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Nur Mut. Airbus-Chef Thomas Enders will, dass mehr Arbeiterkinder studieren.

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Arbeiterkinder: Der Makel der Herkunft

Sozial aufzusteigen, ist noch immer schwer. Vor allem in der Wirtschaft.

Schon als kleiner Junge war er vom Fliegen begeistert, wollte Pilot werden. Doch die Menschen in seinem Dorf waren skeptisch. Er, der Sohn eines Schäfers, wollte studieren. Karriere machen. Wie denn das, und warum? Heute leitet Thomas Enders, 57, den Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus.

Von 100 Akademiker-Kindern studieren in Deutschland 77. Von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund schaffen nur 23 den Sprung an die Hochschule. Der soziale Hintergrund entscheidet nach wie vor darüber, ob jemand in einem Hörsaal sitzt. Deshalb gibt es Initiativen wie Arbeiterkind.de, bei der sich auch Thomas Enders engagiert. In einem Video erzählt er seine Geschichte, um jene zu inspirieren, die als erste in ihrer Familie studieren wollen. „Nichts, von dem, was ich geschafft und erreicht habe, war wirklich vorhersagbar“, sagt er darin. „Das Leben ist nicht planbar.“ Man könne aber Chancen nutzen. Und eine Chance sei ein Studium.

Eine Studie belegt, Bildungsarmut wird noch immer weitervererbt

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kommt aus einer Arbeiterfamilie, Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Wer es wie Thomas Enders noch in die oberste Wirtschaftsliga geschafft hat, ist Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen. Arbeiterkindern rät sie, an sich zu glauben, sich etwas zu trauen. Die Politik mahnt sie: „Sorgt dafür, dass die soziale Durchlässigkeit in Deutschland besser wird. Wir sind richtig schlecht im internationalen Vergleich.“

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) belegte kürzlich, dass Bildungsarmut noch immer weitervererbt wird. Die Ursache sei weniger das geringe Familieneinkommen. Ausschlaggebend sei vielmehr die mangelnde Bildung einkommensschwacher Eltern. Sie könnten ihre Kinder beim Lernen oder bei den Hausaufgaben kaum unterstützen.

Auch aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) geht hervor, dass der Bildungserfolg zur Hälfte und das Einkommen zu 40 Prozent davon abhängen, was die Eltern in ihrem Leben erreicht haben. Obwohl in Deutschland mittlerweile mehr Menschen studieren als dass sie eine Ausbildung machen, durchzieht die Akademisierung nicht die ganze Gesellschaft. Die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung meint dazu: Die soziale Mobilität nimmt in Deutschland nicht zu, sondern weiter ab.

Der Aufstieg in die höchsten Kreise der großen Konzerne passiert selten

Jemand, der sich mit Eliten auskennt, ist der Soziologe Michael Hartmann. Nirgendwo sonst gebe es eine so starke soziale Selektion wie in der Wirtschaft. Bis zu einem gewissen Grad ist der soziale Aufstieg seiner Auffassung nach zu schaffen. Mit Talent und Fleiß könne jemand trotz schlechter Startbedingungen Anwalt oder Ärztin werden. Was aber nach wie vor selten passiere, sei der Aufstieg in die höchsten Kreise der großen Konzerne. Thomas Enders ist nach wie vor die Ausnahme. Seit Jahrzehnten kommen vier von fünf Spitzenmanagern aus den oberen 3,5 Prozent der Bevölkerung.

In seinen Studien hat Hartmann herausgefunden, dass es Ostdeutsche, Frauen und Migranten in den deutschen Unternehmen per se schwer haben, nach ganz oben zu kommen. Das liege daran, dass Spitzenmanager wichtige Posten nach sozialer Ähnlichkeit besetzen würden. Sie würden Bewerber aus ihrem Milieu wählen. Mindestens die Hälfte der Deutschen findet, in ihrem Land gehe es ungerecht zu. Sie glaubt nicht an die deutsche Version des Amerikanischen Traums, der Vorstellung vom Arbeiterkind zum Millionär.

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