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© Thilo Rückeis

Werkstatt Friedrichsfelde: Rund um die Uhr gegen das S-Bahn-Chaos

Vor vier Jahren weggespart, wurde die S-Bahn-Werkstatt in Friedrichsfelde nun wieder geöffnet, bislang nur zur Probe. 16 Mitarbeiter kontrollieren und reparieren dort unter erschwerten Bedingungen, allerdings hoch motiviert.

So richtig warm ist es in der großen Halle nicht, die Toiletten befinden sich in einem Container vor dem Gebäude, auch warmes Wasser gibt es nur dort, die Kantine ist geschlossen und ohne Mobiliar. Manchmal fehlt Werkzeug oder müssen Ersatzteile woanders besorgt werden, weil das eigene Lager extrem klein ist. Und trotzdem: Hier fühlen sich Mitarbeiter äußerst wohl. Was woanders sicher heftige Proteste auslösen würde, macht 16 Beschäftigte in der S-Bahn-Werkstatt Friedrichsfelde so richtig glücklich. Vor zwei Wochen ist die Anlage für einen Probebetrieb wieder geöffnet worden. Die 2006 aus Kostengründen geschlossene Werkstatt soll nun dazu beitragen, die S-Bahn aus ihrer Krise zu führen.

„Wir sind wieder da“, steht auf der Tafel, auf der früher der Einsatz der Züge vermerkt war. „Das ist unsere Werkstatt, hier fühle ich mich wohl“, sagt René Kurzawu. 1979 hat der heutige Wagenmeister seine Arbeit im Betriebswerk Friedrichsfelde aufgenommen und blieb dort, bis die Anlage geschlossen wurde. Sein neuer Arbeitsplatz war in Wannsee. Die damalige S-Bahn-Geschäftsleitung wollte die Zahl der Werkstätten – und der Mitarbeiter – verringern, um Kosten zu sparen. Die S-Bahn sollte ja Gewinn für den Bahnkonzern machen, damit dieser Erfolgszahlen in seinem Börsenprospekt melden konnte. Sagenhafte 125,1 Millionen Euro sollte die S-Bahn nach dem Plan der Finanzstrategen allein in diesem Jahr als Gewinn an den Konzern abführen. Nach dem Desaster durch die Sparorgie wird nun wohl ein dreistelliger Millionenverlust entstehen, den der Konzern ausgleichen muss.

Zwei der vier Gleise in der riesigen Halle werden derzeit für die Wartung von Zügen genutzt. Acht sogenannte Arbeitsstände gibt es. „Die Anlage war in einem überraschend guten Zustand“, sagt Jürgen Strippel, der seit August den Instandhaltungsbereich der S-Bahn leitet. Vorher war der 43-Jährige in dieser Funktion bei der S-Bahn München beschäftigt. Als die Berliner in der ersten Krise im Juli Hilfe von Kollegen suchten, war Strippel sofort dabei – und ist geblieben. Die S-Bahn wieder auf Vordermann zu bringen, sei eine Riesenherausforderung, die ihn reize, sagt er ganz entspannt. An ein Scheitern glaubt er nicht.

Er weiß, dass er sich auf die Mitarbeiter verlassen kann, im ganzen Unternehmen und natürlich vor allem in den Werkstätten. Dabei ist das Team in Friedrichsfelde wohl besonders motiviert. Die Mitarbeiter haben sich freiwillig gemeldet, obwohl sie wussten, was sie zumindest vorläufig erwartet – alles, aber keine durchorganisierte Werkstatt. Hier werden die alle 14 Tage erforderlichen Inspektionen an den Zügen vorgenommen und kleinere Reparaturen erledigt. Und ganz wichtig: Hier können per Ultraschall und Wirbelstrom auch die Räder und Achsen genau geprüft werden, um mögliche Risse gleich beim Entstehen zu erkennen.

Ein Radbruch am 1. Mai, der einen Zug der neuesten Baureihe 481 entgleisen ließ, hatte dazu geführt, dass die Kontrollen intensiviert werden mussten. Dann stellte sich im September heraus, dass die Bremsanlagen der Züge nicht wie erforderlich gewartet worden waren, und im Dezember schließlich wurden nach Messfahrten nochmals die Kontrollen an den Rädern verschärft. Das war mit den noch vorhandenen Werkstätten in Grünau und Wannsee und der Hauptwerkstatt in Schöneweide nicht mehr zu schaffen. Friedrichsfelde, wo bisher nur noch Museumszüge verschiedener Eigentümer abgestellt waren, nahm deshalb die Arbeit wieder auf; in Erkner nutzte die S-Bahn die von ihr aufgegebene Halle, um Fahrzeuge von Schnee und Eis zu befreien und sie aufzuwärmen. Auch einfache Reparaturen wurden in Erkner vorgenommen – von mobilen Beschäftigten. Aufgestockt hat man zudem den Personalbestand in der Oranienburger Werkstatt.

Wenn’s gut läuft, können die Mitarbeiter in Friedrichsfelde, die in Schichten rund um die Uhr arbeiten, inzwischen 18 bis 20 Viertelzüge, die immer aus zwei Wagen bestehen, in 24 Stunden inspizieren und reparieren. Gestern waren gut 300 Viertelzüge im Einsatz; im Normalbetrieb werden in Spitzenzeiten etwa 500 benötigt.

Weil die Schäden schon vorher gemeldet werden, wissen Kurzawu und seine Kollegen im Voraus, ob sie mit ihren bescheidenen Möglichkeiten in der Lage sind, die Defekte zu beheben. Bisher hätten sie es nur einmal nicht geschafft, sagt Strippel. Die Fahrzeuge mussten dann in eine andere Werkstatt geschleppt werden. Ein Kran zum Heben schwerer Lasten war noch im vergangenen Jahr in Friedrichsfelde ausgebaut worden.

Ob die Werkstatt nun wieder dauerhaft am Netz bleibt, ist noch nicht entschieden. Zunächst solle der Probebetrieb erweitert werden, sagt Strippel. Allerdings hat die S-Bahn inzwischen so geringe Kapazitäten, dass sie abgestellte Fahrzeuge, die nun wieder in Betrieb genommen werden sollen, woanders instandsetzen lassen muss. Die Ausschreibung für 20 Viertelzüge läuft derzeit. Und auch routinemäßige Hauptuntersuchungen werden ausgelagert.

Kurzawu und die meisten seiner Kollegen sind jedenfalls auf einen Dauerbetrieb in Friedrichsfelde vorbereitet. Ihre Arbeitswesten mit dem Aufdruck „Friedrichsfelde“ haben sie behalten und auch an ihrem zwischenzeitlich anderen Arbeitsplatz getragen. Jetzt aber sind sie wieder richtig „zu Hause“. Und dass der Anschluss an die Fernwärme fehlt und mit Elektroheizern gewärmt wird, macht dem Wagenmeister nichts aus: „Wir bewegen uns ja ständig. Das hält auch warm.“

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