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Beate Pfeiffer: ''Brittas Party''

Beate Pfeiffer nimmt uns mit auf eine Reise in die 60er Jahre. Ihre Geschichte erzählt von den Strapazen der Pubertät, wilden Tanzpartys in schummrigen Kellern und dem wohl peinlichsten Moment im Leben eines Teenagers.

Das Reich der Erinnerung birgt Steppen und Wüsten, aber auch lieblichere Landstriche. In der Ferne liegt der Zaubergarten der Kindheit, davor der leuchtende, mit satten Wiesen bestandene Hügel meiner Studienjahre. Ein paar Sterne stehen am Firmament, noch Jahre nach ihrem Erlöschen strahlen sie ein warmes Licht ab. Die Venus unter ihnen ist mein Hochzeitsfest. Aus dem Andromedanebel meiner Pubertät hingegen dringt ein kaltes verstörendes Flackern. Das ist der Tag von Brittas Party.

Ich war in allem die Letzte. Die Letzte, die immer noch mitturnen musste, während meine Freundinnen mit Leidensmiene auf den Bänken hockten. Die Letzte, die mit Mutti einen BH kaufen ging. Die Letzte, die mangels Forscherdrang keinen blassen Dunst hatte, wie Kinder in den Bauch kommen. Die Letzte, die Lidstrich und Pumps entdeckte. Die Letzte, in der der Wunsch erblühte, ihre Hände mit denen eines Jungen zu verschränken. Als es soweit war, musste ich feststellen, dass die anderen gut weggingen, während ich den Laden hütete. Entgegen meiner Gewohnheit schaute ich forschend in den Spiegel. Was ich sah, gefiel mir gar nicht. Meine Mutter fand tröstende Worte: „Du könntest später dein eigenes Geld verdienen, etwa als Lehrerin, es ist gar nicht so schlimm, wenn eine Frau keinen Mann hat und unabhängig ist.“ Danke, Mutti, das hatte ich mir auch so vorgestellt, ich freue mich schon darauf.

In diese heitere Pubertätsstimmung hinein platzte Brittas Einladung. Vor der schrecklichen Veränderung, die mit uns vorging, waren wir eng befreundet gewesen. Als Slim und Jess hatten wir am Fuß der blauen Berge Überfälle auf die Poststation vereitelt, als Jerry Cotton und Phil Decker diverse Morde im Viertel aufgeklärt und als böse Sioux im Stadtpark Passanten skalpiert. Eben wie die Natur es vorgesehen hat. Aus dem kurz geschorenen Naturburschen Britta war eine hübsche, langhaarige Fremde geworden, die Röcke trug, den Eye-Liner beherrschte und elegant rauchte. Ihre Familie wohnte seit kurzem im eigenen Haus. Es gab einen Party-Keller, Traum der frühen 60er Jahre, mit Plattenspieler, Tresen und Barhockern. Am Samstag war Einweihungsparty. Die ganze Woche flatterten mir die Knie. Meine erste Party. Ich kenn da doch niemanden außer Britta und - flüchtig - ihren Bruder Paul. Der zwei Jahre älter ist und gut aussieht. Verdammt gut aussieht. Was ziehe ich an? Meine Mutti schlägt die neue Bluse vor, braunorange mit goldenen Knöpfen. Dazu den olivgrünen Rock, der züchtig die Knie bedeckt, darunter Nylonstrümpfe. Und die roten Pumps, ich hab nur ein Paar. Die Brille ziehe ich im Partykeller aus, jawohl, da ist es nämlich schummrig und man sieht sowieso nichts. Den Fehler, die Brille anzubehalten wie in der Tanzstunde, von der ich hier schweigen möchte, mache ich nicht noch mal.

Die Woche zieht sich. Aber irgendwann ist Samstag. Peinlich, dass Mutti mitkriegt, wie ihr sonst an Mode so desinteressiertes Kind sich vor dem Spiegel dreht und wendet, den Lidstrich zehnmal abwäscht und neu aufträgt, sich gar an Muttis Lippenstift vergreift. Und trotzdem nicht schöner wird. Meine Haare hängen so komisch. Ich hab sie mit der Bürste nach außen geföhnt, aber sie drehen sich immer wieder ein und sehen klumpig aus. Ich hoffe, es ist sehr dunkel im Partykeller.

Um fünf sollen wir da sein. Ich bin um fünf vor fünf da. Britta und ihr Bruder sind noch bei den Vorbereitungen. Obwohl ich psychisch gar nicht dazu in der Lage bin, biete ich an zu helfen, werde aber aufgefordert, nicht im Weg zu stehen und schon mal was zu trinken. Eine Cola. Gegen sechs erscheint der erste Schwung. Britta macht das große Licht aus, drei verheißungsvolle rote Lampen beleuchten etwa 20 Gestalten, gedämpft läuft Musik, freudige Rufe und Lachen füllen den Raum. Leider kenne ich niemanden und es scheint ausgeschlossen, dass ich jemand kennen lerne. Ich schiebe mich in Brittas Nähe, aber sie hat zu tun, sie verteilt Begrüßungsgetränke und plaudert munter. Ich setze mich auf eine der Bänke, die um die Tanzfläche herum stehen. Ein Jüngling mit Brille spricht mich an. Er ist kleiner als ich und sieht ziemlich Scheiße aus. Er heißt Manfred und kennt auch nur Paul. Gegen sieben sind alle da und Paul hält eine kurze Begrüßungsrede. Er sieht sehr gut aus. Mein Herz rumpelt. Er fordert die Anwesenden auf, nicht länger zu zögern. Es dürfe und solle getanzt werden. Zu Gene Pitney, „It hurts to be in love“. Er dreht laut. Nach und nach finden alle auf die Tanzfläche, ich tanze mit Manfred. Er schiebt mich abwechselnd nach rechts und links und steht dabei die meiste Zeit auf meinen Zehen. Ich bin seinen schwitzigen Händen hilflos ausgeliefert und muss mit ansehen, wie elegant Paul wechselnde Mädchen über die Diele zwirbelt. Nach dem dritten Tanz rege ich eine Pause an. Wir setzen uns und schauen den anderen zu. Kein Junge kommt auf den Gedanken, mich zu erlösen. Klar, die denken alle, ich gehöre Manfred. Stumm hocken wir nebeneinander, der Gesprächsstoff ist alle. Paul macht eine Ansage, ich hänge an seinen wohlgeformten Lippen, was er genau sagt, entgeht mir vor lauter Begeisterung. „Der nächste Tanz ist dann Damenwahl!“ endet seine Rede. Wie in der Tanzstunde! Das weiße Pferd der Hoffnung trabt durch den Raum. Vermutlich schaut mich Manfred erwartungsvoll an, aber ich weiß, was ich zu tun habe. Jetzt oder nie! Manchmal muss man das Glück eben wach rütteln. Ich springe auf. Alle anderen haben sich hingesetzt oder stehen am Tresen, um was zu trinken. Ich stehe vor Paul, der sehr gut aussieht: “Darf ich bitten?!“ Meine Stimme scheppert vor Aufregung. Ich beglückwünsche mich zu meinem Mut und meiner Schnelligkeit. Paul starrt mich an: „Ich sagte, nach der Pause! Hörst du Musik?“ Es ist in der Tat nicht nur keine Musik zu hören, es ist überhaupt mucksmäuschenstill geworden. Alle schauen zu uns rüber. Ich suche den Boden nach einer verborgenen Falltür ab. Verschluck mich bitte! Das leuchtende Rot meiner knallheißen Wangen ist die intensivste Lichtquelle im Raum. Ich schleiche zurück zur Bank und setze mich hin. Der Körper funkt SOS, es herrscht Anarchie, Atemstillstand, gefolgt von Hyperventilation, Orkanrauschen in den Ohren, Augenflimmern, Lähmung aller Gliedmaßen bei gleichzeitigem Herzrasen, ich kann nicht darauf achten, ob mich immer noch alle anstarren. Nach bleibeschwerten 10 Minuten geht Paul zum Plattenspieler, legt „Love me tender“ auf und sagt etwas lustlos: „Damenwahl!“ Damen setzen sich in Bewegung und streben auf Herren zu. Paul steht neben dem Plattenspieler und sieht gut aus, aber niemand fordert ihn auf. - - Ich verstehe. Paul würde weggehen wie das Abendblatt, aber man nimmt Rücksicht. Auf mich. Britta kommt auf mich zu und flüstert: “Jetzt kannst du!“. Leider kann ich nicht. Jemand hat mich an die Bank gekettet, ich kann mich nicht rühren. Ein weiterer Gipfel der Peinlichkeit. Ich erklimme ihn keuchend. Britta, die umsichtige Gastgeberin, fordert Manfred auf. Die einzigen, die nicht tanzen, sind Paul und ich. Er steht, ich sitze. Er raucht eine, ich denke über Todesarten nach.

Ich blieb noch so lange, bis ich ausschließen konnte, dass irgendetwas geschähe, das mir über das Ereignis hinweghelfen könnte. Zum Beispiel hätte Paul mich auffordern können, und sei es aus Mitleid. Er dachte gar nicht daran, der schöne Paul. It hurts to be in love. Ich verabschiedete mich von Britta: “Vielen Dank für die Einladung. Es war sehr nett.“ Britta sah mich wissend an und lachte: „Na?!“

Ich glaube, es ist das Beste, ich werde Lehrerin, verdiene mein eigenes Geld und bleibe unabhängig.

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