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3. Platz, Erwachsene: Schlafes Schwester - von Jenny Schon

Hommage an meine böhmischen Großeltern

Jetzt sinn isch dat! die dicke Hauswirtin watschelt auf Oma zu, die ein Drittel von dem der Wirtin wiegt und die nur halb so groß ist. Jetzt sinn isch dat! wiederholt sie sich. Dat is ja Opium, wat de do jeplanzt häst. Dat jit et nit, da kütt de Polizei bei misch. Dat is minge Grund und Boden, da bin isch verantwortlich für, damit de dat begriefst! Die schimpfende Frau zieht an Omas Kopftuch. Die beiden verknoteten Enden um den Hals drücken ihr die Kehle zu. Ich stehe stramm vor der dicken Frau. Ich reiche ihr bis an die Stirn. Ich rieche ihren schlechten Atem. Ich spreche statt meiner Oma. Lassen Sie die Finger von meiner Oma, sehn Sie nicht, daß sie fast erstickt.

Die Frau läßt locker. Dat is evver och en Luder, ding Omma! Hätt mich rinjeläht, dat. Säht, et planzt wat zu essen und wat sinn isch, dat mäht Opium. Meine Oma hat nichts von dem Gespräch verstanden. Ich sehe es an ihren lächelnden Augen, die sagen, ach! wenn ich dich doch nur verstehen könnte.

Meine Großeltern sind noch nicht lange im Rheinland. Mein Vater ist Einheimischer. Ich bin dreisprachig aufgewachsen: Hochdeutsch (in der Schule), linksrheinisch (bei uns im Dorf), böhmisch (bei meinen Großeltern). Meine Mutter versteht rheinisch, spricht aber hochdeutsch. Meine Großeltern verstehen nichts. Wenn sie einkaufen gehen, muß ich als Dolmetscherin dabei sein.

Es sind schlechte Jahre, die wir hinter uns haben, sagen sie, aber Gott wird es schon richten. Gott hat es gerichtet, daß sie ein Gärtchen bei der dicken Wirtin und zwei Dachzimmerchen bekamen. Natürlich hat Gott es nicht eingerichtet, aber meine Großeltern waren davon überzeugt, als die Frau vom Amt sagte, da haben wir was für Sie bis auf weiteres - es kommen auch wieder bessere Jahre.

Ja, hat meine Oma gesagt, ja, auch mein Opa, Gott wird es richten und so kamen sie bei der dicken Wirtin an, umarmten sie in ihrer einfachen ländlichen Art und sagten: Gott sei gelobt und bedankt. Natürlich verstand die Wirtin auch meine Großeltern nicht, denn sie kamen aus dem Riesengebirge, wo ganz anders gesprochen wird.

Also isch jonn jetzt und reiß dat Züsch widder russ! Die dicke Wirtin watschelt hinter die Scheune, wo Omas Gärtchen ist. Das lassen Sie gefälligst! schreie ich. Die Frau bückt sich, ich sehe ihr schmuddeliges Unterkleid und ihre speckwabbeligen Schenkel. Ich ziehe an Ihrem Kittelkleid. Frau Wirtin, das Amt hat sie reichlich entlohnt und zahlt die Miete voraus und Oma kann anpflanzen, was sie will.

Evver nit so jet, dat is Opium. Quatsch! schimpfe ich. Ich zeige auf die wunderschönen Blüten, in lila, rosa und weiß. Fast alle Pflanzen haben schon Kapseln angesetzt. Oma berührt sie, ein trockenes Rascheln ist zu hören. Reif son se, juchzt sie.

Soll ich dir beim Pflücken helfen? frage ich. Hielocka dos Sackla. Du wesst anej, ob se gdiega sahn. Flink knipst meine Oma die Kapseln vom Stengel der prachtvollen Pflanzen, die immer noch blühen, obwohl sie bereits Samen haben. In den Beutel kullern die gräulichen Kapseln und rascheln bei jeder Bewegung. Für uns ist das lebensnotwendig, sage ich beiläufig zu der noch am Feldsaum stehenden Frau.

Dat will isch ens glöben! Lebensnotwendig, nit dat isch ens laache. Bei üsch im Osten is allet lebensnotwendig, wenn ihr et nit bezahlen müßt. Mir han dat allet offgebaut, nit ihr Pimmocken*, ihr! Frau Wirtin…! Ich stehe wieder steif vor ihr, als sie sich an den kostbaren Kapseln zu schaffen macht. Ich bin vierzehn Jahre alt und auch sehr kräftig. Ich werde Sie anzeigen, flüstere ich, wegen Sachbeschädigung und Beleidigung. Sie wissen genau, daß Oma Mohnstrietzel backt, Sie haben schon selber probiert und konnten nicht genug kriegen. Isch? Bei dem singe Koochen. Ne dat schmeckt doch nit dat Züsch.

Letztes Jahr hat es Ihnen noch geschmeckt. Da han isch och nit jewußt, dat dat Opium ist, dat han isch doch erscht neulich jelesn. Oma pflückt in aller Ruhe weiter Kapseln. Wie schön eigentlich, nichts verstehen zu müssen. Als das Säckchen schon mächtig beutelt, zwickt sie mich. Kumm'ocka Madla, do ham mer erst mol wos for de Mohnbuchtla. Wat hätt et jesäht, ding Omma?

Nächsten Samstag sind Sie eingeladen, es gibt Mohnbuchteln mit Vanillesoße. Ach änä, Vanillesoße? Is dat evver lecker. Un et hät jesäht, dat isch komme soll? Ja, sage ich, Oma hat Sie herzlich eingeladen, Samstagnachmittag. Aber wir haben nur Muckefuck, echten Kaffee müssen Sie sich selber mitbringen.

Kaffee? Änä, dat bruch isch nit, wenn et Vanillesoße jit, dat jenüscht. Oma trippelt mit ihrer kostbaren Last die Stiegen hinauf in die Dachstube. Wo word ihr denn su a lang, murmelt Opa grimmig. Wos host denn nur imma mit der Frau unta zu stänka, Weibla. Oma drückt die Kaspeln aus, wäscht die schwarzen Samenkörner und brüht sie. Dann bedeckt sie sie mit Milch. Wos host denn do unta gmacht? Opa läßt nicht locker.

Ach geh'ock schloffa, grummelt sie. Das sagt sie immer, wenn sie sich über Opa ärgert. Aber das ist auch alles an bösen Wörtern, die sie für ihn hat. Dann sitzen sie beieinander auf meinem Bett, das als Sofa dient, und schmusen. Bist mei Weibla, gellocka? sagt Opa. Wenns meenst, antwortet Oma.

Am Samstag sitzen wir in der warmen Stube, obwohl eigentlich noch Sommer ist, darf keiner reinkommen oder rausgehen oder die Dachluke öffnen. Wir schwitzen wie in der Sauna. Oma bereitet den Hefeteig für die Buchteln zu. In einer irdenen Schüssel scheint sich was zu bewegen. Das Küchenhandtuch wölbt sich. Alle halbe Stunde starren wir auf das Tuch. Derweil bereitet sie die Vanillesoße zu. Ihre knorpelige Hand rührt kräftig die gelbe Soße, damit sich nichts ansetzt. Rühr'ock wetter, sagt sie zu mir.

Ich rühre. Der süßlich würzige Duft, der in meine Nase zieht, erinnert mich an Weihnachten. Da gibt es Vanillekipferl. Nu pass'ock uff, da kimmts nieber! Gerade noch so habe ich es noch geschafft, den Topf beiseite zu ziehen, um ein Überlaufen zu verhindern. Aber es ist ein wenig angebrannt. Ich rieche es.

Dapert seids, murmelt Opa, dos riesch i do, dapert seids. Zwee Weibla a Huse un scho is der Deibel los! Hiel'ocka die Gusche, Opapa, und geh'ock schloffa, die Oma blitzt mit ihren kleinen blauen Äuglein, daß auch ich ein wenig Angst vor ihr kriege. Geschlagen hat sie noch nie, aber sie scheint kurz davor zu sein, ihre Ruhe zu verlieren. Wenn jetzo a noch der Kucha einfällt, Krutzitürken!

Oma, so was sagt man nicht! entrüste ich mich. Ich habe in der Schule gelernt, daß man nicht fluchen darf. Ja, grummelt der Opa, so was muß ma beichta, nur der arme Herr Jesus allan is am Krutz, verstehst, Weibla! Hiel'ocka die Gusch, Mann.

Die Stimmung ist kurz vorm Platzen. Zu der Hitze im Raum kommt die Spannung zwischen den zwei alten Menschen. Ich weiß aber, ich weiß ganz sicher, gleich sitzen sie wieder auf dem Bett und schmusen. Ich habe die Vanillesoße durch ein Sieb gedrückt. Am Topfboden hat sich nur wenig angesetzt. Schau Oma, wie schön die Soße fließt.

Doch Oma hört und sieht nichts mehr, sie streut Mehl auf den Hefeteig, knetet ihn und rollt ihn aus, gibt einen Löffel von dem eingeweichten Mohn darauf und formt ihn zu einer Kugel. Derweil kommt vom Bett ein gemütliches schwaches Pfeifen. Opa ist eingeschlafen. So Madla, sagt Oma und streichelt mein Haar, wenn mer dos g'schafft ham, kün mer erst a mol Schluß macha. Dann gehst die Frau hola, gell'ocka?

Als ich bei der Wirtin unten anklopfe, ruft sie von der Terrasse her: Also, wenn ding Omma will, und dinge Oppa och, dann sähste dennen, dat isch he jedeckt han, dat et rischtiche Kaffe jibt un Zucker han isch och, also wenn de dat dennen sajen dähst, denn weeßte, isch kann doch nit mi de Trepp jon mit minge Been, dat jeht doch enit mi asu.

Nach einer Weile kommen wir mit den dampfenden Buchteln bei der Frau auf der Terrasse an und sie schnuppert wie ein Hund. Änä, Omma, dat riecht ja ens, da könnt isch ens bekloppt werde, sone Appitit kriesch dabej.

Der Kaffee duftet, die Vanillesoße duftet, als sie sich über die Buchteln verteilt. Die Wirtin schmatzt. Änä, lev Frau, änä is dat ens lekker, also dat wollt isch üsch schon immer gesaht hahn, also änä, Koochenbacken, also dat künnt ihr evver, ihr Pimmocken us Sibirien! Dat mäht ja rischtisch süschtisch!

* Pimmocken - rheinisches Schimpfwort für Flüchtlinge

Jenny Schon: In Böhmen geboren, studierte Sinologie, Kunstgeschichte, Publizistik, "68er", wilde Zeit, studierte damals Sinologie an der FU, veröffnete fachintern Essays, Artikel, vor allem über China. 2005 erster Roman "Der Graben" (Verlag am Park/ Edition Ost). 2005 erster Lyrikband: "Böhmische Polka" (Geest-Verlag). Schon ist Stadtführerin, hat Interesse an der Geschichte Berlin und vermittelt diese gerne!

Jenny Schon

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