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Musikhochschule: Das klingende Klassenzimmer

Der Galakutschensaal der Musikhochschule Hanns Eisler kennt die Leere, kennt leise und laute Töne, Proben und Konzerte, die jeder gratis anhören kann. Der Weltklassegeiger Kolja Blacher stellt ihn vor

Von Susanne Leimstoll

Manchmal verliere ich in diesem riesigen Gebäude noch immer die Orientierung. Wo war noch mal der Galakutschensaal I? Ach ja, noch eine Treppe höher im Neuen Marstall, zweiter Stock, rechts durch die große Flügeltür. Ich bin nicht fremd in dieser Stadt, bin gebürtiger Berliner – Mexikoplatz – aber erst wieder seit April hier. Mit 15 zum Studium an die New Yorker Juilliard School of Music, 83 nach Berlin zurück, von 93 bis 99 bei den Philharmonikern, dann zehn Jahre als Professor für Violine an der Hamburger Musikhochschschule, jetzt für eine Professur zurück. Hier liegen meine Wurzeln.

Die Musikhochschule Hanns Eisler war durchaus ein Traumziel, Deutschlands Streicherschule von Rang, außerdem im Zentrum des alten Berlin, in der musikalisch interessantesten Stadt der BRD. Und dann dieses Gebäude: früher der Pferdestall des Schlosses, außen neobarock-klassizistisch und innen seit dem Umbau hoch modern, sehr gelungen. Die hohen Räume lassen Luft zum Atmen.

Der Galakutschensaal ist einer von drei Konzerträumen, alle sehen ähnlich aus: Parkettfußboden, eine Klinkerwand, schallabsorbierende Plexiglaselemente; hier drinnen dämmen milchig weiße Kunststoffblasen die langen Seiten. Wenn man alleine ist, herrscht eine schöne Stille. Durch die beiden großen Fenster wirkt der Raum offen und hat doch etwas Beschützendes. Dann dieser Ausblick: direkt auf Dom und Schloßplatz – ich wünschte, die grüne Wiese dort würde bleiben. Draußen dieses wilde Treiben der Großstadt, die Schlange vorm Museum und hier drinnen: Ruhe.

Doch, doch, der Begriff Ort der Stille trifft zu. Musik hängt ja mit Stille zusammen. Wo keine Stille, da keine Musik. Wo es keine Pausen gibt, fällt die Musik nicht mehr auf. Überall draußen wird man beschallt, ununterbrochen: im Taxi, im Supermarkt, die Leute laufen rum mit Knopf im Ohr. Der Kontrast sind diese Räume: ein Klang, der verhallt, eine Pause – wunderbar. Hören Sie? Die Akustik hier drin ist gut: hell und klar. Die Paneele versuchen, die Härte rauszunehmen. Leer ist der Saal etwas überakustisch, wie in einer Kirche. Zu viel Nachhall. Voll, mit Publikum, klingt er richtig gut.

In den beiden Galakutschensälen und im Krönungskutschensaal finden vor allem Konzerte statt. Aber ich bin mit meinen Studenten auch immer wieder zum Proben hier drin, für Prüfungen, für Vorspiele. Der Raum mit den aufgereihten schneeweißen Stühlen und den beiden schwarz glänzenden Bösendorfer Flügeln ändert dann sein Gesicht. Bei den Proben findet nur hier oben auf der Bühne was statt, der Zuschauerraum bleibt leer. Dann gibt es die internen Vorspiele: jemand musiziert auf dem Podium, andere Studenten sitzen im Raum verstreut. Bei Prüfungen ist da unten, etwa auf der Mitte der Stuhlreihen, ein langer Tisch für die Professoren. Tagelang sitzen wir Lehrer da bei den Aufnahmeprüfungen und hören uns Hunderte von Geigern an, meist 17- oder 18-jährige Talente, manchmal auch Jungstudenten von 13 Jahren. Für die Klassenkonzerte oder die offenen Masterklassen wird der Galakutschensaal regelmäßig zum Konzertraum. Jeder Besucher von draußen kann hierher kommen und sich die Studenten anhören, kostenlos Konzerte genießen, die ganze Woche über. Die sind natürlich nicht perfekt, das hier ist „work in progress“. Aber die Studierenden müssen ja auch lernen, vor Publikum aufzutreten. Sie müssen sich an den Prozess des Konzertgebens gewöhnen, mit dem Publikum kommunizieren trotz der Nervosität.

Ich spiele seit mehr als 20 Jahren Konzerte. Aber raus zu gehen und da sitzen 2000 Leute ist nicht einfach. Selbst für mich gibt es Zeiten, da fällt das nicht leicht: Jetlag, Reisestress, altes oder neues Repertoire, unterschiedliche Dirigenten. Und wie’s der Geige geht, merkt man erst auf der Bühne. Wenn ich weite Strecken geflogen bin – manchmal habe ich an die 60 Auftritte im Jahr – ist meine Stradivari etwas verschnupft. Doch, doch, ich hör’ das, andere nicht.

Und natürlich bin ich nervös, wenn meine Schüler auftreten. Ich will ja, dass sie gut spielen. Diese Vorspiele sind für jeden ein Prüfstein: Mal tritt jemand mit etwas Neuem auf oder er hat etwas an seiner Technik verändert. Da zeigt man Nerven. Was hier passiert, ist etwas Lebendiges. Und immer dann ist dieser Galakutschensaal auch ein Raum der Emotionen – wie alle Orte, an den Musik erklingt. Aufgezeichnet von Susanne Leimstoll

Der nächste Vortragsabend für Violine mit Studenten von Kolja Blacher findet morgen, 2. Dezember, 19 Uhr, im Galakutschensaal I im Neuen Marstall, Schloßplatz 7 in Mitte statt. Der Eintritt ist frei.

Das Programm der Musikhochschule Hanns Eisler ist im Internet zu finden: www.hfm-berlin.de

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