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Auf dem Weg ins Bad und zur Futterstätte: Forscher wollen herausfinden, wie die afrikanischen Brillenpinguine geschützt werden können.

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Afrikanische Brillenpinguine: Die Letzten ihrer Art

Brillenpinguine gelten als bedrohte Art. Ein internationales Projekt zu ihrem Schutz will Ökologie und wirtschaftliche Interessen verbinden.

Rund 45 Minuten Autofahrt von Kapstadt entfernt hat sich in den vergangenen 40 Jahren eine kleine Erfolgsgeschichte abgespielt. In den 1980er Jahren fanden Naturschützerinnen und Naturschützer am Strandabschnitt Boulders Beach ein einzelnes Brillenpinguin-Pärchen, mittlerweile wird die Größe der Kolonie auf etwa 2500 Vögel geschätzt.

Die 60 bis 70 Zentimeter großen Brillenpinguine, die ihren Namen einem auffälligen Schwarz-Weiß-Muster verdanken, gehören zu den wenigen Vertretern ihrer Art, die in warmen Regionen heimisch sind. An den Küsten Namibias und Südafrikas finden die Seevögel ausreichend Nahrung – auf dem Speiseplan steht vor allem Fisch – und geschützte Reservate zur Brut und Aufzucht ihres Nachwuchses. Wie lange das noch so bleibt, ist ungewiss. Während die Kolonie am Boulders Beach in der Vergangenheit gewachsen ist, hat die Zahl der afrikanischen Pinguine insgesamt stark abgenommen. Expertinnen und Experten schätzen, dass die Population in den vergangenen 100 Jahren um 95 Prozent gesunken ist; in 30 Jahren könnte die Art ausgestorben sein. „Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir jetzt handeln“, sagt Marcus Doherr. Der Professor für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin ist an einem internationalen Forschungsprojekt beteiligt, das dem Schutz der Brillenpinguin-Kolonien gewidmet ist.

Blue Economy: Schutz des Meeres und trotzdem Wirtschaftswachstum

Die Grundlage für das Vorhaben ist das Wirtschaftskonzept der sogenannten Blue Economy, bei dem ökonomische und ökologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden. Im Zentrum steht der Schutz des Meeresökosystems bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Wachstum. Gefördert wird das Projekt, das bis September 2022 läuft, über das afrikanisch-deutsche Partnerprogramm „Meerwissen“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Das Ziel ist es, das erforderliche Wissen zu generieren und Strategien zu identifizieren, die nachhaltig zum Überleben der Populationen beitragen können“, erklärt Marcus Doherr. Neben der Freien Universität sind die University Pretoria und die University of the Western Cape in Südafrika sowie die University of Namibia an dem Vorhaben beteiligt.

Die Weltnaturschutzunion stufte die Brillenpinguine schon im Jahr 2009 als stark gefährdet ein. Verantwortlich dafür sind verschiedene Faktoren, etwa steigende Bevölkerungszahlen, Überfischung oder ungereinigte Abwässer. „Als Epidemiologinnen und Epidemiologen ist es unsere Aufgabe, Faktoren zu identifizieren, die das Überleben der Populationen gefährden. Dann können wir gemeinsam mit allen Interessengruppen herausfinden, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann, damit sich die Bestände erholen“, sagt Marcus Doherr. Denkbar wäre zum Beispiel, Schutzzonen um die Lebensräume der Pinguine einzurichten.

Simulationen beziehen auch plötzliche Ereignisse wie Infektionskrankheiten mit ein

Auch Infektionskrankheiten setzen den Brillenpinguinen zu. In den Jahren 2018 und 2019 kam es in einigen südafrikanischen Pinguinkolonien zu einem Ausbruch der Vogelgrippe, infolgedessen Hunderte Tiere verendeten. Über die genauen Auswirkungen von Krankheiten auf den Fortbestand der Meeresvögel ist jedoch wenig bekannt. „Bislang werden in Modellen zu möglichen Trends der Populationsentwicklung überwiegend kontinuierliche Einflüsse berücksichtigt, also zum Beispiel die Verfügbarkeit von Nahrung“, sagt Marcus Doherr. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen deshalb mathematische Simulationen für die Populationen entwickeln, die auch plötzlich auftretende Ereignisse wie Infektionskrankheiten einbeziehen.

Derzeit sammeln die Forscherinnen und Forscher der afrikanischen Partneruniversitäten Daten, die Auskunft geben über die Schadstoffbelastung der Tiere. Dafür entnehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Proben von Pinguinkadavern. Weil die Vögel empfindlich auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren, sollten die Brutkolonien Marcus Doherr zufolge regelmäßig überwacht werden. „Wenn wir sehen, dass die Zahl der brütenden Paare stark zurückgeht, kann das ein Hinweis auf den schlechten Zustand des Ökosystems sein.“ Um die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung nicht zu stören, könnten Drohnen zum Einsatz kommen. Geplant sind außerdem sogenannte  „Citizen Science“-Projekte, bei denen Bürgerinnen und Bürger an der Wissenschaft beteiligt werden. So könnten sie von Besuchspfaden aus die afrikanischen Pinguine in Kolonien am Festland zählen und Meldungen über Totfunde an öffentlich zugänglichen Stränden übermitteln. Auf diese Weise wird die Bevölkerung aktiv in den Artenschutz eingebunden.

Alle Interessengruppen sollen miteinander in Dialog treten

Eine besondere Herausforderung des Projekts sieht Marcus Doherr darin, dass alle Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft miteinander in den Dialog treten sollen. Ökonomisch wichtig – und damit schützenswert – seien die Pinguinpopulationen unter anderem wegen ihrer touristischen Attraktion. Der Veterinärmediziner hält es aber auch für denkbar, dass andere wirtschaftliche Aspekte als relevanter eingestuft werden könnten. Umso wichtiger sei es, dass die Interessengruppen miteinander kommunizierten und Beschlüsse fassten, die im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft seien. „Diese Entscheidungen fällen nicht wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber mit unserer Forschung können wir darauf aufmerksam machen, wie wichtig der Schutz der Brillenpinguine für das gesamte Ökosystem und damit auch für die Wirtschaft ist“, konstatiert Marcus Doherr. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen hofft er, dass sich alle Beteiligten für den Schutz der Vögel aussprechen, damit die Pinguinkolonien – ähnlich wie die am Boulders Beach – in Zukunft wieder wachsen.

Anne Stiller

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