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Helmpflicht: Bloß nicht oben ohne!

Kinder sollten beim Radfahren immer Helm tragen, raten Polizei und Verkehrsexperten zum Schulbeginn. Doch ausgerechnet die organisierten Radler halten eine mögliche Pflicht zum Kopfschutz für fatal.

Von Sandra Dassler

Der Appell von Dieter Glietsch war deutlich. „Verantwortungsbewusste Eltern sollten ihre Kinder nicht ohne Helm fahren lassen“, sagte der Polizeipräsident jetzt zum Schulbeginn dem Tagesspiegel. Und setzte hinzu: „Dazu sollte man Eltern nicht durch eine gesetzliche Verpflichtung zwingen müssen.“ Soll heißen: Glietsch fordert – noch – keine Fahrradhelmpflicht. Zumindest nicht, solange die Hoffnung besteht, dass Appelle gehört werden. Schließlich rät die Polizei seit längerem allen Radfahrern zum Helm.

Das gelte besonders für die vielen Schulkinder, die seit Montag wieder zur Schule radeln, sagte ein Polizeisprecher und reagiert damit auch auf eine soeben von der Berliner Unfallkasse vorgelegte Bilanz der Schulunfälle. Danach geschehen die schwersten Unfälle auf dem Schulweg – und gerade radelnde Mädchen und Jungen tragen dabei oft gravierende gesundheitliche Schäden davon.

Etwa 800 Radunfälle mit Schülern registrierte die Unfallkasse im Vorjahr. Betroffen seien neben den Oberschülern auch immer mehr Grundschüler, berichtet die Leiterin der Schülerunfallprävention bei der Unfallkasse, Heidelore Geitner: „Was viele Eltern nicht bedenken, ist die Wucht, mit der ein Kinderkopf beim Sturz aufschlägt. Wir haben es ja immerhin mit einer Fallhöhe von einem Meter zu tun. Und der Kopf ist im Gegensatz zum Knie überlebenswichtig.“

Auch die Polizei weist darauf hin, dass Kopfverletzungen oft lebensgefährlich sind und nicht so schnell wie Beinbrüche heilen. Ärzte und Neurologen fordern daher seit Jahren eine Helmpflicht für Radfahrer. Dagegen spricht sich ausgerechnet der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club aus. Die Berliner ADFC-Vorsitzende Sarah Stark begründet das mit schlechten Erfahrungen: „In Ländern wie Spanien und Australien, wo die Helmpflicht eingeführt wurde, ist die Zahl der Radfahrer zurückgegangen“, sagt sie: „Den Leuten ist das zu lästig, und sie steigen wieder ins Auto um, was weder ihrer Gesundheit noch der Umwelt gut tut.“ Außerdem sei keineswegs erwiesen, dass die Zahl der Kopfverletzungen durch eine Helmpflicht für Radfahrer zurückgehe.

Stefan Zimmer, Geschäftsführer der Hannelore Kohl Stiftung, die sich besonders um Menschen mit Schädelhirnverletzungen kümmert, sieht das ganz anders: Rund 23 000 Radfahrer erlitten jedes Jahr solche Verletzungen, knapp 20 000 davon hätten keinen Helm getragen. Generell schützten sich nur zehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland. Bei ihren Kindern seien viele aber verantwortungsbewusster, bilanziert Zimmer: Immerhin trage mehr als die Hälfte der Kinder unter zehn Jahren einen Helm.

Allerdings ist die Frage, ob Unter-Zehnjährige überhaupt allein mit dem Fahrrad unterwegs sein sollten, ebenfalls umstritten. Die Berliner Unfallkasse verweist darauf, dass viele Kinder damit überfordert seien. „Viele Unfälle lassen darauf schließen, dass Gefahrensituationen nicht richtig erfasst oder Geschwindigkeiten und Entfernungen falsch eingeschätzt werden“, sagt Heidelore Geitner. So rutschten die Kleinen auf Laub aus, schrammten an Häuserwände oder könnten Fußgängern oder anderen Radlern nicht ausweichen.

Auch hier lehnt der ADFC Verallgemeinerung ab: „Ich habe mit sechs Jahren Fahrradfahren gelernt und konnte es dann“, sagt die Landesvorsitzende. „Es ist gut, wenn Kinder frühzeitig Fahrrad fahren, auch schon im Grundschulalter. Der Grad der Beherrschung ist individuell unterschiedlich und hängt vom Üben ab.“

Die Berliner Polizei widerspricht dem vehement. Die Weisheit „Übung macht den Meister“ gelte nicht für alle Lebenssituationen, erst recht nicht für radfahrende Kinder im Alter von bis zu 10 Jahren, heißt es in einem Informationsblatt zum Thema „Schulkinder als Radfahrer“.

In der wissenschaftlichen Fachwelt und auch bei den Verkehrssicherheitsberatern gelte als gesichert, dass diese Altersgruppe sich im normalen Straßenverkehr entwicklungsbedingt als Radfahrer noch gar nicht verkehrssicher verhalten kann. Bestimmte psychomotorische Leistungen seien von nahezu unbeeinflussbaren inneren Reifungsvorgängen abhängig: Auch durch noch so intensives Üben könne dies nicht ausgeglichen werden.

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