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Vorsicht, kleiner Engel unterwegs in Prenzlauer Berg.

© Ida Asplund Ådahl

Problem Gehweg-Radler: "Holt die Kinder möglichst früh auf die Straße!"

Vor Schulen gibt es immer wieder Zoff um Eltern, die ihre Kinder zur Schule begleiten - mit dem Rad auf dem Bürgersteig. Erwachsene müssten auf der Straße fahren, von dort sehen sie aber den Nachwuchs nicht. Ein Problem - für Passanten und Polizei.

Über dieses Ordnungsgeld haben sich die Eltern aus Lichterfelde so richtig geärgert. Und deshalb haben Peter Ahr und Gesine Peetsch dem Innensenator einen Brief geschrieben, dem Schulsenator ebenfalls und auch dem Verkehrssenator. Post haben auch alle Parteien erhalten, die Polizei sowieso und auch die Landeselternvertretung und viele mehr. Was geschehen ist?

Das hier: Ein Polizist hatte die Eltern angehalten und zur Kasse gebeten. Sie waren nämlich als Radfahrer auf dem Bürgersteig unterwegs – neben ihren radelnden Kindern: Zwillinge, sieben Jahre alt. Dabei sei es um die Sicherheit der Kinder auf dem Gehweg gegangen, sagen die Eltern, von der Straße aus hätten sie die beiden Siebenjährigen nun mal nicht hinter den parkenden Autos sehen können. Und deshalb fordern sie eine Änderung des Gesetzes, die ihnen die Begleitung erlaubt.

Die Sicherheit der Kinder im Straßenverkehr ist gerade in diesen Tagen wieder ein großes Thema, da die Ferien vorbei sind und mehr als 25 000 Erstklässler auf dem Weg zur Schule sind. Die Polizei hat in den vergangenen Wochen tausende Autofahrer vor Schulen geblitzt, ermahnt, gestoppt. Und an manchen Orten zeigen die Eltern Initiative, wie am gestrigen Sonnabend in Pankow. Dort haben hunderte Kinder und Eltern der Privatschule „Schule Eins“ und der Montessori-Schule für einen „sicheren Schulweg!“ demonstriert. Die „Schule Eins“ liegt an der Berliner Straße, die Montessori-Schule an der einmündenden Hadlichstraße. Kein Zebrastreifen weit und breit, keine Fußgängerampel, keine Kurzparkplätze für Eltern, die ihre Kinder bringen, keine sicheren Geh- und Fahrradwege – ein „Verkehrstrauerspiel“ nennen sie das und führten es auch gleich als ein kleines Theaterspiel auf. Eltern mit dem Fahrrad auf dem Gehweg, die ihren radelnden Nachwuchs begleiten wollen, sind Teil des Problems: Gefährdung für die einen, Fürsorge für die anderen.

Bildergalerie: Berlins schlechteste Radwege

Inge Hirschmann, Direktorin der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg, kennt das Problem. „Viele unserer Kinder kommen mit dem Fahrrad“, sagt Hirschmann. Wenn die Eltern ihre Kinder mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig begleiten würden, kämen sie sich aber nun mal mit Passanten in die Quere. „Das ist ein Dilemma“, sagt die Schulleiterin.

Peter Schulz, 47, ist mit seinen Söhnen Ben, 7, und Bela, 4, in der Waldemarstraße in Kreuzberg unterwegs. Während Bela vorne beim Vater auf dem Rad sitzt, fährt Ben schon selbst. „Ich fahre immer auf dem Fußweg, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin“, sagt Schulz. „Wenn ich auf der Straße fahre, sehe ich meinen Sohn auf dem Bürgersteig oft nicht, weil parkende Autos dazwischen sind.“ Seinen Sohn alleine fahren zu lassen, kommt für Schulz nicht infrage. „Das ist zu gefährlich. Es kommen so oft plötzlich Autos aus irgendwelchen Ausfahrten.“ Auch Schulz wurde mit dem Rad auf dem Gehweg schon von der Polizei angehalten. Ein Bußgeld musste er aber nicht zahlen. Er habe dem Polizisten erklärt, dass er sein Kind begleite, der habe dann von einer Verwarnung abgesehen. Dagegen wird Zora Gallenberger, 30, die ihre Tochter morgens mit dem Rad zur Schule in Kreuzberg bringt, „immer wieder von Fußgängern angemotzt“.

Bildergalerie: Berlin fährt Rad

Viel Streit um eine gesetzliche Regelung, die eigentlich klar geregelt ist: Kinder bis zum Alter von acht Jahren müssen grundsätzlich mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fahren – sie dürfen nicht auf der Straße radeln. Außerdem müssen sie beim Kreuzen einer Fahrbahn vom Rad steigen. Erst vom achten Lebensjahr an dürfen Kinder auf der Straße fahren, sie dürfen aber zwei weitere Jahre auch auf dem Bürgersteig radeln. Dagegen dürfen Erwachsene grundsätzlich nicht mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fahren. Ein Problem wird es vor allem dann, wenn sie mit radelnden Kleinkindern unterwegs sind – denn die müssen von ihren Eltern begleitet werden. „Realitätsfremd“ nennen viele Eltern deshalb die Regel.

Prinzipienreiter unerwünscht

Bei Stefan Lieb von Fuß e.V., oberster Berliner Fußgänger-Lobbyverein, sind noch keine Beschwerden aufgelaufen über Mütter, die ihre Kinder mit dem Fahrrad selbst auch radelnderweise auf dem Gehweg begleiten: „Da sind testosterongesteuerte Jugendliche, die über Gehwege brettern, ein anderes Kaliber.“ Allenfalls wenn Eltern und Kind nebeneinander radeln und diese „breite Front“ auf einen Fußgänger zusteuert, hält Lieb es für bedenklich. Allerdings empfiehlt auch Lieb den Eltern, „möglichst schnell loszulassen“ und auf die Fahrbahn auszuweichen – „sonst geben sie dem Kind auf Dauer ein schlechtes Beispiel“. Dafür verspricht Lieb, sich auch in Zukunft weiter in gemeinsamen Aufrufen mit dem ADFC für bessere Radwege einzusetzen.

Scharfmacher und Prinzipienreiter sind auch bei der Senatsverwaltung für Verkehr unerwünscht: „Wenn ein Erwachsener mit dem Rad sein radfahrendes Kind begleitet, ohne Fußgänger zu beeinträchtigen, dann sind die Überwachungskräfte angehalten, nicht einzuschreiten“, sagt Sprecherin Petra Rohland. Bei Kleinkindern auf dem Laufrad oder auf dem Fahrrad mit Stützrädern sind die Eltern sogar verpflichtet, in unmittelbarer Nähe zu sein – „sonst kann ihnen im Falle eines Unfalls auch noch eine Verletzung der Aufsichtspflicht zur Last gelegt werden.“ Bei dem Tempo, das die Kinder auf Laufrädern schon mal draufhaben, bleibt den Eltern gleichsam gar nichts anderes übrig, als gegen ein Gesetz (Fahrradverbot auf dem Gehweg) zu verstoßen, um nicht das andere zu brechen (Aufsichtspflicht). Denn auch bei den zurzeit laufenden Arbeiten zur Novellierung der Straßenverkehrsordnung werde an diesen Regeln nichts geändert.

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Das Dilemma ist auch der Polizei bekannt. Allerdings schränkt Verkehrssicherheitsreferent Andreas Tschich ein: „Eine Weisung, dass ein Auge zuzudrücken ist, kenne ich nicht.“ Eine solche Regelung würde gewissermaßen auch das Recht beugen – weshalb er Eltern auch nicht dazu raten will, ihre Kinder mit dem Fahrrad auf dem Gehweg zu begleiten. Andererseits gelte für Polizisten das „Opportunitätsprinzip“ und sie müssten deshalb nicht jede Ordnungswidrigkeit zwangsläufig ahnden. Wenn also keine „konkrete Gefährdung“ von Fußgängern durch das Rad fahrende Elternteil bestehe, könne ein Polizist auch schon mal seinen Ermessensspielraum zugunsten der Eltern ausnutzen. „Aber da hängt viel vom Fingerspitzengefühl, von der Ansprache der angehaltenen Eltern und von der Qualifizierung des Beamtens ab.“

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Nicht mit Rechthaberei, sondern mit gegenseitiger Rücksichtnahme fährt man wohl am besten. Denn auch wenn Fußgänger grundsätzlich im Recht sind, wenn sie jeden erwachsenen Fahrradfahrer auf die Straße verbannen wollen, bringt ihnen das nicht unbedingt Vorteile: Sie riskieren eher, dass ein Kleinkind sie behindert oder sogar in die Fersen fährt, weil es nicht durch die ständigen Ermahnungen der sie auf dem Gehweg begleitenden Mutter auf Passanten und andere Gefahren hingewiesen werde. „Kinder sind oft abgelenkt, reagieren sehr spontan auf Eindrücke und können bis zum Alter von zehn Jahren nur schwer oder gar nicht Entfernungen abschätzen“, sagt Andreas Tschich.

Hinzu kommt, dass die größte Zahl der Fahrradunfälle von Kindern auf dem Weg zur Schule geschieht: Zwischen sieben und acht Uhr in der Frühe ereigneten sich statistisch die meisten Unfälle, ein zweiter Zeitraum, in dem besonders viele radelnde Jugendliche verunglücken, ist gegen 16 Uhr, auf dem Weg zum Spielplatz. Insgesamt verunglückten 549 Jugendliche mit dem Fahrrad im vorigen Jahr.

„Holt die Kinder möglichst früh auf die Straße, um sie im Blick zu haben“, empfiehlt Bettina Cibulski vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Wer da wegen der Gefahren zusammenzuckt, dem hält der ADFC entgegen: „Auf der Straße sind Radfahrer am sichersten, weil Autofahrer sie immer im Auge haben“. Die meisten Unfälle ereigneten sich beim Queren von Straßen, wenn Radfahrer vorher hinter Bäumen oder parkenden Autos radeln und erst in letzter Sekunde von Autofahrern gesehen werden.

Mehr Radspuren direkt auf den Straßen, wie auf dem Südwestkorso in Wilmersdorf, könnten außerdem noch mehr Sicherheit schaffen. Die Radhochburgen Münster und Bremen würden deshalb systematisch Radwege auf Gehwegen abschaffen, diese durch Parkplätze ersetzen und die Fahrräder auf die Straße holen. Auch die sonst üblichen Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern, die sich bei einer Fahrradspur auf dem Gehweg den knappen Verkehrsraum teilen müssen, würden dadurch entschärft.

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