräuchte einen wie Karl Marx, der die Zusammenhänge erklären könnte.

© pa/dpa

Welterklärer gesucht: Es gibt den Karl auch digital ...

Entweder herrscht Fortschrittsglaube oder Fundamentalkritik. Um die Dynamik und Wirkung der digitalen Revolution zusammenzudenken, bräuchte es einen wie Karl Marx.

Entweder – oder. Fortschrittsglaube oder Fundamentalkritik: Wer über das Netz spricht, kommt von einem der beiden Standpunkte. Entweder ist das Netz mit allen, die es verbindet, der gigantische Wirtschaftsmotor der Zukunft. Oder es ist der Killer der bürgerlichen Freiheiten mitsamt unserem Bedürfnis nach Privatheit und ein paar Geheimnissen.

Am deutlichsten zeigt sich dieses Entweder-oder im Umgang mit Big Data. Es ist, wenn es etwa um die Krebstherapie geht, der Hoffnungsträger – auch wenn nur Informatiker erklären können, wie die Analyse großer Krankendatenmengen dazu beitragen kann, Krebs zu bremsen oder zu heilen. Geht es aber um die Analyse riesiger Kommunikationsdatenmengen, läuft die Debatte aus guten Gründen in die sehr fortschrittskritische Richtung: Fängt der Staat erst mal an, alle telefonierenden und E-Mails schreibenden Bürger zu überwachen, könnte er schnell die letzte Selbstkontrolle verlieren.

Entweder – oder: Vielleicht muss es während einer ziemlich friedlich ablaufenden Revolution so sein – und dass wir mitten in einer Revolution leben, bezweifelt wohl niemand mehr. Die einen – die Informatiker, die Physiker, die Programmierer, machen diese Revolution. Die anderen, etwa Kritiker wie der immer lesenswerte Evgeny Morozov, untersuchen ihre Auswirkung. Doch wie diese Revolution funktioniert, was technisch in ihr abläuft, wie uns die Technik verändert, können sie nicht erklären. Entweder – oder.

Da hilft nur der Blick nach vorgestern: Ein neuer Marx muss her, ein Karl Digital, der dem Netz an die Fundamente geht und die Kräfteflüsse im Silicon Valley, der immer noch wichtigsten Zukunftswerkstatt, untersucht. Es darf es auch eine Frau Marx sein. Gebraucht wird weniger ein Revolutionsanstifter (die läuft ja schon) als ein Fundamental-Denker. Entscheidend ist, dass sie oder er den Mut und die geistige Größe hätte, das Entweder und das Oder, die Technik, ihre Dynamik und ihre Wirkung zusammenzudenken. Karl Marx hat mit dem „Kapital“ einen Pfahl in die politische Landschaft gerammt, um den seit 148 Jahren nicht wirklich herumkommt, wer die Dynamik westlicher Gesellschaften zu verstehen versucht. Man muss Marx’ Ziele nicht teilen, um zu achten, was er mit seiner Systemkritik geschafft hat: vieler Leute Fähigkeit, die Wirtschaft, in und mit der wir leben, einigermaßen zu verstehen, zu kritisieren und zu verändern. In der digitalen Revolution entstehen neue Monopole. Kommunikation verändert sich, die Arbeitswelt, die Öffentlichkeit. Die Politik? Eher langsam, zu langsam. Zeit, Marx neu zu lesen: digital (http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm#Kap_1_1).

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