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Besser betreut. Was Eltern sich vom Regierenden – hier auf Kita-Besuch in Charlottenburg – wünschen würden? Ganz oben auf der Liste steht mehr Personal.

© Guenter Peters

Online-Aktion: Familien sind die besten Experten

Was Eltern und Kinder sich wünschen: Mehr Kita-Erzieher, kleinere Klassen und Tempo-30-Zonen – erste Ergebnisse der Online-Aktion des Familienbeirats.

Es wird diskutiert. Und das sehr rege. 14 269 Mal wurde die Seite bereits in den ersten sieben Tagen angeklickt. Viele Besucher haben sich registriert, um aktiv mitzudiskutieren. Es sollen noch viel mehr werden: Bis zum 17. Mai läuft der Online-Dialog www.zusammenleben-in-berlin.de noch. Dort können Berliner berichten, wie sie ihr Leben mit Kindern in Berlin gestalten, wo die Stärken der Stadt liegen und diskutieren, welche Missstände wie behoben werden könnten. Am Ende sollen daraus konkrete Vorschläge entstehen, die dem Senat zur Verbesserung der Familiensituation übergeben werden.

Das Online-Forum fordert zum zweiten Mal zur Diskussion auf, nach einer ersten, kleineren Umfrage im Dezember 2009. Im kommenden Herbst wird der Berliner Familienbeirat – dem Vertreter von Parteien, Wirtschaft und Wissenschaft angehören – dem Senat das Ergebnis in Form des Familienberichts überreichen. Dieser Bericht wird eine Bestandsaufnahme und Empfehlungen enthalten. Auch die Ergebnisse des Online-Dialogs fließen mit ein. „Familien werden als Experten aus der Praxis ernst genommen“, sagt der Vorsitzende des Beirats, Peter Ruhenstroth-Bauer. Die Wünsche und Antworten der Beteiligten sind wichtige Impulse für die Politik, das findet auch Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD): „Der Online-Dialog ist eine sehr attraktive Plattform, auf der die Bürger direkt Kritik und Ideen austauschen können.“

Die zweite Runde des Online-Forums soll nun noch konkreter werden: Die Diskutierenden sind aufgefordert, ihre Wünsche noch konkreter auf die einzelnen Kieze zu richten. Der Tagesspiegel hat zusammengestellt, welches die größten Sorgen und Wünsche der Familien aus der ersten Runde der Befragung sind.

MEHR ERZIEHERINNEN UND ERZIEHER IN KITAS UND HORTEN. „Die Gruppen sind zu groß, Angebote entfallen, wenn eine Erzieherin krank ist; Zeit, sich um einzelne Kinder zu kümmern, ist kaum da“, fasste eine Teilnehmerin des Forums die Probleme in Berliner Kindertagesstätten zusammen. Mit dieser Einschätzung stand sie nicht allein da: Der Wunsch nach mehr Erzieherinnen und Erziehern stand zum Abschluss der Diskussion ganz oben in der vom Familienbeirat erstellten Rangliste (siehe Grafik). Zumindest hier können die Eltern nun Verbesserungen erwarten: Der Landeselternausschuss Kita (Leak) hat mit dem Kita-Volksbegehren erreicht, dass der Betreuungsschlüssel in zwei Stufen um ein Kind pro Erzieher gesenkt wird. Die erste Stufe trat bereits am 1. April in Kraft, die zweite folgt zum 1. Januar 2011. Insgesamt werden 1500 neue Erzieher eingestellt. Nach diesem Erfolg will Leak nun erreichen, dass auch die Hortbetreuung verbessert wird: Ein weiteres Volksbegehren soll im Mai mit der Sammlung von 20 000 Unterschriften beginnen.

KLEINERE SCHULKLASSEN. Schon oft hat Irene Kosok darüber nachgedacht, ihre Kinder von der Schule zu nehmen. „In der Klasse meiner Kleinsten fing es schon mit 26 Schülern an, inzwischen sind es 28. Und das in der zweiten Klasse“, erzählt die Mutter von zwei Töchtern. Die Grundschule in der Köllnischen Heide ist das, was man heute als Brennpunktschule bezeichnet: Der Anteil Schüler nichtdeutscher Herkunft liegt bei 78,8 Prozent, Tendenz steigend. „Die Kinder kommen und müssen erst mal Deutsch lernen“, sagt Kosok. Die Größe der Klassen findet die 39-Jährige gerade in einer solchen Brennpunktschule unhaltbar. „Da bleibt eigentlich alles auf der Strecke.“ Während Irene Kosok in der ersten Runde nur mitlas, diskutiert sie nun aktiv mit und hofft, dass ihre Wünsche irgendwo erhört werden. Die Familie fühlt sich wohl in Neukölln, fordert aber, dass mehr Lehrer eingestellt werden, um besser auf die Schüler eingehen zu können. Vielen anderen Eltern ging es genauso und die Forderung nach kleineren Klassen landete auf Platz zwei.

SCHULESSEN FÜR ALLE. „Keinem Erwachsenen dürfte arbeitsschutzrechtlich ein solcher Arbeitstag zugemutet werden“, schrieb ein Nutzer des Forums. Schüler und Schülerinnen an Gymnasien würden oft bis in den Nachmittag unterrichtet, ohne die Gelegenheit, eine warme Mahlzeit einzunehmen. Dies hielten auch viele andere Diskutierende für unzumutbar. Mit der Einführung der Ganztagsschule wird auch dieses Anliegen im neuen Schuljahr an fast allen Berliner Schulen umgesetzt.

TEMPO-30-ZONEN DURCHSETZEN. Auf rund 75 Prozent der Straßen in Berlin gilt bereits Tempo 30. Eigentlich liegt Berlin damit im Bundesvergleich weit vorne. Nur in wenigen Städten, wie zum Beispiel München, ist der Anteil der Tempo-30-Zonen höher. Warum landete das Thema trotzdem auf Platz fünf der Rangliste? „Weil die Schilder allein nicht reichen“, schrieb eine Teilnehmerin im Forum. Sie forderte nicht nur die Ausweitung verkehrsberuhigter Zonen, sondern vor allem die konsequentere Durchsetzung bestehender Geschwindigkeitsbegrenzungen und eine schärfere Sanktionierung.

FAMILIENFREUNDLICHERE GESTALTUNG DER UMWELT. Das Verbotsschild wurde kürzlich „verschönert“. Auf das beschmierte Schild am Schleidenplatz in Friedrichshain hat jemand neben den Hinweis auf Fahrrad- und Fußballverbot eine durchgestrichene Flasche samt qualmender Zigarette und Spritze geklebt. Wohl ein hilfloser Versuch verzweifelter Eltern, den Spielplatz vor der Verwahrlosung an Wochenenden zu bewahren. „Ich kann hier mit meiner Tochter nicht hergehen“, erzählt eine Mutter, die gleich um die Ecke in der Rigaer Straße wohnt. „Vor allem am Sonntag ist hier alles voller Scherben, Kippen und wer weiß was noch.“ Dreckige Spielplätze, Hundekotbeutel, die entweder nicht da sind oder nicht benutzt werden – viele Mitdiskutierende forderten die familienfreundlichere Gestaltung des öffentlichen Raums. Dazu gehörten auch der Ausbau von Spielmöglichkeiten, breitere Gehwege oder Spielecken in öffentlichen Einrichtungen wie den Bürgerämtern.

GLEICHE CHANCEN FÜR VÄTER. „Haben Sie das alleinige Sorgerecht“, fragte die Sachbearbeiterin im Bezirksamt. Franz Knolle (Name geändert) wollte für eine seiner drei Töchter einen Kinderausweis beantragen. Für den Urlaub in Kroatien. Das alleinige Sorgerecht hat er nicht. „Dann brauchen wir die Unterschrift der Mutter“, fuhr die Sachbearbeiterin fort. Die Mutter aber lebt 800 Kilometer weit weg und war nicht erreichbar. Was tun? Franz Knolle konnte den Pass nicht beantragen. Als eine Mutter direkt nach ihm das gleiche Anliegen vorbrachte, wurden dieser ohne Probleme die Unterlagen ausgestellt. Nach dem Sorgerecht oder dem Vater fragte niemand. „Ich brauche immer einen schriftlichen Nachweis, dass ich die Kinder nicht geklaut habe“, sagt Franz Knolle. Fast täglich wird er als alleinerziehender Vater mit Vorurteilen konfrontiert: Dass er sicher nicht in der Lage ist, für die drei Töchter im Alter von neun, elf und zwölf Jahren zu sorgen und wohl höchstens in der Lage sei, einen Teller Spaghetti zu kochen. Deswegen diskutiert Knolle als „Singledad“ nun rege im Forum mit. Auch in der ersten Runde erzielte der Eingangsbeitrag „mehr gesetzlich garantierte Chancen für Väter“ die mit Abstand höchsten Seitenabrufe aller Forenbeiträge. Viele forderten eine Modernisierung des Sorgerechts und erweiterte, auf die speziellen Bedürfnisse der Väter angepassten Beratungs- und Hilfsangebote. Die Rechte unverheirateter Väter wurden nun jüngst zumindest gestärkt: Der Europäische Gerichtshof entschied im Dezember in einem Grundsatzurteil, dass die Ungleichbehandlung bei Sorgerechtsstreits von unverheirateten Vätern gegenüber verheirateten Vätern und Müttern im Allgemeinen als Verstoß gegen die Menschenrechte zu bewerten sei. Damit liegt nun der Druck auf der deutschen Gesetzgebung, die Bestimmungen des Sorgerechts zu verändern.

Welche Themen bewegen Sie? Bis zum 17. Mai können Sie noch mitdiskutieren unter: www.zusammenleben-in-berlin.de.

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