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Gedenken an Gerhard Klein: Ein Leben für das Kino

Als Kind schon gefragtes Schauspieltalent, dann von den Nazis gewaltsam nach Polen ausgewiesen: Gerhard Klein, der langjährige Betreiber des Capitol Dahlem, wurde an seinem 20. Todestag mit einer Gedenktafel geehrt.

Gerhard Klein steht für ein Stück Berliner Kinogeschichte. Von 1956 bis 1986 leitete er das Filmkunstkino „Capitol“ an der Dahlemer Thielallee, eines der ersten Programmkinos in der Spreestadt.

Zu einer Zeit, in der die Lichtspielhäuser zumindest in West-Berlin fast ausschließlich Heimatfilme mit Marianne Koch und Rudolf Prack präsentierten, machte er die Zuschauer mit René Clair, Ernst Lubitsch und Billy Wilder bekannt. Der Besuch im Capitol Dahlem war damals für viele, vor allem für Jugendliche, eine faszinierende Begegnung mit dem europäischen Film.

Am 14. November 2019, seinem 20. Todestag, wurde Gerhard Klein zu Ehren in der Thielallee 36 eine Gedenktafel angebracht. Die Feierstunde in den Kino-Räumen veranstalteten das Aktive Museum und das Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin gemeinsam.

Im Vorführsaal erinnerte Geschichtsprofessorin Gertrud Pickhan von der Freien Universität vor rund 50 Gästen an den „bewegten und bewegenden Lebenslauf“ des langjährigen Kinoleiters.

Er machte die Zuschauer mit Billy Wilder bekannt

Schon als Kind war Gerhard Klein ein gefragtes Schauspieltalent gewesen: In der 1930 uraufgeführten Bühnenfassung von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ spielte der Zehnjährige den „Professor“, in Max Ophüls erstem Tonfilm „Dann schon lieber Lebertran“ (1931) sogar die Hauptrolle.

1933 beendeten die Nationalsozialisten die Karriere des Dreizehnjährigen. Die Eltern waren Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit. Am 28. Oktober 1938 wurde Gerhard Klein zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder im Zuge der sogenannten Polenaktion verhaftet und gewaltsam an die polnische Grenze gebracht, wo ihnen die polnischen Grenzbeamten die Einreise verweigerten.

Mindestens 17 000 polnische Juden wurden damals innerhalb von zwei Tagen aus Deutschland ausgewiesen, alleine 1 500 aus Berlin, unter ihnen auch Familie Klein.

Als polnische Jude aus Deutschland ausgewiesen

„Die sogenannte Polenaktion von 1938 war noch bis vor wenigen Jahren kaum erforscht“, sagte Gertrud Pickhan. „Vor allem über das Schicksal der damals nach Polen abgeschobenen Berliner Juden war wenig bekannt.“

Um das zu ändern, bot die Geschichtsprofessorin zusammen mit der Wissenschaftlerin Alina Bothe 2015 ein erstes Seminar an, in dem die Studierenden die Biografien betroffener Jüdinnen und Juden, oftmals ganzer Familien, recherchierten.

Die Schicksale der Familie Klein und weiterer fünf Berliner Familien zeigte eine von Alina Bothe unter Mitwirkung von Studierenden kuratierte Ausstellung, die mehr als 40 000 Besucher im Berliner Centrum Judaicum sahen. Danach zog die Schau nach Warschau, es folgen weitere Stationen in polnischen Städten.

Gerhard Klein kam bei einer Familie in der polnischen Grenzstadt Zbaszyn unter, bis dem 19-Jährigen ein halbes Jahr später, im März 1939, die Flucht nach Palästina gelang.

Gerhard Klein gründete ein Theater in Tel Aviv

Die Spur von Gerhard Kleins Eltern Heinrich und Lina verliert sich Ende 1942. Es wird vermutet, dass sie im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurden. Nach Palästina brachte Gerhard Klein nicht viel mehr mit als seine leeren Hände und die Begeisterung für das Theater.

Zunächst lebte er in einem Kibbuz, wo er zum Diamantenschleifer ausgebildet wurde. 1944 gründete er in Tel Aviv das bis heute bestehende avantgardistische Theater „Cameri“. Mit der festen Absicht, nach Tel Aviv zurückzukehren, reiste Gerhard Klein 1952 nach Berlin, um eine Tante zu besuchen, die als einzige ihrer näheren Familie den Holocaust überlebt hatte, berichtete Kleins Tochter Jacqueline Hopp.

„Dann hat er meine Mutter, ebenfalls Jüdin, kennengelernt und blieb der Liebe wegen in Berlin.“ Es gelang ihm nicht recht, in der Theaterwelt Fuß zu fassen. Stattdessen kaufte er das Kino Capitol in Dahlem, das er bis 1986 leitete.

Jeden Tag begrüßte er sein Publikum persönlich und riss vor jeder Vorstellung selbst die Karten ab, erzählte Jacqueline Hopp. Neben Filmvorführungen bot er das „Literarische Podium“ an, das bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler zu Lesungen auf die kleine Bühne brachte.

Das Capitol wurde Berlinale-Theater

Durch seine Nähe zur Freien Universität hat das Villenkino immer von dem studentischen Publikum profitiert und auch sein Programm darauf zugeschnitten.

Das Capitol wurde, obwohl etwas abgelegen, auch Berlinale-Theater. Mit seinen samtbezogenen Polstersitzen und dem silbernen Raffvorhang – auch „Wolke“ genannt – hat sich vieles vom früheren Flair bis heute erhalten

„Als Tochter eines Kinobesitzers hat man viele Freunde“, erinnerte sich Jacqueline Hopp an ihre Kindheit. Mit ihrer Zwillingsschwester Madeleine Budde, die bei der Gedenkveranstaltung für ihren Vater ebenfalls anwesend war, sah sie „hunderte Filme“, besonders gern die Monsieur-Hulot-Filme von Jacques Tati und immer wieder den „Krieg der Knöpfe“ von Yves Robert.

„Meine Schwester und ich waren hier zu Hause. Anfangs wohnten wir sogar in den Räumen über dem Kino.“

Eine Kindheit im Kino

Das Capitol prägte ihre Kindheit und weckte eine lebenslange Leidenschaft für den Film: „In unserem Familienbetrieb haben wir gelernt, neugierig zu sein: auf Neues und auf Fremdes. Dafür können wir unserem Vater nicht genug danken.“ Die Gedenktafel ist für die beiden Schwestern eine „würdige Erinnerung“.

Seit mehr als 20 Jahren stiften die Nachkommen der Familie Klein den Gershon- Klein-Filmpreis, der jährlich beim Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg vergeben wird und an das Engagement Gerhard Kleins für den Film und die Berliner Kulturlandschaft erinnert.

Als Eigentümerin der Kinovilla trage die Freie Universität eine besondere Verantwortung, befand Gertrud Pickhan. „Es ist allerhöchste Zeit, dass man auch hier, in diesem Kino, wahrnimmt, welchen Lebensweg sein früherer Betreiber Gerhard Klein zurückgelegt und welche Verluste er zu erleiden hatte.“ Daran erinnert nun die Gedenktafel im Foyer des Kinos.

Sören Maahs

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