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Ruhollah Chomeini war religiöser Führer der Islamischen Revolution von 1979; er stürzte aus demExil heraus den persischen Schah. Bis zu seinem Tod 1989 war er iranisches Staatsoberhaupt.

© Walter G. Allgöwer

Forschungsprojekt zum Islamismus: „Der politische Islam trat als revolutionäres Programm an“

Welche Rolle spielte der Kalte Krieg? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen die Entstehung des Islamismus.

Der Ursprung des politischen Islams im Iran und der schiitischen Netzwerke in dessen Nachbarländern liege in der geopolitischen Konstellation des Kalten Krieges, sagt der Globalhistoriker Timothy Nunan. 

Gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Siarhei Bohdan untersucht er, wie Ayatollah Ruhollah Chomeini und seine Anhänger ihre Ideologie entwickelten, um mit kapitalistischen und sozialistischen Ideen konkurrieren zu können.

In der Berichterstattung über den politischen Islam und seine fundamentalistische Ausprägung, den Islamismus, dominiert oft die Vorstellung, die Ideologien dieser Bewegungen seien auf einen extremen Traditionalismus zurückzuführen. 

„Entstanden sind sie allerdings nicht als traditionalistische, sondern im Gegenteil als revolutionäre Programme“, sagt Timothy Nunan. „Ihren Ursprung haben sie nicht in grauer Vorzeit, sondern in den 1960er und 1970er Jahren – als Reaktion auf die politischen Entwicklungen der Zeit, etwa im Iran.“

Haben geopolitische Konflikte einen Nährboden geschaffen?

Der promovierte Globalhistoriker untersucht insbesondere, welche Rolle der Kalte Krieg bei der Herausbildung von unterschiedlichen islamistischen Ideologien gespielt hat, die noch heute das Weltgeschehen prägen. 

„Es stellt sich die Frage, ob der geopolitische Konflikt zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System einen Nährboden geschaffen hat, auf dem der Islamismus moderner Prägung erst entstehen konnte.“ 

Im Fokus der Forschung steht zunächst der politische Islam schiitischer Prägung. Dieser wurde maßgeblich von Ayatollah Ruhollah Chomeini propagiert, der 1979 den persischen Schah stürzte und so die Islamische Republik Iran begründete. 

Am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität leitet Nunan hierzu die von der Volkswagen-Stiftung geförderte Nachwuchsforschungsgruppe „The Cold War’s Clash of Civilizations: The Soviet Union, the Left, and the International Origins of Islamism“.

Die Mitglieder der Gruppe gingen dabei von zwei Prämissen aus. Erstens, dass sich die chomeinistische Bewegung nicht auf die iranische Revolution von 1979 beschränkt habe. 

Schiitischen Netzwerke in Afghanistan, dem Irak und im Libanon

Sie lasse sich nur unter Einbeziehung der schiitischen Netzwerke in Afghanistan, dem Irak und im Libanon nachvollziehen – Netzwerke, die noch heute eine große Rolle spielten. Zweitens nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, dass diese transnationale Bewegung eine neue Weltordnung zu etablieren suchte, die sich in Reaktion auf den Ost-West-Konflikt als einen „dritten Weg“ verstanden habe.

„Chomeini wollte den schiitischen Islam nicht zurück ins Mittelalter führen, sondern konkurrenzfähig gegenüber den kapitalistischen und sozialistischen Ideologien machen“, sagt Siarhei Bohdan. „Er unterrichtete nicht entlang der traditionellen Linien. 

Anstelle der Mullahs und Gläubigen, die ideologisch im 14. Jahrhundert lebten, sind ihm jene Menschen gefolgt, die radikale Veränderungen wollten.“

Siarhei Bohdan ist promovierter Politikwissenschaftler und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Forschungsprojekt beteiligt. Eine islamische Revolution, wie sie sich 1979 vollzogen habe, sei in der traditionellen Lehre undenkbar gewesen, betont er. 

Eine islamische Revolution war in der traditionellen Lehre undenkbar

„Die Vorstellung, dass sich die Geistlichen nicht mehr von den politischen Herrschern führen lassen, sondern selbst nach der Macht greifen, war eine radikale Neuerung“, sagt der Politikwissenschaftler. 

„Und die Notwendigkeit für diese Veränderungen hat sich für viele Gläubige aus der geopolitischen Situation des Kalten Krieges ergeben.“ Viele Anhänger Chomeinis hätten einerseits den USA Imperialismus vorgeworfen, andererseits Russland und China des Expansionismus verdächtigt und sich bedroht gefühlt. 

Gängige Narrative zeichneten den letzten persischen Schah Mohammad Reza Pahlavi vor allem als eine Marionette der USA, sagt Bohdan. 

Doch Ergebnisse jüngerer Forschung legten nahe, dass auch Russland und China in den 1970er Jahren ihren Einfluss in Persien stark auszudehnen versucht hätten. 

Gottesstaat als Mittel gegen Bedrängnis

„Die iranischen Revolutionäre sahen schließlich im Gottesstaat das Mittel, um dieser Bedrängung von beiden Seiten Herr zu werden“, sagt Siarhei Bohdan. Ihre neue islamistische Ideologie sei bewusst entwickelt und propagiert worden, auch um in der Konkurrenz gegenüber kapitalistischen und sozialistischen Ideen bestehen zu können.

„Die Gläubigen hatten damals Angst, den Anschluss an die Jugend zu verlieren“, sagt Timothy Nunan. Der politische Islam des Iran habe deshalb auch viele Modernisierungen nach dem Vorbild der sozialistischen Staaten vorangetrieben, etwa die Entwicklung von Schwerindustrie, die Nationalisierung von Banken und Großbetrieben, aber auch die Einführung sozialer Sicherungssysteme. 

Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, hätten schiitische Revolutionäre in den Anfangsjahren auch Kontakte zu linken Gruppierungen in Südamerika oder antikolonialen Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent gepflegt. 

„In den Anfangsjahren gab es unter den Ideologen sogar einige, die Ideen vertraten, die man als emanzipatorisch bezeichnen könnte“, sagt Siarhei Bohdan. „Ihre Mittel haben ihre Ziele aber schnell verraten. Sie sind so brutal vorgegangen, dass die Rede von Emanzipation schnell sinnlos wurde.“ 

Dennis Yücel

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