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Bezirksportrait: Familienleben im Friedrichshainer Kreativ-Kiez

Eine vierköpfige Friedrichshainer Familie: Zwischen WG-Leben, Kindern und freiberuflicher Existenz.

Besucher empfängt der dreijährige Emil schon an der Tür mit einem neugierigen „Hallo?“. Gleich darauf spielen er und seine Schwester Marta, die gerade Laufen gelernt hat, neben dem Küchentisch, während ihre Eltern erzählen. Katariina und Matthias Reiser kamen aus Aachen nach Berlin, ihre Kinder sind beide gebürtige Friedrichshainer. „Ich wollte endlich mal zentral und stylisch wohnen“, sagt der 32-jährige Familienvater – es wurde eine Wohnung nahe der Simon-Dach-Straße. „Wir konnten hier unsere Kinder bekommen, aber uns auch mitten in der Stadt fühlen, rundherum Cafés und viele Leute, die so sind wie wir.“

Junge Familien mit Kindern im Vorschulalter prägen den Stadtteil Friedrichshain. Mütter und Väter mit Kinderwagen sind unterwegs, Babys werden huckepack getragen, um mit ihnen zum nächsten Bioladen zu gehen. Heute leben hier fast 60 Prozent mehr Kinder unter sechs Jahren als noch im Jahr 2000 – rund 6400 sind es jetzt. Die Familienkonstellationen sind außerdem sehr breit gefächert: „Das geht quer durch den Gemüsegarten“, sagt Monika Blanke vom Projekt „Sportorientierte Jugendarbeit“ der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Bezirk. Von der alleinerziehenden Mutter über die Patchworkfamilie bis zur traditionellen Familie sei alles dabei. Blanke organisiert ein wöchentliches Eltern-Kinderturnen für Kinder im Vorschulalter, die Nachfrage ist groß. Ein weiteres Phänomen in Friedrichshain sei die große Zahl an Familien aus den alten Bundesländern, so Birgit Bosse, Leiterin des Familienzentrums „Das Haus“. „Zugezogenen fehlt in den ersten Jahren oft ihr familiäres Umfeld – manche fühlen sich isoliert.“

Matthias und der 32-jährigen Katariina, deren Name auf die finnische Art geschrieben wird, geht das nicht so. „Großeltern oder Verwandte in der Nähe wären zwar schön“, sagt Matthias. Aber dass die vierköpfige Familie jetzt in einer WG wohnt – zusammen mit einer alleinerziehenden Mutter, deren zwei Söhne etwa im gleichen Alter wie Marta und Emil sind – sorge für Abwechslung und gegenseitige Unterstützung. „So lernen wir viele Leute kennen, die Kinder haben und mit denen man sich austauschen kann“, sagt Matthias. Auch spontane Erledigungen seien viel einfacher, wenn andere Erwachsene auch mal ein Auge auf die Kinder haben können.

Nach Martas Geburt sind Katariina und Matthias mit den Kindern durch Spanien gereist – ein Jahr lang. Heute arbeiten beide wieder. Abends, wenn Marta und Emil schlafen, setzt sich Katariina an ihre Werkbank. Sie ist Goldschmiedin und fertigt Ringe und Schmuck mit kleinen Steinen oder Muscheln. Für sie ist auch das kreative Leben im Kiez wichtig: „Was ich an Friedrichhain liebe, sind die Gemeinschaftsateliers. Den Leuten geht es mehr um Selbstverwirklichung als ums große Geldverdienen“, sagt sie. Ihr Mann organisiert freiberuflich Messen und Ausstellungen für Firmen.

Beide teilen sich Arbeit und Kinderbetreuung. „Idealerweise betreue ich die Kinder vormittags. Nach dem Mittagessen übernimmt dann Matthias und ich setze mich an die Werkbank“, skizziert Katariina den Ablauf. Doch nicht immer lässt sich die Arbeit so planen. „Neulich hatte ich zwei termingebundene Aufträge, da musste ich dann zwei Tage durcharbeiten“, sagt Matthias. Die Freiberuflichkeit ist für ihn kein Idealzustand. „Ich würde auch einen 38-Stunden-Job nehmen. Aber als Teamleiter stellt dich dafür niemand ein.“

Auch die Kita-Suche war ein Drahtseilakt: „Wir hatten Glück, dass wir so schnell einen Platz bekommen haben“, sagt Katariina. Denn gerade in Friedrichshain sind diese Plätze Mangelware. „Das ist ein großes Thema bei den Familien“, sagt Ulrike Stephan, Leiterin des Friedrichshainer Projekts Familie und Nachbarschaft. In den vier Kitas der AWO etwa haben Bewerber mit enormen Wartezeiten zu rechnen. „Vor 2012 können wir keinen Platz zusichern“, sagt Sprecherin Nicole Behrens. Mit einer „besonders schönen Mail“, wie Matthias sagt, und einem persönlichen Besuch hat es dann jedoch geklappt: Emil geht demnächst in einen Kinderladen. Auch Töchterchen Marta soll dort einen Platz bekommen. Dann könnten Katariina und Matthias ihre Arbeitszeiten effektiver nutzen.

Mit den Kindern, sagen sie, hätten sie ein anderes Gefühl für sich selbst entwickelt. „Die Kinder sind unser Spiegel“, sagt Katariina. „Wenn mit ihnen was nicht stimmt, stelle ich meistens kurz darauf fest, dass wir selbst gestresst sind.“

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