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Die Zukunft der Fortbewegung: Fünf Gründe für zwei Räder

Autofahren war gestern. Heute ist das Rad das Fortbewegungsmittel der Wahl: es ist günstig und gesund. Vor allem aber ist es: ein einzigartiges Gefühl.

Von Anna Sauerbrey

An mein erstes Fahrrad kann ich mich nicht erinnern. Oder besser – es ist mit dem ersten Fahrrad wie so häufig mit Kindheitserinnerungen: Man glaubt, sich zu erinnern, bis einem eine alte Fotografie in die Hände fällt und man feststellt, dass man sich eigentlich an das Bild erinnert. Auf dem betreffenden Foto sind mein Vater und ich zu sehen – und ein rotes Puky-Rad. Ich bin drei oder vier, ich trage einen türkisfarbenen Strickpullover mit einer Katze vorn und mein Vater, der mir das Fahrradfahren beibringt, einen schwarzen Bart.

Das ist lang her, der Bart von meinem Vater ist inzwischen grau. Doch an das Gefühl von damals erinnere ich mich wirklich. Ich trete in die Pedale. Das Fahrrad schlingert. Mein Vater läuft nebenher und hält das Rad am Gepäckträger fest, damit ich nicht falle, ich werde schneller und schneller, seine Schritte länger und länger und dann, als ich genug Geschwindigkeit aufgenommen habe, lässt er los. Was eben noch pendelte und schunkelte und kippelte hat sich in eine wunderschöne, gleitende Bewegung nach vorn verwandelt. Ich fahre. Allein. Frei.

Inzwischen ist das Radfahren für mich zum politischen Programm geworden. Ich bin da missionarisch. Meinen Vater zum Beispiel (der auch gern Rad fährt, aber nur sonntags, im Wald, wenn nicht gerade das Auto ausgesaugt werden muss, und es muss oft ausgesaugt werden) bearbeite ich regelmäßig, damit er zur Arbeit radelt. Hier eine strukturierte Argumentationshilfe, falls Sie auch ein bisschen Agitprop für die Sache machen wollen:

1. Radfahren schützt das Klima. Die CO2-Emissionen des Fahrradfahrens tendieren gegen null. Als Gegenargument wird häufig gesagt, dass der Individualverkehr ja nur einen kleinen Teil der Gesamtemissionen ausmache, bei der Industrie sei viel mehr zu holen. Kontern Sie mit der Gefährdung durch Feinstaub und dem Lärm in Innenstädten oder sagen Sie, Kleinvieh macht auch Mist.

2. Radfahren ist praktisch. Nie wieder Parkplatzsuche. Stau ist dieses Dings, an dem man winkend vorbeifährt. Für die meisten Strecken innerhalb mittlerer Städte und des Berliner S-Bahnrings ist das Rad das schnellste Fortbewegungsmittel. Überhaupt, Berlin ist eine großartige Fahrradstadt. Lange, ebene Tangenten, da schnurren die Kilometer unmerklich unter einem weg. An dieser Stelle kommt mein Vater immer mit dem Wetter. Sagen Sie etwas über Regenkleidung und dass Wetter etwas für Weicheier sei.

3. Radfahren ist günstig. Anschaffung, Reparatur, Versicherung – alles kostet nur den Bruchteil dessen, was es beim Auto kostet. Das hat noch keiner bestritten.

4. Radfahren ist gesund. Auf ebener Strecke fährt man genau in jenem Bereich leichter Beanspruchung des Herz- Kreislauf-Systems, der besonders günstig für das Training ist. Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, erfüllt leicht das empfohlene tägliche Mindestmaß an Bewegung und kriegt auch noch ein bisschen Tageslicht ab. Das ist wichtig für den Vitamin-D-Haushalt und die Stimmung.

5. Fahrräder sind Statussymbole. Dieses Argument werden Sie fast nie ins Feld führen müssen, denn Autofahrer geben nur ungern zu, dass der Stern mindestens ebenso wichtig ist wie die PS. Falls doch, können Sie anführen, dass Fahrräder in Sachen Status aufgeholt haben. Das Fahrrad steht für einen urbanen, modernen und ressourcenschonenden Lebensstil und die unterschiedlichen Typen lassen längst eine feinjustierte Selbstdarstellung zu: Das Hipster-Rennrad ersetzt den Porsche Americana, das Lastenfahrrad den Volvo Kombi, die Gazelle den Saab 900 Cabrio, Baujahr 1986, schwarz.

So viel zum Kopf. Das beste Argument allerdings ist für mich weiterhin die Faszination des Fahrens selbst. Ich empfehle für die Überzeugungsfahrt eine Strecke mit moderater Neigung und gut ausgebautem Radweg, zum Beispiel die Greifswalder Straße von Prenzlauer Berg kommend Richtung Alex. Die Automobilindustrie gibt viel Geld aus, um Werbefilmchen zu produzieren, die dieses Gefühl in Bilder fassen: Das Gleiten, das vergebliche Zerren der Fliehkraft in den Kurven, die kindische Begeisterung, der Schwerkraft und dem Reibungswiderstand ein Schnippchen zu schlagen. Und doch erhält, wer sich ein Auto zulegt, nur ein Surrogat. Das Urgefühl, den Rauschzustand, gibt es nur auf dem Rad.

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