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Wartungsfehler: S-Bahn: Ein Fall für die Justiz

Das Chaos bei der S-Bahn beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft. Nach einem neuen Bericht wurde bei der Wartung der Züge jahrelang systematisch geschlampt. Welche Folgen hat das?

Ein zehnköpfiges Ermittlungsteam der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz hat im Auftrag der Deutschen Bahn seit September 2009 versucht herauszufinden, wie es zu dem Desaster mit den zahlreichen Zugausfällen bei der S-Bahn in Berlin kommen konnte. Mehrere tausend Einzeldokumente wurden dazu geprüft; rund 100 Mitarbeiter und Führungskräfte befragt. Am Dienstag hat die Bahn den Bericht vorgestellt.

Was steht in dem Bericht?
Noch ist vieles nicht geklärt, doch für die Prüfer steht fest: Die seit 1996 angeschafften 1000 Wagen der Baureihe 481, die 74 Prozent der Fahrzeugflotte bei der S-Bahn stellen, sind falsch konstruiert. Außerdem hat es bei der Führung der S-Bahn gravierende Managementfehler gegeben, die zu Sicherheitsdefiziten bei der Wartung der Fahrzeuge in den Werkstätten geführt haben.

Welche Mängel haben die Fahrzeuge?
Achsen und Räder verschleißen schneller als geplant und sind für die Bahn damit nicht „dauerfest“. Nach dem Bruch eines Rades am 1. Mai 2009 entgleiste bei Kaulsdorf der letzte Wagen eines Zuges. Verletzt wurde niemand. Wäre das Rad in einem Wagen an der Zugspitze gebrochen, hätte eine Entgleisung schlimme Folgen haben können. Zudem reicht nach Ansicht der Prüfer die Bremsleistung nicht aus, um einen Zug auch bei nassen oder schmutzigen Schienen wie vorgeschrieben zum Halten zu bringen. Bei einem Aufprall auf ein Arbeitsfahrzeug waren trotz Notbremsung im Sommer 2006 im Bahnhof Südkreuz 37 Menschen verletzt worden.

Was sagt der Hersteller dazu?
Nach Ansicht von Bombardier sind die Fahrzeuge „fachgerecht und vertragsgemäß“ konstruiert und nach allgemein anerkannten Regeln gebaut worden. Sie entsprächen den damaligen Anforderungen der S-Bahn; auch bei den Rädern und Bremsanlagen. Neue Vorgaben, wie es sie 2005 für die Räder gegeben hat, müsse der Betreiber umsetzen, der auch für die Wartung zuständig sei. Über Jahre hinweg seien die Bahnen mit einer Zuverlässigkeit von über 98 Prozent gefahren. Nach einer Gesamtfahrleistung von 180 Millionen Kilometern sei die Gewährleistungspflicht 2007 einvernehmlich aufgehoben worden. Das Angebot auf fachliche Unterstützung nach dem Radbruch 2009 sei von der S-Bahn nicht angenommen worden.

Welche Fehler hat die S-Bahn gemacht?
In der Führungsspitze der S-Bahn hat es nach Ansicht der Prüfer über Jahre hinweg gravierende Managementfehler gegeben. Vor allem habe eine Qualitätskontrolle gefehlt. Dafür vorgesehene Mitarbeiter seien für andere Aufgaben eingesetzt worden. Arbeitsanweisungen für die Handwerker in den Werkstätten seien zum Teil falsch, unvollständig, unverständlich und nicht aktuell gewesen. Unterlassene Wartungsarbeiten an den Bremsanlagen haben im vergangenen September dazu geführt, dass 237 der 500 sogenannten Viertelzüge, die aus je zwei Wagen bestehen, bis zur Reparatur stillgelegt werden mussten.

Wer war für die Anweisungen zuständig?
Der Bericht lässt die Antwort offen. In den zuständigen Abteilungen sei es wiederholt zu Wechseln bei den Verantwortlichen gekommen. Bei keinem der Wechsel habe es Vorgaben gegeben, wie mit bereits bestehenden Anweisungen zu verfahren sei. Dass der Hersteller der Bremsen Vorgaben gegeben hatte, die nicht umgesetzt wurden, sei nicht aufgefallen. Bei einer Kontrolle im Oktober 2009 sei eine „Vielzahl von fehlerhaften Arbeitsanweisungen“ festgestellt worden.

Was hat die S-Bahn nun geändert?
Während die Werkstätten früher vom Schreibtisch in der Zentrale aus geführt wurden, sind jetzt wieder Leiter direkt am Ort eingesetzt. Den Führungskräften im Konzern werfen die Prüfer vor, selten oder nie selbst in den Werkstätten gewesen zu sein.

Was ändert der Konzern?
Die S-Bahnen in Berlin und Hamburg waren bisher dem Bereich Stadtverkehr zugeordnet, in dem der Bahn-Konzern seinen Busverkehr gebündelt hat. Die Hälfte des ausgewiesenen Gewinns des Stadtverkehrs hat dabei die Berliner S-Bahn aufbringen müssen. In Zukunft gehören auch die S-Bahnen von Berlin und Hamburg zum Bereich Regio, bei dem auch die anderen S-Bahnen der Bahn angesiedelt sind. Damit wechselt auch der Vorsitz im Aufsichtsrat, den bisher der Stadtverkehrschef Hermann Graf von der Schulenburg innehatte.

Hat es vor dem Desaster keine Warnungen gegeben?
Mitarbeiter waren laut Prüfer durch Vorgesetzte eingeschüchtert und damit auch demotiviert worden. Der Betriebsrat hatte aber – auch öffentlich – stets den Sparkurs kritisiert und auf die möglichen Folgen bei der Instandhaltung hingewiesen, was die Prüfer am Dienstag allerdings bestritten. Zugegeben haben sie, dass es im Unternehmen Auseinandersetzungen um das „Optimierungsprogramm“ gegeben habe. Der langjährige Chef der S-Bahn, Günter Ruppert, ein erfahrener Eisenbahner, musste deshalb vorzeitig gehen und wurde durch den Juristen Tobias Heinemann ersetzt. Dieser war zusammen mit seinen drei Kollegen aus der Geschäftsführung im vergangenen Juli abgelöst worden. Ihr Vertrag mit der Bahn gilt aber – noch – weiter.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen?
Die Bahn hat das Ergebnis der Untersuchung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die bereits aufgrund von mehr als 20 Strafanzeigen gegen Verantwortliche der S-Bahn ermittelt. Zudem will der Bahn-Konzern zivilrechtliche Ansprüche prüfen. Abhängig von den Ergebnissen der Ermittlungen und weiteren Anhörungen kann es für die Verantwortlichen nach Angaben der Bahn zwei Konsequenzen geben: Der Arbeitsvertrag wird aufgelöst oder sie erhalten eine neue Aufgabe im Konzern – mit Einschnitten in der Hierarchie und beim Einkommen.

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