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An der Spreepromenade nahe dem Bundestag hat der israelische Künstler Dani Karavan die Grundrechte in Glasscheiben eingraviert.

© Matthias Heyde

Exzellenzcluster „Scripts“: Demokratie – ein Auslaufmodell?

Tanja Börzel und Michael Zürn, Sprecher des Exzellenzclusters Scripts, über das liberale Versprechen und den Aufstieg der rechtspopulistischen Bewegungen.

Großbritannien drängt aus der EU, in Polen attackiert eine nationalkonservative Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte und unter dem Schlachtruf „America first!“ droht der amerikanische Präsident Donald Trump selbst seinen westlichen Verbündeten mit Handelskrieg: 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges befindet sich das liberale Ordnungsmodell der westlichen Welt in der Krise, Populisten gewinnen Wahlen und Einfluss. Sind die liberalen Demokratien des Westens ein Auslaufmodell?

TANJA BÖRZEL: Global betrachtet geht es der Menschheit heute besser als noch vor 30 Jahren. Wenn wir die Lage der Welt mit der des Jahres 1990 vergleichen, ist das liberale Versprechen noch immer aktuell und noch immer ziemlich erfolgreich. Wirtschaftlich geht es uns in Deutschland so gut wie schon lange nicht mehr, auch weltweit hat der Wohlstand insgesamt zugenommen.

MICHAEL ZÜRN: Neu ist, dass die liberale Demokratie kein Monopol auf den Wohlstandsanspruch hat. China hat gezeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg auch dann möglich ist, wenn es keine demokratische Regierung im westlichen Sinn gibt. Aber dennoch bleibt der liberale Westen Sehnsuchtsort für viele Menschen.

BÖRZEL: Seit ein paar Jahren beobachten wir, dass die Bedrohung der Demokratie im öffentlichen Diskurs nicht mehr in erster Linie als eine von außen kommende wahrgenommen wird. Im Kalten Krieg war es der Sozialismus, der die westlich-liberale Welt herausforderte. In den 1990er und 2000er Jahren empfand der Westen dann zunächst das aufstrebende China, später den politischen Islam als zentrale Herausforderer seiner Ordnung. Heute wird die Bedrohung vor allem als eine innerdemokratische wahrgenommen, ausgelöst durch Wahlergebnisse, etwa in Indien, Brasilien und den USA.

Wir sehen in diesen demokratischen Ländern ja auch einen dramatischen Anstieg von Ungleichheit, der sicher vermehrt zu Unzufriedenheit führt. Liegt es daran?

ZÜRN: Das ist immer das Gegenargument für den Erfolg des liberalen Modells in der Welt gewesen, ja. Allerdings relativiert sich diese gefühlte Zunahme an Ungleichheit aus der historischen Perspektive. Seit den 1990er Jahren stagnieren die unteren und mittleren Einkommen, bei einer weiteren Zunahme der Zahl der Allerreichsten und ihres Vermögens. Deutschland geht es aber seit zehn Jahren wirtschaftlich sehr gut. Mit sozialer Ungleichheit kann man den Aufstieg der AfD, der ja in den vergangenen Jahren bei sinkender Arbeitslosigkeit stattgefunden hat, nicht umfassend erklären; dies gilt auch international für die Resonanz populistischer Bewegungen genau in den Ländern, die die ökonomischen Gewinner der Europäisierung wie Polen und der Globalisierung wie Indien sind.

BÖRZEL: Nehmen Sie Dänemark, ein Land, in dem die soziale Ungleichheit traditionell sehr gering ist. Trotzdem sind dort die Rechtspopulisten seit Jahren politisch äußerst erfolgreich.

Der Erfolg der populistischen Parteien ist überall in der westlichen Welt zu beobachten – egal ob in wirtschaftlich soliden Ländern wie den USA und Deutschland oder in Krisenstaaten wie Italien oder Griechenland…

BÖRZEL: In Spanien erstaunlicherweise nicht. Dort haben wir derzeit eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, und es ist keine landesweite rechtspopulistische Bewegung in Sicht. Umgekehrt war die Türkei in den 1990er Jahren wirtschaftlich sehr erfolgreich, und die Menschen haben davon profitiert. Trotzdem konnte sich ein Populist wie Recep Tayyip Erdogan politisch durchsetzen. Diese Phänomene lassen sich anhand der Formel „ökonomischer Erfolg bedeutet stabile Demokratie, Rezession bedeutet Gefährdung der Demokratie“ nicht erklären; wir werden sie im Rahmen unserer Forschungen im Exzellenzcluster SCRIPTS genauer untersuchen.

Was eint die Populisten weltweit?

ZÜRN: Neben ihrem Nationalismus ist es vor allen Dingen ihre Strategie: Wo sie in der Opposition sind, zeichnen die Populisten die liberale Idee als die einer urbanen Elite, die die breite Masse ignoriere. Regierungen werden von Populisten als Teil einer korrupten Elite dargestellt. Parteien verlieren an Einfluss. Hinzu kommt, dass Zentralbanken, Gerichte und internationale Institutionen die Agenda bestimmen.

BÖRZEL: Wenn wir dann in Länder schauen, in denen die Populisten politische Mehrheiten errungen haben, entdecken wir ebenfalls Mechanismen, die regelmäßig angewandt werden und eine Art Skript des Populismus darstellen: Die Unabhängigkeit der Justiz wird untergraben, Medien werden beeinflusst oder ausgeschaltet, Minderheiten ausgegrenzt. Und wir sehen, wie sich die nationalen Populisten international vernetzen.

ZÜRN: Letztendlich sehen wir im nationalistischen Populismus eine Antwort auf die Auswirkungen der Globalisierung. Die Akteure des Rechtspopulismus mobilisieren Wählerschichten, die sich als Verlierer dieser neuen Weltordnung empfinden. Nationalismus und Abschottung werden zum Heilsversprechen.

Gibt es noch andere Thesen für das Erstarken des Rechtspopulismus?

BÖRZEL: Eine ist deutlich pessimistischer: Sie geht davon aus, dass die Geschichte nicht linear verläuft und der Untergang der liberalen Denkweise begonnen hat. Demnach sind die Demokratien zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht in der Lage seien, die Probleme einer globalisierten Welt zu lösen.

ZÜRN: Historisch gab es allerdings immer wieder Phasen, in denen das Liberale zurückgedrängt und das Ende der Demokratie beschworen wurde. Eine weitere These geht deshalb von einem sogenannten Backlash aus, also von einem Rückschlag für die westlichen Demokratien, der wieder zurückpendeln wird, wenn die vermeintlichen Lösungen der Rechtspopulisten ihre Wirkung verfehlen – wie dies schon häufiger in der Geschichte der Fall war. Nehmen Sie etwa die 1930er Jahre, die Rufe nach Führung, die Unterdrückung von Minderheiten. Das zerstörte damals die jungen Demokratien in Deutschland, Österreich und Italien. Es mussten schreckliche Dinge passieren, bis sich hier wieder der liberale Gedanke durchsetzte. Es gibt viele Parallelen zur damaligen Zeit, auch wenn natürlich andere Faktoren nicht vergleichbar sind, etwa die Arbeitslosenquote oder der heute viel stärker ausgeprägte Wohlfahrtsstaat.

BÖRZEL: Solche historischen Bezüge sind für unser Forschungsvorhaben wichtig – wie auch Vergleiche zwischen verschiedenen Staaten und Regionen weltweit. Wir möchten herausarbeiten, was genau von wem herausgefordert wird. Wer also sind die Akteurinnen und Akteure? Was kritisieren sie? Wen greifen sie an? Den Liberalismus per se? Oder nur einzelne Elemente? Und wie lauten ihre Strategien? Gibt es vielleicht sogar so etwas wie ein illiberales Skript, das weltweit autoritäre Machthaber und Populisten verbindet?

Das Gespräch führte Matthias Thiele.

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