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Nacheiszeitliche Hirschjagd im spanischen Cueva de los Caballos: Auf der iberischen Halbinsel nahm die Körperhöhe zwischen ca. 10000 und 5000 v. Chr. deutlich ab. Eva Rosenstocks Team konnte hier Voraussageneiner archäogenetisch arbeitenden Forschergruppe bestätigen.

© Wikimedia CC 3.0/Joanbanjo

Archäologie: Vermessung unserer Vorfahren

Eva Rosenstock untersucht den Zusammenhang von Ernährung und Körpergröße der Menschen in prähistorischer Zeit.

An der Wand oder am Türrahmen halten viele Eltern fest, wie schnell ihre Kinder wachsen. Hätten unsere Vorfahren in der Steinzeit auch waagerechte Striche an die Höhlenwand gemalt, wäre Eva Rosenstocks Forschung ein bisschen einfacher. Die Archäologin der Freien Universität Berlin hat untersucht, wie groß die Menschen in prähistorischer Zeit waren und worauf Schwankungen in der durchschnittlichen Körpergröße zurückzuführen sein könnten.

Jeder Mensch wächst, bis er etwa 20 Jahre alt ist. Dann haben sich die Wachstumsfugen in den Knochen geschlossen. Welche maximale Körperhöhe ein Individuum erreichen kann, legten wahrscheinlich seine Gene fest, erklärt Eva Rosenstock. Doch manche Menschen blieben kleiner als ihre Erbanlagen erlaubten.

Für historische Zeiten, also für Epochen, in denen Schriftquellen vorliegen, ist die Rechnung relativ einfach. Ernähren sich Kinder und Jugendliche gut und enthält ihre Nahrung ausreichend Eiweiß, dann schießen sie in die Höhe. Gibt es Zeiten der Mangelernährung, verlangsamt sich das Wachstum, was nur wieder aufzuholen ist, wenn vor dem Ende des 20. Lebensjahres wieder bessere Zeiten kommen und ein Aufholwachstum erfolgen kann. Wirtschaftshistoriker nutzen die Körpergröße deshalb als Indikator für den Wohlstand einer Gesellschaft. Die Idee, diese Methode auch für die Archäologie nutzbar zu machen, stand am Anfang von Eva Rosenstocks Forschungsprojekt. „Ich wollte den Zusammenhang von Wohlstand und Körpergröße für eine Zeit überprüfen, in der wir noch keinen Indikator haben, wie erfolgreich bestimmte Wirtschaftsstrategien waren, nämlich für die Vorgeschichte.“

Die wichtigsten Hinweise lieferten Oberschenkelknochen

2011 begann Eva Rosenstock mit ihrer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „LiVES“ rund 5 000 Datensätze zu prähistorischen Skeletten aus zwei fast vergessenen Verzeichnissen in Mainz und Genf sowie neu aufgenommene Daten aus der archäologischen Literatur zu sammeln und zu untersuchen. Die Zeugnisse stammten aus der Zeitspanne von 10.000 Jahren bis etwa 1000 v. Chr.. Es waren Knochen von Menschen aus der Steinzeit und Bronzezeit, darunter Jäger und Sammler ebenso wie sesshafte Bauern und Viehzüchter aus Europa und dem Vorderasiatischen Raum. Oberschenkelknochen hätten dabei die wichtigsten Hinweise geliefert, erklärt die Archäologin: „Das Femur ist ein stabiler Knochen der oft gut erhalten ist und beim Menschen einen relativ großen Anteil der Körperhöhe ausmacht.“

Eva Rosenstock mit einem prähistorischen Oberschenkelknochen.
Eva Rosenstock mit einem prähistorischen Oberschenkelknochen.

© Bernd Wannenmacher

Um jedoch von der Länge eines Knochens auf die Scheitelhöhe eines lebendigen Individuums schließen zu können, sind komplizierte Formeln notwendig. Noch komplizierter wird es, will man Trends auch für Zeiten und Räume ermitteln, aus denen Archäologinnen und Archäologen nur sehr wenige Bein- oder Armknochen gefunden haben. In Rosenstocks Team programmierte deshalb der Statistiker Marcus Groß Algorithmen, die errechneten, wie groß unsere Vorfahren höchstwahrscheinlich waren. Um auch Knochenlänge und mögliche Lebensumstände aus unterschiedlichen Orten und Epochen in Beziehung zu setzen, werteten die Doktorandinnen Alisa Scheibner und Alisa Hujic zusätzlich Daten zu Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen in Knochen und Zähnen aus. Die Ergebnisse gaben Einblick in die prähistorische Diät: etwa ob die Nahrung in einer Region vorwiegend von Pflanzen oder von Tieren stammte und ob sie aus dem Wasser oder der Erde kam.

Es ist eine neue Form von Archäologie, die das Team betreibt

Es ist eine neue Form von Archäologie, die Rosenstock und ihr Team sieben Jahre lang betrieben haben: Sie prüften Datenbanken, füllten Lücken, speisten Computer mit Daten. Ließen rechnen, prüften erneut, ließen noch einmal rechnen. Am Ende entrissen sie der Vergangenheit neue Erkenntnisse. Und die widersprachen der Anfangshypothese. „Es wäre schön gewesen, wenn die Körpergröße eines Menschen auch in der Vorgeschichte als Indikator für Wohlstand taugen würde“, sagt Rosenstock. „Aber die Korrelation zwischen Ernährung und Körpergröße ist sehr mäßig.“

Lange habe man zum Beispiel angenommen, dass die sogenannte neolithische Revolution sich negativ auf die Körpergröße ausgewirkt habe: Als die ersten Menschen sesshaft wurden und Ackerbau betrieben, sei proteinarme Nahrung zur Regel geworden. Die Berechnungen von Rosenstocks Forschungsgruppe lassen anderes vermuten: „Vergleicht man Skelette aus den Regionen, in denen die neue Wirtschaftsweise entstand mit jenen, in die sie sich ausgebreitet hatte, dann bleiben die durchschnittlichen Körperhöhen im Vorderen Orient gleich, im Balkan werden die Menschen kleiner, in Mitteleuropa ändert sich nichts, und in Nordeuropa werden die Menschen sogar größer.“

Um diese Unterschiede zu erklären, müssten weitere Faktoren wie etwa genetische hinzugenommen werden. Bei der Abschlusstagung der Forschungsgruppe im April habe sich schon angedeutet, dass ihre Ergebnisse die Forschungen anderer Teams gut ergänzten, die zum Beispiel archäogenetisch arbeiten, sagt Eva Rosenstock. Sie selbst geht nach sieben Jahren mit einem positiven Gefühl aus ihrem Projekt: „Die vorliegenden Daten zeigen, dass prähistorische Menschen als Kinder und Jugendliche vermutlich nicht unter einer dauernden Proteinmangelernährung litten. Die meisten Menschen in vorgeschichtlicher Zeit waren nicht in ihrem Wachstum gehemmt.“

Stefanie Hardick

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